Christian Müller wirkt bereits auf den ersten Blick flippig und irgendwie stylisch. Nicht nur wegen der Tattoos auf seinen Armen, die farbenfroh und motivreich aus den Ärmeln seines Pullovers hervor schaun. Auch die Wohnungseinrichtungen des 31-Jährigen zeugt von Individualität und – Einfallsreichtum. Denn: Der Hettstadter stellt ganz besondere Möbelstücke her, Kommoden, TV-Schränke, Tische, Regale, Betten, ja ganze Schlafzimmer – aus Europaletten.
Wie kommt man denn darauf? „Ich habe solches Inventar im Internet auf Designer-Seiten entdeckt“, erzählt er und dass er sofort begeistert war. Doch der Kaufpreis von über 400 Euro war ihm entschieden zu hoch. Und da der 31-Jährige gelernter Schreiner ist, griff er kurzerhand selbst zum Werkzeug und zimmerte sich aus Paletten eine Kommode samt Türen und Schubladen.
Das war weitaus günstiger und hatte zudem einen lukrativen Nebeneffekt. Denn als Christian Müller sein Werk im November ins Internet stellte, wurden die Möbel über Nacht zum Selbstläufer. „Ich habe, nachdem das Foto online war, vier Stunden lang Anfragen beantwortet“, sagt er. Aus denen wurden neue Ideen, Konzepte und erste Aufträge. „Plötzlich wollten alle das Schränkchen.“ Seither ist der Eventmanager zeitlich eingespannt. Seine Möbel aus Europaletten verschickt er inzwischen nach ganz Deutschland und auch schon mal international.
„Ich bin immer wieder überrascht, wie sich das Holz verändert.“
Christian Müller Palettenmöbelbauer
Den Transport erleichtert ein ausgeklügeltes Stecksystem. „Die Möbel sind ähnlich eines Baukastensystems zusammenlegbar und können so relativ platzsparend verpackt werden.“ Außerdem wiegt eine Paletten-Kommode gerade einmal etwa 25 Kilogramm. Weiterer Vorteil: Alle Systeme können individuell ergänzt werden.
Dass er noch einmal in seinem Ausbildungsberuf als Schreiner arbeitet, viele Stunden zwischen Schleifmaschine und Stichsäge in einer Werkstatt verbringt, war so gar nicht selbstverständlich, erzählt Müller. „Mein Meister meinte, ich solle das lieber lassen.“ Die Abschlussarbeit war nicht die Beste. So arbeitete er viele Jahre im Einzelhandel und betrieb eine Eventfirma, die Fantasy Factory, unter welcher inzwischen auch die Paletten-Möbel vermarktet werden.
Stapelten sich anfangs die Europaletten noch in seiner Hinterhofgarage, manchmal bis zu 30 Stück auf knapp 15 Quadratmeter, musste Müller bald schon eine Lagerhalle anmieten. Die Auftragszahl wurde immens.
„Die Kunden bringen mir immer neue Ideen.“ Wohnwand, Sideboard, Küchenverkleidung – nichts scheint dem Jungunternehmer unmöglich „Die Herausforderung spornt mich an.“ Für das Bett habe er fast vier Tage gebraucht. Mittlerweile fertigt er fünf Möbel im Paletten-Style pro Tag. „Das schaffe ich nur, dank einer Teilzeithilfe in der Werkstatt.“ Bei der Menge an Bestellungen müssen die Kunden dennoch mit einer Lieferzeit von vier Wochen rechnen.
Direkt neben der Produktionshalle hat sich der Hettstadter eine Wohnung eingerichtet. „Das ist mein Show-Room.“ Fast alles darin ist aus Paletten hergestellt. Selbst die Hundebetten für seine zwei französischen Bulldoggen Pepper und Chili.
Die Paletten kauft Müller bei einer Firma aus Giebelstadt. „Die würden dort normalerweise nur noch zu Sperrholz verarbeitet.“ Und keine Palette gleicht der anderen. „Ich bin immer wieder überrascht, wie sich das Holz verändert.“ Es sei völlig unmöglich, zwei identische Möbelstücke herzustellen, da sich das Holz in Helligkeit und Maserung unterscheidet. „Die Bretter sind alle unterschiedlich.“
Und jede Palette hat ihre eigene Geschichte. „Manche stammen aus China, andere lagerten in großen europäischen Häfen.“ Die verschiedenen Stempelprägungen verleihen dem Mobiliar eine Einzigartigkeit.
