Offizieller Übergabe-Termin im neuen „innovativen medizinischen Spezial-Zentrum für Patienten mit Mehrfachbehinderung“ (MZEB): Am Donnerstag trafen sich Ärzte und weitere Fachleute mit Eltern von erwachsenen Patienten mit Behinderung. Das Zentrum, untergebracht in einem Haus des Blindeninstituts in der Ohmstraße, ist nach dem MZEB in München nun das zweite bayernweit und behandelt Patienten weit über Unterfranken hinaus. Laut Statistik kämen allein in Unterfranken 10 000 Patienten in Frage – bayernweit eine Million.
Die Mutter gab nicht auf und machte Ärzten Druck
Wenn Ilonka Schneider (Bewohnerbeirat Blindeninstitut) von der Ärzte- und Kliniken-Odyssee ihrer 42-jährigen Tochter Esther berichtet, ist sie außer sich: Mehrfach erhielt die schwer behinderte 42-Jährige Diagnosen von Fachärzten – nie die richtige. Die taub-blinde geistig behinderte Patientin gab den Ärzten Rätsel auf, weil sie sich nicht verständlich machen konnte, und wurde mit Diagnosen wie Verstopfung versehen und schließlich als psychisch krank weiter geschickt.
Monatelang konnte sie nicht mehr richtig sitzen und laufen und hämmerte Kopf und Fäuste vor Schmerzen gegen die Wand. Ihrer Mutter, die nicht mehr mit ansehen konnte, wie ihre Tochter litt, hat es die erwachsene Patientin zu verdanken, dass ihr noch die Magnetresonanztomographie (MRT), eine Untersuchung in der „Röhre“, zuteil wurde, die sofort Klarheit brachte: Esther Schneider litt an einem doppelten Bandscheibenvorfall. Der konnte nun behandelt werden.
Hätte es das jetzt eröffnete MZEB schon früher gegeben, dann hätte nicht eine verzweifelte Mutter, sondern es hätten vermutlich Fachärzte in kürzester Zeit die richtige Diagnose gestellt. Schwer Mehrfachbehinderte kommunizieren anders als nicht Behinderte: Wer nicht sieht und nicht hört, schafft es oft wenigstens, dem Gegenüber von Hand zu Hand etwas mitzuteilen. Andere Behinderte können auch nicht umfangreich antworten, zumindest aber mit „Ja“ oder „Nein“.
Haus- und Fachärzte kennen derart spezifische und oft individuelle Verständigung in den seltensten Fällen und haben im Alltag kaum Zeit, sich darauf einzulassen. Hier fehlt ein behindertengerechter Zugang, dort wirken enge Flure auf den behinderten Patienten beklemmend. Es fehlen geräumige Toiletten, und lange Wartezeiten lähmen die Geduld des behinderten Patienten – und der anderen.
In den Räumen des Blindeninstituts angesiedelt
Das neue Zentrum ist behindertengerecht mit großen Aufzügen für zwei Etagen im Haus Nummer 8 in der Ohmstraße.
Von 16 Räumen ist einer ein großer Aufenthaltsraum statt eines Wartezimmers. Er bietet eine Klang-Liege, die als Resonanzkörper Musik vibrierend spüren lässt und den Liegenden beruhigen kann, und eine kleine Küche für Begleiter. Dazu kommen acht Diagnose- und Behandlungsräume, EKG, Ultraschall und EEG, eine große Sanitäreinheit und Büro- und Verwaltungszimmer.
Das Personal arbeitet seit Beginn in einem Netzwerk mit Partnern, die sich ihrerseits um Menschen mit Handicap kümmern, zum Beispiel mit der Arbeitsgemeinschaft Wohnen Unterfranken, mit dem Frühdiagnosezentrum der Uniklinik oder auch MainArzt, das sind 34 in 20 Praxen zusammengeschlossene Ärzte, so dessen Geschäftsleiter Heiner Redeker. Kooperationspartner ist auch das neue Klinikum Mitte, an dessen Standort Missionsärztliche Klinik das MRT für die Behinderten eingesetzt wird, wie Dr. med. Johann Paula erläuterte.
Räume, die nicht wie eine Praxis aussehen
Kein Geruch nach Desinfektion; keine weißen Kittel, sondern farbenfrohe Kleidung der Ärzte und Therapeuten im 15-köpfigen Team. Gemeinsam kümmern sich hier Fachärzte wie die Neurologin und Leiterin der Einrichtung Dr. Anja Klafke, die Internistin Dr. Sabrina Ott, der Augenarzt Dr. Gunter Hofmann, die Psychologin Daniela Brückner und demnächst noch eine Psychiaterin und weitere Therapeuten um ihre erwachsenen Schützlinge, die mit dem Alter von 18 Jahren den Kinderärzten und -Kliniken entwachsen sind.
Hintergrund für die Entstehung des Zentrums ist eine im Sommer 2015 vom Bundesrat verabschiedete Gesetzesänderung, die einen Anspruch auf spezifische Gesundheitsleistungen für erwachsene Behinderte im Sozialgesetzbuch SGB V verankerte.
Das Zentrum verzeichnet seit rund drei Wochen, so Leiterin Anja Klafke, bisher etwa eine Anmeldung täglich. Die Patienten werden von Haus- oder Fachärzten hierher überwiesen. Bezahlt werden die Leistungen über die Krankenkassen nach einem vereinbarten Kostensatz.