- Was ist das für ein Stück? "Das schweigende Klassenzimmer" entstand am Mainfranken Theater nach dem gleichnamigen Buch von Dietrich Garstka (1939-2018). Garstka war Mitglied einer 12. Oberschulklasse in der DDR, die 1956 das gesamte SED-Regime herausforderte.
- Worum geht es? Am 29. Oktober 1956 solidarisierte sich die Abiturklasse der Kurt-Scheffel-Oberschule im brandenburgischen Storkow mit fünf Schweigeminuten mit den Opfern des niedergeschlagenen Volksaufstands in Ungarn. Der SED-Apparat lief augenblicklich heiß.
- Wie ist es umgesetzt? Das Stück, das auf der Probebühne im neuen Kopfbau gespielt wird, ist eine Mischung aus dokumentarischen, erzählten Abschnitten und kurzen Spielszenen. Dabei kommen Licht- und Toneffekte und historische Bilder und Dokumente zum Einsatz.
Kurz vor Schluss schreitet die Figur des Dietrich Garstka durch eine wirbelnde Wolke fliegender Blätter, kunstvoll in der Luft gehalten von vier – elektrischen – Laubbläsern. Garstka ist der erste von 16 Schülern und Schülerinnen der Abiturklasse der Kurt-Scheffel-Oberschule im brandenburgischen Storkow, der die DDR verlassen wird. Vielmehr muss, will er eine berufliche Zukunft haben.

Am 29. Oktober 1956 hatte sich die Abiturklasse im Geschichtsunterricht mit fünf Schweigeminuten mit den Opfern des niedergeschlagenen Volksaufstands in Ungarn solidarisiert. Für die SED-Behörden ein klarer konterrevolutionärer Affront. Man will unbedingt die Rädelsführer ermitteln, demonstrativ bestrafen und dann die sozialistische Ordnung wiederherstellen. Aber die Klasse hält dicht und wird deshalb kollektiv vom Abitur ausgeschlossen.

Dietrich Garstka (1939-2018) hat die Ereignisse 50 Jahre später in seinem Buch "Das schweigende Klassenzimmer" festgehalten. Regisseurin Anna Stiepani, Dramaturgin Barbara Bily und das sechsköpfige Ensemble haben daraus eine Bühnenversion entwickelt, die am Donnerstag auf der Probebühne im neuen Kopfbau des Mainfranken Theaters Uraufführung feierte.
Man merkt dem Stück an, dass es vor allem junge Menschen erreichen soll
Man merkt dem Stück an, dass es vor allem junge Menschen erreichen soll – der didaktische Ansatz ist unübersehbar, etwa wenn Grundlagen wie die deutsche Teilung erklärt werden. Aber das macht nichts. So erfährt man alles, was man wissen muss, um die Ereignisse zu verstehen, die 1956 nicht nur die Schule und die Kleinstadt Storkow erschütterten, sondern offenbar auch das gesamte SED-Regime.

Wobei das Verstehen im Idealfall auf der Wissens- wie auf der Gefühlsebene stattfindet. Erzählte Abschnitte wechseln mit Spielszenen. Stasi-Dokumente, Briefe, historische Fotos und historisierende Filmsequenzen machen den Verlust jugendlicher Unbeschwertheit nachvollziehbar und schaffen die Atmosphäre der Beklemmung und schließlich der Angst, in der sich die Figuren bewegen.
Der Tageslichtprojektor – Standardobjekt in Schulen im Osten wie im Westen
Tageslichtprojektoren spielen im Lichtkonzept von Anna Stiepani und Anna Wörl eine zentrale Rolle - ein Gerät, das unzählige Schülerinnen und Schüler im Westen wie im Osten (dort wurde ab 1969 der Polylux produziert) mehr oder weniger erfolgreich durch ihre Schulzeit begleitete.

–Nils David Bannert, Nils van der Horst, Daria Lik, Isabella Szendzielorz und Eva-Lina Wenners spielen im schnellen Wechsel Mitglieder der Klasse, Stasi-Offiziere oder Mütter, Georg Zeies die Lehrer und vor allem den wirklich unangenehmen Volksbildungsminister Fritz Lange, der bewusst übergriffig – und schließlich erfolglos - versucht, den oder die "Schuldigen" zu ermitteln.
"Das schweigende Klassenzimmer" auf der Bühne ist weniger die emotionale Würdigung einer tapferen Schulklasse, sondern vor allem die aufschlussreiche Kurzvisite in einem Staat, dessen Gesinnungsterror schon sieben Jahre nach seiner Gründung auf Hochtouren läuft. Und damit ein wichtiger Beitrag gegen das Vergessen.
Die weiteren Vorstellungen: 27. Februar, 14., 15., 21., 27. März, 16., 25., 27. April, 22. Mai. Karten: Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de