Nicht nur das unterscheidet die Einrichtungsgegenstände von denen aus großen Fachgeschäften. „Man kann alles mit dem Holz machen. Mit verschiedenen Farben lasieren, die Paletten in der Größe verkürzen oder verlängern.“ Wer Lust hat, kann seine komplette Wohnung gar damit ausstatten.
Durch bestimmte Lasuren werden die Stücke sogar wetterfest und wasserresistent. Für den Sommer plant Müller daher eine Garten-Kollektion mit Lounge-Möbeln für Innen und Außen. „Sie sollen einen Lederbezug erhalten und zum Beispiel für Events, wie Hochzeiten, verliehen werden.“
Doch für wen eignet sich eigentlich ein solches Europaletten-Mobiliar? „Jüngere wissen es allgemein mehr zu schätzen, Älteren gefällt vor allem der Used-Look“, sagt Müller. Die Möbel seien nicht nur optisch schön, sondern auch Gebrauchsgegenstand.
Worauf Müller besonders stolz ist: Bei ihm sei alles noch Handarbeit – also infolge der regen Nachfrage gewissermaßen „Fließbandproduktion nach Maß“, sagt er schmunzelnd. Da könne es schon auch mal passieren, dass er zu eifrig sei. „Vor einigen Wochen habe ich mich beim Öffnen einer Verpackung tief mit einem Cuttermesser geschnitten. Das musste genäht werden. Ich durfte zwei Tage nicht arbeiten, damit sich nichts entzündet“, erzählt der 31-Jährige. Doch jede Stunde Ausfall reißt ihn im Zeitplan zurück. Umso intensiver staubten die Holzspäne danach wieder in der Garage, wurden Paletten zersägt und individualisiert.
Auch dass die Paletten nie komplett gerade sind, die Hölzer teilweise verschiedene Längen haben und die Einrichtungsgegenstände am Ende doch einheitlich aussehen sollen, kosten ihn Zeit und Kraft. Aber: „Wenn die Leute kommen und sich ihr Möbelstück abholen, sind sie begeistert“, freut sich Müller. Und er selbst freut sich, dass seine Arbeit in eine neue Wohnung einzieht: als, wie er es sieht, bewohnbares Kunstwerk.
Europaletten
Die Holzbretter Eine Europoolpalette (umgangssprachlich: Europalette; in abgekürzter Form auch FP für Flachpalette) kann eine beliebige Palette aus dem Tauschsystem des Europool sein. Typischerweise ist die durch EN 13698-1 genormte, mehrwegfähige Transportpalette mit einer Grundfläche von 0,96 Quadratmeter und den Maßen 1200 × 800 × 144 Millimetern sowie einem Eigengewicht von 20 bis 24 Kilogramm gemeint. Sie wird von 78 Spezialnägeln zusammengehalten (gelegentlich auch 81 Nägel). Eine Europalette ist eine sogenannte Vierwegpalette, d.h., sie kann von allen vier Seiten mit einem automatischen Flurfördergerät, einem Gabelstapler oder Hubwagen aufgenommen und befördert werden.
Geschichtlicher Hintergrund Anfang des Jahres 1961 und in den darauf folgenden Jahren unterzeichneten einige europäische Eisenbahnen, die in der Vereinigung der Internationalen Eisenbahnen (UIC) organisiert sind, einen Vertrag über eine tauschbare Palette, mit dem Namen Europalette. Die unterzeichnenden Eisenbahnen waren zur Einhaltung der Normen, der Herstellung und zur Reparatur der Europaletten verpflichtet. Die Überwachung beziehungsweise die Gewährleistung zum störungsfreien Tausch im EPP (Europäischer Paletten-Pool) wurde vertraglich vereinbart. Mitte der 1970er Jahre hat die Deutsche Bundesbahn ihre Rechte der Zeichen DB, RAL-RG 993, ovales EUR und EPAL an den Europaletten und Eurogitterboxen „Gütegemeinschaft Paletten“ dem heutigen Europäischen Dachverband des EPAL übertragen und die Zeichen wurden somit markenrechtlich geschützt. Mittlerweile gibt es vier verschiedene Marken (WORLD, EPAL, CHEP, LPR), die rechtsverbindlich eingetragen sind und unter denen Europaletten hergestellt werden.