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Würzburg: Behörden wollen ihn nach Nigeria abschieben: So geht es Pflegeschüler Osaivbie "Kelvin" Ekogiawe heute

Würzburg

Behörden wollen ihn nach Nigeria abschieben: So geht es Pflegeschüler Osaivbie "Kelvin" Ekogiawe heute

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    Osaivbie Ekogiawe, bekannt als Kelvin, und seine Freundin Elisa Goldberg stehen auf dem Gelände der Würzburger Klara-Oppenheimer-Schule. Dort hat der 20-Jährige vor kurzem dort seine Ausbildung zum Pfleger begonnen. 
    Osaivbie Ekogiawe, bekannt als Kelvin, und seine Freundin Elisa Goldberg stehen auf dem Gelände der Würzburger Klara-Oppenheimer-Schule. Dort hat der 20-Jährige vor kurzem dort seine Ausbildung zum Pfleger begonnen.  Foto: Christoph Weiss

    Vor einem Monat stand die Polizei in Würzburg vor Osaivbie Ekogiawes Tür. Bayerische Behörden wollten den 20-Jährigen, den alle Kelvin nennen, abschieben. Sein Fall machte bundesweit Schlagzeilen - auch weil sich der SV Heidingsfeld, Kelvins Fußballverein, für den Mannschaftskollegen stark gemacht hatte.

    Das Würzburger Verwaltungsgericht setzte die Abschiebung des Nigerianers aus, doch die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) für Unterfranken legte dagegen Beschwerde ein. Jetzt muss der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München das Würzburger Urteil überprüfen. Bestätigt der VGH die Entscheidung, muss die Zentrale Ausländerbehörde Ekogiawes Antrag auf Aufenthaltserlaubnis bearbeiten. Kippt er das Urteil, erlischt der aktuelle Status als Geduldeter. Dem 20-Jährigen droht erneut die Abschiebung.

    In Würzburg seinen Schulabschluss gemacht

    Wie geht es Osaivbie Ekogiawe? Der Nigerianer lebt seit vier Jahren in Würzburg, hat dort die Mittelschule abgeschlossen, im September eine schulische Ausbildung in der Pflege begonnen und ist seit drei Jahren mit Elisa Goldberg zusammen. Die 19-Jährige kommt aus Karlstadt (Lkr. Main-Spessart) und studiert in Würzburg.

    Im Interview sprechen Osaivbie Ekogiawe und Elisa Goldberg darüber, wie sie die vergangenen Wochen erlebt haben, welcher Weg Kelvin nach Deutschland führte – und über den Glauben an Gott.

    Frage: Herr Ekogiawe, die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es Ihnen?

    Osaivbie Ekogiawe: Es geht mir nicht gut. Ich denke sehr viel über die ganze Sache nach. Ich hoffe, dass alles schnell vorbei ist und ich meine Zukunft planen kann.

    Sie kamen in Abschiebehaft, wurden am nächsten Tag wieder entlassen. Wie haben Sie die Zeit bis zur Entscheidung am Würzburger Verwaltungsgericht erlebt?

    Ekogiawe: Es war sehr anstrengend. Ich wollte an dem Dienstag zum Training gehen, fühlte mich aber nicht gut und habe mich hingelegt. Ich habe gerade mit Elisa telefoniert, als es an meiner Zimmertür geklopft hat. Fünf Polizisten sind ins Zimmer gekommen. Sie sagten, dass ich meine Sachen packen und mitkommen müsse. Ich war geschockt. Ich wusste nicht, was los ist. Was soll ich einpacken? Ich habe nur eine Tasche. Ich habe eine Jeans, ein T-Shirt und meine Bibel genommen. Ein Polizist hat zu mir gesagt: "Nur das? Du kommst aber nicht wieder."

    "Warum soll ich aggressiv sein? Ich bin kein schlechter Mensch, ich mache nichts Falsches."

