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Gerbrunn/München: AWO-Chef zu Personalnot in der Pflege: "Sumpf der Leiharbeit gehört ausgetrocknet"

Gerbrunn/München

AWO-Chef zu Personalnot in der Pflege: "Sumpf der Leiharbeit gehört ausgetrocknet"

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    Einer der beiden Vorsitzenden der bayerischen Arbeiterwohlfahrt (AWO): Der Gerbrunner Bürgermeister Stefan Wolfshörndl steht aktuell auch an der Spitze der Freien Wohlfahrtspflege Bayern.
    Einer der beiden Vorsitzenden der bayerischen Arbeiterwohlfahrt (AWO): Der Gerbrunner Bürgermeister Stefan Wolfshörndl steht aktuell auch an der Spitze der Freien Wohlfahrtspflege Bayern. Foto: Ivana Biscan

    Die Personalsituation in der Pflege spitzt sich zu, Träger schlagen Alarm. Auch die Freie Wohlfahrtspflege Bayern – ein Zusammenschluss sechs großer Verbände – sieht dringenden Handlungsbedarf. Ihren Vorsitz hat gerade der Gerbrunner Bürgermeister Stefan Wolfshörndl (SPD) übernommen. Zusammen mit Nicole Schley aus Oberbayern ist Wolfshörndl seit dem vergangenen Jahr Vorsitzender der bayerischen Arbeiterwohlfahrt (AWO). Wo er die größten Baustellen sieht und was die Pflege attraktiver machen könnte.

    Herr Wolfshörndl, wie dramatisch ist die Personalsituation in den bayerischen Heimen tatsächlich?

    Stefan Wolfshörndl: Sie hat sich Jahr für Jahr verschärft. Wir wissen, dass bayernweit mehrere tausend Stellen in der Altenpflege unbesetzt sind und sich diese Lücke auf gut 60 000 Vollzeitkräfte bis ins Jahr 2050 erhöht – wenn wir nicht ernsthaft gegensteuern. Konkret bedeutet das: In manchen Häusern können schon jetzt ganze Stationen nicht mehr besetzt werden, Dienstpläne gehen nicht mehr auf und die Fachkraftquoten können nicht mehr eingehalten werden.

    Bleiben Betten leer, weil Personal fehlt?

    Wolfshörndl: Mittlerweile ist das so. Das Problem ist nicht mehr, Kunden – also Heimbewohner – zu gewinnen, sondern das Personal zu deren Versorgung.

    Wo klemmt es besonders? In Altenpflege, Jugendhilfe oder Behinderteneinrichtungen?

    Wolfshörndl: Der Fokus lag bedingt durch die Corona-Pandemie zuletzt auf den Einrichtungen der Altenhilfe. Aber Fachkräftebedarf haben wir auch woanders, zum Beispiel in der Eingliederungshilfe bei der Arbeit mit behinderten Menschen oder psychisch Kranken. In der Kinder- und Jugendhilfe fehlen in Bayern bis 2030 mindestens 37 000 Fachkräfte. Das liegt auch, aber nicht nur am Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung.

    In ihrer Not greifen Seniorenheime auf Leihpflegekräfte zurück und lassen viel Geld bei Zeitarbeitsfirmen.

    Wolfshörndl: Die rufen teilweise horrende Vermittlungsgebühren gegenüber den Trägern auf, wir sprechen von bis zu 15 000 Euro pro Monat für eine Pflegekraft. Für die Träger sollte Leiharbeit nur der letzte Notnagel sein, um kurzfristig für einen begrenzten Zeitraum eine Notlage zu beseitigen.

    Andere sprechen sich für ein Verbot von Leiharbeit in der Pflege aus.

    Wolfshörndl: Mit einem generellen Verbot wäre ich vorsichtig. Aber definitiv gehört der Sumpf der Leiharbeit hier ausgetrocknet, mit engen Leitplanken. Die Unsitte, dass sich manche eine goldene Nase zu Lasten der Wohlfahrtspflege, der Krankenhäuser und der Allgemeinheit verdienen, muss aufhören.

