In Hettstadt will der Landkreis Würzburg ab diesem Mai bis zu 28 Flüchtlinge in einem Einfamilienhaus unterbringen. Das Haus liegt in einer ruhigen Gegend am Ortsrand, wurde 1975 von einer Familie gebaut und später von einer einzelnen Person bewohnt. Weil stark sanierungsbedürftig, stand es Anwohnern zufolge zuletzt "mindestens fünf Jahre" leer.
Das Haus ist mit 280 Quadratmetern Fläche auf zwei Stockwerken geräumig, hat zwei Bäder und ein weiteres Bad im Keller, dazu zwei kleinere Küchen, eine davon im Dach. Bekannte der früheren Eigentümerfamilie erinnern sich an eine unpraktische, enge Wendeltreppe zwischen Erd- und Dachgeschoss. "Jeglicher Lastentransport" habe sich da zum Abenteuer ausgewachsen. Dass in das Einfamilienhaus bis zu 28 Menschen einziehen sollen – das erscheint Anwohnern bizarr.
Die hohe Zahl von Geflüchteten in einem Haus macht Nachbarn Sorge
Nach den Leitlinien des bayerischen Innenministeriums für die Unterbringung von Geflüchteten von 2023 werden pro Person fünf bis sieben Quadratmeter gerechnet. Rein rechnerisch gibt es in dem 280-Quadratmeter-Haus also Platz für 28 Leute.
Dass nicht die Unterbringung von Migranten generell, aber die hohe Zahl von Geflüchteten in einem einzigen Haus den Nachbarn missfällt, ist der Bürgermeisterin der 4000-Einwohner-Gemeinde klar: Nachbarn aus der Straße hätten sich schon an sie gewandt, sagt Andrea Rothenbucher: "Man befürchtet, dass dann viel im Garten oder auf der Straße 'herumgelungert' wird und es auch sehr laut werden könnte."
Doch die parteilose Bürgermeisterin und die Gemeinde haben kein Mitspracherecht bei der Umwandlung des Einfamilienhauses in eine dezentrale Flüchtlingsunterkunft (DU). Die Gemeinde habe auch keinen "Einfluss auf das private Mietverhältnis zwischen dem Eigentümer und dem Landkreis", sagt Rothenbucher.
Gekauft und als dezentrale Unterkunft angeboten hat das Haus ein Privatmann, der nach Informationen der Redaktion nicht in Hettstadt lebt.
Landratsamt Würzburg: Auf "angemessene" Unterbringung wird geachtet
Hält es der Landkreis Würzburg für vertretbar, bis zu 28 Leute in einem Haus unterzubringen? Es werde darauf geachtet, dass die Bewohner "angemessen" untergebracht würden, antwortet Lucas Kesselhut, Sprecher des Landratsamts Würzburg. Was "angemessen" bedeutet, führt er nicht aus.
Wenn eine "angemessene Unterbringung" nicht möglich sei, werde die maximale Belegungszahl nicht ausgereizt. Auf Nachfrage bestätigt der Sprecher, dass der Landkreis in Hettstadt in einem weiteren Einfamilienhaus eine dezentrale Unterkunft für zehn Personen einrichtet.
Bei Beherbergungsverträgen bekommen Vermieter pro Person und Tag rund 20 Euro
Was springt finanziell für Investoren dabei raus, wenn sie alte Einfamilienhäuser kaufen und als Flüchtlingsunterkünfte anbieten? "Vertragsdetails" will das Landratsamt Würzburg nicht nennen. Der Sprecher der Regierung von Unterfranken, Alexander Warkotsch, teilt mit – ohne explizit auf Hettstadt einzugehen – , dass einzelne Kreisverwaltungsbehörden für die Unterbringung von Flüchtlingen neben den üblichen Pauschalmietverträgen auch sogenannte "Beherbergungsverträge" abschließen würden.
Bei diesen Verträgen bekomme der Vermieter pro Person und Tag "um die 20 Euro". Bei 28 Personen und 31 Tagen wären das - nur als Beispiel - bis zu 17.360 Euro im Monat. Für Beherbergungsverträge sei es typisch, dass sie "ohne Laufzeit mit sehr kurzer Kündigungsfrist und ohne Belegungsgarantie" geschlossen werden, sagt der Regierungssprecher. Der Tagessatz wird demnach nur gezahlt, wenn der Platz belegt ist.
Aktuell 586 dezentrale Unterkünfte in Unterfranken: ein Höchststand
Dass die Behörden Verträge mit Privatleuten schließen, die kleinere Häuser in Wohngebieten anbieten, hängt mit der aktuellen Lage zusammen: In Unterfranken sind praktisch alle bestehenden größeren und bewährten Unterbringungsmöglichkeiten für Asylsuchende belegt.

Laut Regierung lebten Mitte April 14.488 Geflüchtete in Unterfranken - fast 9500 mehr als Anfang 2020. Die Zahl der dezentralen Unterkünfte in ganz Unterfranken liegt aktuell bei 568 - ein neuer Höchststand. 8774 Personen sind dort derzeit untergebracht. In den 49 Gemeinschaftsunterkünften leben aktuell 3937 Geflüchtete, in der Anker-Einrichtung bei Geldersheim (Lkr. Schweinfurt) sind derzeit 1177 Menschen.
Kapazitäten in Unterfranken erschöpft: Regierung setzt auf neues Investorenmodell
Durch, wie Sprecher Warkotsch sagt, den "hohen Zugang an Asylsuchenden und Geflüchteten" unter Druck, setzt die Regierung von Unterfranken auf ein neues Investoren-Model: Private Investoren errichten in Modulbauweise Gemeinschaftsunterkünfte für rund 100 Personen samt Verwaltungsgebäude. Die Regierung übernimmt diese Unterkünfte "schlüsselfertig" und betreibt sie.
In der Kreisstadt Haßfurt beispielsweise soll jetzt solch eine Unterkunft entstehen. Die Regierung selbst könne keine neuen Gemeinschaftsunterkünfte bauen, hieß es bei der Vorstellung der Pläne Ende 2023. Denn, so erklärte Lothar Menzel, zuständig für Wohnraumangebote bei der Regierung: "Die Kapazitäten beim Staatlichen Bauamt sind zu erschöpft."
In Haßfurt und Reichenberg sollen Privatleute 100-Personen-Unterkünfte bauen
Wie Menzel auf Anfrage jetzt bestätigt, laufen in Haßfurt wie auch in Reichenberg im Landkreis Würzburg aktuell Baugenehmigungsverfahren für 100-Personen-Unterkünfte. Sie sollen jeweils in Ortsteilen errichtet werden, die als Gewerbegebiete geplant sind. In beiden Fällen haben die Gemeinden laut Menzel "das gemeindliche Einvernehmen verweigert" - mit Verweis darauf, dass in die künftigen Gewerbegebiete diese Unterkünfte nicht passten.

Die unteren Bauaufsichtsbehörden der Landratsämter würden jetzt prüfen, "ob trotzdem gebaut werden kann", sagt Menzel. Der Hintergrund: Der Bund hat in einem 2022 geänderten Gesetz zum Zweck der Flüchtlingsunterbringung Ausnahmen bei der Nutzung von Gewerbegebieten zugelassen.
Laut Regierung von Unterfranken sind auch an weiteren Standorten solche privat gebauten Unterkünfte angedacht. Dies könnte teuer werden: Die Mietvorstellungen privater Anbieter sind dem Wohnraum-Beauftragten zufolge angesichts fehlender Unterbringungsmöglichkeiten "deutlich nach oben gegangen".