    Osaivbie Ekogiawe über den Abend, als ihm die Polizei Handschellen anlegte 

    Was ging Ihnen da durch den Kopf?

    Ekogiawe: Ich habe gehofft, dass ich wiederkomme. Ich kann doch nicht einfach gehen. Sie haben mir Handschellen angelegt, ich bin mitgegangen. Ein anderer Polizist hat gesagt: "Du bist einfach, trittst nicht, bist nicht aggressiv." Warum soll ich aggressiv sein? Ich bin kein schlechter Mensch, ich mache nichts Falsches, also habe ich keine Angst. Wir sind zur Polizeistation gefahren, von dort habe ich wieder Elisa angerufen. Sie hat gesagt: "Mach dir keine Sorgen, ich rufe die Anwältin an, bleib ruhig." Ich musste in einem kleinen Raum schlafen, es war kalt, ich habe keine Decke gehabt. Ich konnte dort nicht schlafen, ich habe geweint.

    Am nächsten Tag hat am Würzburger Amtsgericht eine nicht-öffentliche Anhörung darüber stattgefunden, ob Sie in "Ausreisegewahrsam" bleiben müssen.

    Ekogiawe: Vor dem Gericht waren viele Menschen, die demonstrierten. Ich konnte es nicht glauben, dass sie das für mich machen. Im Gericht habe ich meine Anwältin getroffen. Sie hat mit dem Richter gesprochen. Danach bekam ich die Handschellen abgenommen und konnte zu meiner Freundin nach draußen gehen. In diesem Moment war ich glücklich.

    Zahlreiche Menschen zogen am 17. Oktober, einen Tag vor der geplanten Abschiebung, durch die Würzburger Innenstadt bis vor das Verwaltungsgericht, das über einen Eilantrag von Kelvins Anwältin gegen die Abschiebung entschied.
    Zahlreiche Menschen zogen am 17. Oktober, einen Tag vor der geplanten Abschiebung, durch die Würzburger Innenstadt bis vor das Verwaltungsgericht, das über einen Eilantrag von Kelvins Anwältin gegen die Abschiebung entschied. Foto: Johannes Kiefer

    Da stand die geplante Abschiebung aber noch im Raum. Über die Eilanträge, die Ihre Anwältin beim Verwaltungsgericht in Würzburg und beim Bundesamt für Flüchtlinge und Migration in Nürnberg eingereicht hatte, wurde erst einen Tag vor dem Abschiebetermin entschieden

    Ekogiawe: Ich hatte an dem Tag eine Schulaufgabe. Ich konnte sie nicht schreiben, ich habe mich sehr schlecht gefühlt, hatte keine Kraft mehr. Ich habe geweint, ich wusste nicht, was ich machen soll. Meine Freundin war bei mir. Sie hat immer gesagt: Wir schaffen das.

    Elisa Goldberg: Wir hatten während der Woche "Bundestag live" geschaut, wo über das Chancen-Aufenthaltsgesetz gesprochen wurde. Ich habe mir die Namen von mehreren Politikern aufgeschrieben und angefangen, ihnen E-Mails zu schreiben. Drei haben tatsächlich geantwortet. Das hat mir neue Hoffnung gegeben.

    Stichwort Hoffnung. Wie erleben Sie die Unterstützung des SV Heidingsfeld, Ihres Fußballvereins?

    Ekogiawe: Ich bin einfach sprachlos. Ich habe das nicht erwartet. Der SV Heidingsfeld ist für mich nicht nur eine Fußballmannschaft, sondern wie eine Familie. Alle kümmern sich um dich, sie sind für dich da, interessieren sich für dich, wollen helfen. Ich fühle mich dort zu Hause.

    Sie kommen aus Nigeria. Wie war das Leben für Sie dort?

    Ekogiawe: In Nigeria habe ich in einem Dorf bei Benin City gelebt, bei meiner Tante. Meine Eltern sind gestorben. Julius ...