    Warum wollen immer weniger Menschen in der Pflege arbeiten?

    Wolfshörndl: Da spielen viele Aspekte rein. Die generelle Belastung, die schwierige Planbarkeit von Diensten und Schichten – aber auch der demografische Wandel: Der Pflegebedarf wächst, gleichzeitig gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente. Da sind wir genauso betroffen wie andere Wirtschaftsbereiche.

    Hat sich die Situation in der Pandemie noch verschärft, weil Pflegekräfte ausgebrannt sind?

    Wolfshörndl: Leider ja. Manche haben in dieser Zeit noch durchgehalten – aber haben sich mit Blick nach vorne innerlich schon gelöst. Haben entschieden, sich diese körperliche und seelische Belastung nicht mehr zuzumuten, und wollen sich nach was anderem umschauen. Solche Aussagen kennen wir.

    Die einrichtungsbezogene Impfpflicht macht es nicht leichter. Ist sie richtig?

    Wolfshörndl: Die Freie Wohlfahrtspflege in Bayern hat hier keine einheitliche Meinung, ebenso wenig wie zur allgemeinen Impfpflicht. Für mich persönlich gehört beides zusammen und beides sollte kommen. Im Rahmen einer Risikoabwägung führt aus meiner Sicht kein Weg daran vorbei.

    Liegt das Personalproblem auch am schlechten Image der Pflege?

    Wolfshörndl: Sie ist in manchen Teilen der Gesellschaft negativ besetzt, das stimmt, hier müssen wir korrigieren. Denn eigentlich ist die Pflege ein attraktiver Beruf. Wenn ich dafür eine Überzeugung und ein Händchen habe, kann ich darin meine Erfüllung finden. Die meisten Pflegenden haben sich bewusst für diesen Beruf entschieden, weil sie mit Menschen arbeiten und ihnen helfen wollen. Der Fachkräftemangel muss endlich wirksam reduziert werden, auch Entbürokratisierung ist für den Bereich dringend nötig.

    Braucht es eine bessere Bezahlung?

    Wolfshörndl: Geld hilft natürlich auch, eine angemessene Bezahlung ist für jeden Beruf wichtig. Wobei die Pflege nicht so schlecht bezahlt ist, wie manche es darstellen. Außerdem ist die Arbeitszeit ein wichtiges Kriterium für Arbeitnehmer. Lässt sie sich flexibler gestalten, kann ich Arbeitszeit reduzieren?

    Verbesserung gibt's nicht gratis. Müssen wir alle mehr für die Pflege bezahlen?

    Wolfshörndl: Wir brauchen mehr Geld im System, ansonsten dürfte die Rechnung nicht aufgehen. Höhere Pflegebeiträge können ein Baustein sein. Möglicherweise gibt es aber auch noch Ressourcen im System, die man heben könnte. Es wird diskutiert, die Pflege stärker der Privatwirtschaft und dem Renditestreben von Konzernen oder auch Zeitarbeitsfirmen zu entziehen.

    Und Träger wie AWO, Caritas oder Diakonie selbst? Was können sie tun, um mehr Leute in den Pflegeberuf zu bringen?

    Wolfshörndl: Das Wichtigste ist ein attraktives Arbeitsumfeld mit verlässlichen Dienstplänen und einer ordentlichen Personalausstattung. Und natürlich müssen sich die Träger aktiv um Mitarbeitende bemühen, müssen für die Pflege werben und auf Interessierte zugehen. Was auch helfen würde: eine schnellere Integration ausländischer Fachkräfte. In Bayern warten sie oft mehr als ein Jahr auf ihre Arbeitserlaubnis. Das ist länger als in anderen Bundesländern. Das sogenannte beschleunigte Fachkräfteverfahren dauert zu lange.

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