Nach dem Messerangriff in der Würzburger Innenstadt mit drei Toten und mehreren Verletzten haben der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sowie Vertreter von Polizei und Staatsanwaltschaft bei einer Pressekonferenz am Samstag erste Erkenntnisse der Ermittler öffentlich gemacht. Es bleiben aber auch noch einige Fragen offen.
Was ist passiert?
Um 17 Uhr fragt der Täter, ein 24-jähriger Somalier, der barfuß unterwegs ist, im Kaufhaus Woolworth am Würzburger Barbarossaplatz eine Verkäuferin nach Messern. Am Verkaufsstand greift er sich dann eines und sticht eine Frau nieder, so Polizei-Einsatzleiter Martin Wilhelm. Anschließend tötet der Mann noch im Geschäft zwei weitere Frauen mit gezielten Messerstichen. Zudem verletzt er vier weitere Personen, darunter die elfjährige Tochter eines der Todesopfer. Anschließend verlässt er den Laden. Auf dem Barbarossaplatz sticht er auf eine weitere Frau und einen 16-jährigen Jugendlichen mit dem Messer ein. Beide werden verletzt.
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Wie liefen Alarmierung und Festnahme?
Um 17.04 Uhr erreicht die Polizei ein Notruf über die 110, schon zwei Minuten später ist eine erste Streife am Barbarossaplatz. Da haben mutige Passanten den Somalier schon in die Oberthürstraße vertrieben. Zwei Streifenbeamte verfolgen ihn dort. An der Ecke Kolpingstraße stellt sich der Mann den Polizisten mit gezücktem Messer entgegen. Mit einem "gezielten Schuss in die Beine" streckt ein Beamter den Mann "wie im Lehrbuch", so Unterfrankens Polizeipräsident Gerhard Kallert, nieder. Anschließend wird er gefesselt und abgeführt.

Wer sind die Opfer und wie geht es den Überlebenden?
Bei den Todesopfern handelt es sich um drei Frauen: eine 24-Jährige aus dem Landkreis Main-Spessart, eine 49-Jährige aus dem Landkreis Würzburg und eine 82-Jährige aus der Stadt Würzburg. Auch die Schwerverletzten sind überwiegend Frauen: Laut Polizei sind sie 39, 52 und 73 Jahre alt. Außerdem wurden ein elfjähriges Mädchen und ein 16-jähriger Jugendlicher schwer verletzt. Die gute Nachricht: Der Zustand der 39-Jährigen hat sich stabilisiert: Sie befindet sich "nicht mehr in akuter Lebensgefahr", heißt es. Zwei Leichtverletzte – eine 26-jährige Frau und ein 57-jähriger Mann – haben das Krankenhaus bereits wieder verlassen. Erste Meldungen vom Freitag, wonach ein kleiner Junge verletzt worden ist, stimmen nicht.

Wer ist der Täter und hat er allein gehandelt?
Die Ermittler gehen von einem Einzeltäter aus. Bei dem Mann handelt es sich laut Polizei um einen 24-Jährigen aus Somalia mit Wohnsitz in Würzburg. Der Mann ist am 6. Mai 2015 aus dem Bürgerkriegsland eingereist und stellte einen Asylantrag. Er lebte seitdem unter anderem in Chemnitz und Düsseldorf und kam am 4. September 2019 nach Würzburg, wo er in der städtischen Obdachlosenunterkunft wohnt. Er erhielt sogenannten subsidiären Schutz. Das heißt, er hält sich auch als nicht anerkannter Asylbewerber legal in Deutschland auf, weil er aus einem Bürgerkriegsland geflüchtet ist.

War der Täter schon vor der Bluttat am Freitag polizeibekannt?
Ja. Im Januar soll er bei einem Streit in der Obdachlosenunterkunft zu einem Messer gegriffen und es bedrohlich in der Hand gehalten haben, so Wolfgang Gründler von der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg. Worum es bei der Auseinandersetzung mit Mitbewohnern und Verwaltern ging, sagt er nicht. Verletzt worden sei niemand. Die Polizei leitete aber ein Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung und Beleidigung ein, der Somalier kam zunächst vorübergehend in eine Psychiatrie. Das Verfahren laufe weiter, ein psychiatrisches Gutachten steht demnach noch aus.
Im Juni soll der 24-Jährige dann einen Verkehrsteilnehmer in der Würzburger Innenstadt belästigt haben. "Da hat der Beschuldigte ein verstörtes Verhalten mit psychischen Auffälligkeiten gezeigt", sagte Gründler. Der Mann sei erneut in eine Psychiatrie gekommen, aber nach einem Tag wegen fehlenden Behandlungsbedarfes entlassen worden.
Hätte man den Mann dauerhaft in der Psychiatrie unterbringen müssen?
Dies Frage muss im Zuge der weiteren Ermittlungen beantwortet werden, betont Polizeipräsident Kallert. Dass ein psychiatrisches Gutachten zum Zustand des Mannes, das im Zuge des Vorfalls im Januar in Auftrag gegen wurde, bis heute nicht vorliegt, sei Alltag, heißt es seitens der Staatsanwaltschaft.