    . . .  Sie meinen Osakpolor Iyore, der auch beim SV Heidingsfeld spielt?

    Ekogiawe: Genau. Julius und ich haben in Lagos im Finale der "Copa Coca-Cola" gespielt. Mit Benin City gegen Abuja. Wir haben verloren. Aber ein Talentscout hat uns gesagt, wir seien gut, und er könne uns helfen, in Europa zu spielen. Mit ihm sind wir nach Norrköping in Schweden geflogen, wo wir vorspielen sollten. Wir waren aber zu spät, sie hatten andere genommen.

    Wie ging es weiter?

    Ekogiawe: Wir wollten nicht zurück. Nigeria ist ein großes Land, aber nur für die Reichen. Die schicken ihre Kinder auf Schulen in Europa. Aber wenn du in Nigeria arm bist, hast du gar nichts: keine Schule, kaum Essen. Mein Onkel ist im November vor einem Jahr erschossen worden. Sein Haus ist abgebrannt, weil andere das Land wollten. Julius und ich sind dann von Schweden mit dem Zug nach Frankfurt gefahren. Dort haben wir für einen Monat in einem Camp gewohnt, bis wir nach Würzburg geschickt wurden.

    Das ist ein anderer Weg als der vieler Geflüchteter, die über Libyen und das Mittelmeer versuchen, nach Europa zu kommen.

    Ekogiawe: Ich wollte das auch machen, über Libyen nach Europa. Meine Tante hat gesagt, dass es sehr, sehr gefährlich sei. Es gibt Menschen, die schaffen es, andere nicht. Ich habe nur gedacht, vielleicht kann ich es schaffen. Ich habe Wasser auf der Straße verkauft, aber das Geld hat nicht gereicht. Julius und ich wollten warten, dann haben wir den Talentscout getroffen. Das war Glück.

    Wie war Ihr erster Eindruck von Würzburg? Wie und wann haben Sie begonnen, hier ein neues Leben anzufangen?

    Ekogiawe: Würzburg war für uns eine sehr kleine Stadt. Wir wollten wieder weg. Aber ich habe zu Julius gesagt: Lass uns bleiben und es versuchen, in Würzburg ist es gut und ruhig. Als Erstes haben wir einen Deutschkurs gemacht und sind dann drei Jahre lang zur Schule gegangen. An der Klara-Oppenheimer-Schule haben wir unseren Abschluss gemacht. Im September habe ich die Ausbildung zum Sozialpfleger angefangen. Ich will Menschen helfen. Uns haben auch viele geholfen. Im Januar mache ich ein Praktikum im Seniorenheim, einen Platz suche ich noch.

    Der SV Heidingsfeld macht sich für das Bleiberecht für Osaivbie Ekogiawe stark. Am Sonntag vor der Verhandlung am Würzburger Verwaltungsgericht protestierte die ganze Mannschaft vor dem Kreisliga-Spiel für ihren Mitspieler.
    Der SV Heidingsfeld macht sich für das Bleiberecht für Osaivbie Ekogiawe stark. Am Sonntag vor der Verhandlung am Würzburger Verwaltungsgericht protestierte die ganze Mannschaft vor dem Kreisliga-Spiel für ihren Mitspieler. Foto: Daniel Peter

    Wo haben Sie am Anfang gewohnt und wo wohnen Sie jetzt?

    Ekogiawe: Ich habe ein Jahr in Oberdürrbach gewohnt, dann in einer Jugendunterkunft im Steinbachtal. Mit 18 musst du dort ausziehen. Wenn du einen Aufenthaltstitel hast, kannst du in eine betreute Wohnung gehen oder eine Wohnung suchen. Wenn nicht, kommst du in die Unterkunft in der Veitshöchheimer Straße oder an der Reuterstraße, wo ich jetzt wohne. Ich habe dort ein Zimmer.