Was ist das Tatmotiv?
Gesicherte Erkenntnisse dazu liegen noch nicht vor. Es müsse jetzt ermittelt werden, inwiefern die Psyche des 24 Jahre alten Somaliers eine Rolle gespielt habe und inwiefern islamistische Einstellungen zur Tat beigetragen hätten, sagt Innenminister Joachim Herrmann. Möglicherweise spielt auch beides eine Rolle. Wie Polizeipräsident Kallert bestätigt, rief der Täter laut Zeugen sowohl im Kaufhaus als auch später im Krankenhaus, wo seine Schussverletzungen behandelt wurden, mehrfach "Allahu Akbar" ("Gott ist groß"). Dieser Satz wird von islamistischen Terroristen häufig als Schlachtruf verwendet. Auch habe der Täter vom "Dschihad" ("heiliger Krieg") gesprochen, so Kallert.
Medienberichte, wonach bei einer Durchsuchung der Wohnung des Mannes Propagandamaterial der Terrororganisation "Islamischer Staat" gefunden worden sei, bestätigen die Ermittler nicht. Es seien allerdings "Hassschriften" gefunden worden, die nun noch ausgewertet werden müssten. Außerdem untersuche man die Daten von zwei Mobiltelefonen, die beim Täter und in der Obdachlosenunterkunft gefunden wurden.
Der Würzburger Terrorismusexperte Prof. Peter Neumann erklärte im Gespräch mit dieser Redaktion, noch könne man nicht beurteilen, ob es sich bei dem 24-Jährigen um einen islamistischen Terroristen gehandelt hat oder nicht. Dazu müsste man zunächst wissen, wie intensiv und wie lange er sich schon "mit dschihadistischen Inhalten" beschäftigt hat: "Hat er mit anderen darüber gesprochen? Zeigte er in letzter Zeit ein gesteigertes Interesse an dem Thema?"

Wer führt die Ermittlungen?
Die Staatsanwaltschaft Würzburg hat die Federführung bei den Ermittlungen an die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus abgegeben, die bei der Generalstaatsanwaltschaft München angesiedelt ist. Sie soll klären, ob der Täter aus islamistischen Motiven handelte. Die Zentralstelle steht in engem Austausch mit der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Diese wäre zuständig, wenn sich etwa Hinweise auf eine Mitgliedschaft des Verdächtigen in einer terroristischen Vereinigung ergeben würden. Bei der Ermittlungsarbeit werden die Münchner Staatsanwälte vom Landeskriminalamt und Polizeikräften aus Unterfranken unterstützt.
Werden weitere Zeugen gesucht?
Ja. Zwar haben sich bereits unmittelbar nach der Tat am Freitag gleich rund 50 Frauen und Männer bei der Polizei gemeldet, die den Messerangriff miterlebt haben und den Täter gesehen beziehungsweise sogar mit dem Handy gefilmt haben. So eine Unterstützung seitens der Bevölkerung sei nicht selbstverständlich, betont man bei der Polizei. Das ganze Wochenende sind Beamte aus ganz Unterfranken im Einsatz, um die Aussagen aufzunehmen. Gleichwohl sucht die Polizei noch mehr Zeugen, um sich ein möglichst umfassendes Bild von Täter und Taten zu machen. Besonderes gefragt sind Leute, die Angaben machen können, wie der Somalier die Stunden vor der Bluttat verbracht hat.

Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, dass der Täter eine Woolworth-Verkäuferin niedergestochen habe. Die Polizei präzisierte am Samstagabend ihre Angaben: Unter den Todesopfern befanden sich keine Mitarbeiter des Kaufhauses. Die getötete Frau war von Beruf Verkäuferin, aber nicht in dem Kaufhaus beschäftigt.