    Goldberg: Ich kann Kelvin zu bestimmten Zeiten besuchen, muss mich am Eingang ausweisen. Es gibt Gemeinschaftsbäder und Gemeinschaftsküchen. Es ist dort schwierig, etwas zu zweit zu machen.

    Das Verwaltungsgericht hat die ZAB aufgefordert, über Ihren Antrag auf Aufenthaltserlaubnis zu entscheiden. Aber die Regierung von Unterfranken als zuständige Behörde hat Beschwerde gegen dieses Urteil eingelegt. Wie geht es für Sie beide jetzt weiter?

    Goldberg: Wir müssen abwarten. Wir stehen weiterhin im Kontakt mit der Anwältin, versuchen, ständig erreichbar zu sein. Ich habe mein Handy immer an, auch nachts, dass ich sofort mitbekomme, wenn etwas passiert. Wenn ich das Telefon mal beim Sport für eine Stunde ausschalte, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich was verpassen könnte. Mehr können wir gerade nicht tun. Ich hoffe auf die Politiker, die sich für Kelvin einsetzen. Gleichzeitig wissen wir nicht, wann und wie das Gericht in München entscheidet. Dadurch kommen wir nicht zur Ruhe.

    Ekogiawe: Ich verstehe nicht, wieso sie das machen. Ich versuche, alles richtig zu machen. Ich fühle mich in Deutschland zu Hause, ich gehe zur Schule, will arbeiten.

    "Ich versuche, alles richtig zu machen. Ich fühle mich in Deutschland zu Hause, ich gehe zur Schule, will arbeiten."

    Osaivbie Ekogiawe, der in Würzburg-Heidingsfeld lebt

    Wie erleben Sie die Öffentlichkeit, in der Sie plötzlich und unvermittelt standen?

    Ekogiawe: Wenn ich durch Würzburg laufe, merke ich, dass mich die Menschen erkennen: Das ist der Kelvin. Wenn ich beim Fußball mein blaues Stirnband trage, erkennen mich die anderen Spieler. Die Menschen reden über mich. Das ist alles so unglaublich. In der Schule unterstützen mich die Lehrer. Im Supermarkt hat mich ein Mann angesprochen, ob ich der aus der Zeitung bin. Er hat gesagt, dass er die Daumen drückt, dass ich bleiben kann.

    Sprechen über ihre schwierige Situation - und die Hoffnung auf eine Zukunft in Ruhe: Osaivbie Ekogiawe und Elisa Goldberg.
    Sprechen über ihre schwierige Situation - und die Hoffnung auf eine Zukunft in Ruhe: Osaivbie Ekogiawe und Elisa Goldberg. Foto: Christoph Weiss

    Sie sagten am Anfang des Gesprächs, dass Sie die Bibel eingepackt haben, als die Polizei vor Ihrer Tür stand. Was bedeutet Ihnen die Bibel?

    Ekogiawe: Ich bin Christ und bin in Nigeria in die Kirche gegangen. Ich glaube an Gott. Osaivbie bedeutet: Gott schläft nicht, er passt auf. Wenn ich in einer schwierigen Situation bin, ist Gott bei mir und hilft mir. Ich habe die Bibel immer bei mir. Elisa hat sie mir gegeben, weil ich hier keine hatte. Ich trage auch ein Kommunionkreuz, das ich von ihr bekommen habe.

    Wenn alles vorbei ist, wenn sicher ist, dass Sie hier bleiben können: Was ist Ihr Wunsch?

    Goldberg: Ich habe versprochen, wenn Kelvin seinen Aufenthaltstitel hat, fahren wir zusammen nach Paris. Ich liebe Frankreich. Wir konnten noch nie zusammen irgendwohin fahren. Kelvin möchte dann auch unbedingt umziehen und den Führerschein machen.

    Ekogiawe: Ich möchte Freiheit und in Ruhe leben können, hier eine Zukunft haben. Das wünsche ich mir.

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