Das Gespräch führte Alice Natter
Nur wenige Vereine im Freistaat sind so einflussreich wie der Bund Naturschutz. Angesichts von 220 000 Mitgliedern kommt die Politik am BN kaum vorbei. An diesem Samstag wählt Bayerns größter Naturschutzverband nach 16 Jahren bei der Delegiertenversammlung in Eichstätt einen neuen Vorsitzenden: Nach 16 Jahren an der Spitze tritt Chef Hubert Weiger nicht mehr an, er will sich künftig verstärkt um die Arbeit als Vorsitzender des bundesweiten Dachverbands in Berlin, des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), kümmern. Ein Gespräch über Niederlagen und Erfolge in der langen Amtszeit.
Herr Weiger, gleich ganz direkt gefragt: Was war in den 16 Jahren an der Spitze des BN Ihre größte Niederlage, größte Enttäuschung?
Hubert Weiger: Die größte Niederlage war, dass es weder in Bayern noch auf Bundesebene gelungen ist, eine andere Verkehrspolitik mit auf den Weg zu bringen. Dass Planungen, die man schon lange für erledigt geglaubt hat, wieder in neuem Gewande mit einer neuer Begründung ans Tageslicht gekommen sind und politisch massiv versucht wird, sie durchzusetzen. Stichwort Westumfahrung Würzburg. Und das gilt auch für die Bahnpolitik: Es ist nicht gelungen, eine attraktive Flächenbahn mit guter Vertaktung auf den Weg zu bringen. Stattdessen ist das Geld in Hochgeschwindigkeitsstrecken gepumpt worden.
Haben Sie sich vor 16 Jahren Illusionen gemacht?
Weiger: Wir sind ein Automobilbauland. Es gibt eine mächtige Lobby für diese straßenverkehrsfixierte Verkehrspolitik. Es war eine Hoffnung, die ich und viele andere hatten, dass es doch gelingt, mit Hilfe eines wachsenden Umweltbewusstsein die Erkenntnis, dass es so auf Dauer nicht weitergeht, in der Politik umzusetzen. Wir haben es ja nicht einmal geschafft, Tempolimit auf den deutschen Autobahnen durchzusetzen mit der absurden Begründung, man könne ohnehin die Höchstgeschwindigkeit nicht ausnutzen, weil es so viele Baustellen gibt. Bis jetzt sind die Kräfte des Natur- und Umweltschutzes politisch einfach zu schwach. Man verdient mehr an der Zerstörung als an der Erhaltung.
Haben Sie die Hoffnung mittlerweile nicht aufgegeben, dass sich verkehrspolitisch was ändert?
Weiger: Nein, ich habe die Hoffnung natürlich nicht aufgegeben. Das ist ja das Wesen eines Naturschützers, dass er ein grenzenloser Optimist ist, der immer hofft, dass es doch durch allgemeine Einsicht zu umweltverträglichen Entwicklungen kommt. Ich habe aber vor allem deshalb die Hoffnung nicht aufgegeben, weil die Notwendigkeit des Umdenkens immer offensichtlicher wird. Die Staus werden trotz sechs- und achtspurigen Autobahnen nicht kürzer. Beginnend von der immer schlechteren Umweltsituation auch in den Städten wächst der Druck zum Umdenken. Und der Widerstand gegen neue Straßenverkehrsprojekte hat ja nicht abgenommen, sondern zugenommen.
Gleich nach den Niederlagen zu fragen, war etwas fies. Was zählen Sie zu Ihren größten Erfolgen, worüber haben Sie sich am meisten gefreut?
Weiger: Ach, das war ein realistischer Einstieg. Man muss dazu sagen: Erfolge im Naturschutz sind immer Gemeinschaftsleistungen vieler. Das sind nie Erfolge, die auf einen Verband allein oder gar eine einzeln Person zurückgehen. Der größte Erfolg in der Zeit, auch wenn er einen traurigen Anlass hatte, ist sicher, dass es zum Beispiel in Unterfranken kein Atomkraftwerk mehr gibt. Dass auch im Atomenergieland Nummer eins in Deutschland, das war Bayern, der Atomausstieg spätestens 2022 vollzogen ist. Dies ist durch den BN und viele Initiativen für eine ökologische Energiewende möglich geworden. Und ein Erfolg ist, dass es in der Zeit gelungen ist, Bayern gentechnikfrei zu halten. Nicht zuletzt dank des starken Widerstandes der Imker, Bauern, Naturschützer gerade auch in der Region Kitzingen ist es zu völlig neuen Bündnissen gekommen. Bündnisse, die so stark sind, dass auch die CSU ihre gentechnikfreundliche Position erfreulicherweise geändert hat.
Ein Erfolg der Basis also.
Weiger: Was für mich ebenso ein großer Schritt nach vorne ist: Es ist in dieser Zeit gelungen, die Diskussion um einen dritten bayerischen Nationalpark und damit die Chance für einen fränkischen Nationalpark intensiv zu führen. Nachdem zu Beginn großen Mehrheiten dagegen standen, vor allem im Steigerwald, gibt es inzwischen eine Mehrheit auch in der Region für den Nationalpark und viel Sympathie dafür, der Natur ein kleines Stück Fläche selbst zu überlassen. Es gibt auch sonst sehr schöne Schritte nach vorn. Zum Beispiel, dass die Wildkatze inzwischen nicht nur im Spessart und in der Rhön zu Hause ist, sondern sie auch in den Haßbergen, im Steigerwald und in der Frankenalb vorkommt. Auch in der Waldwirtschaft gibt es in der Fläche erfreuliche ökologische Verbesserungen. Leider Gottes nicht in der offenen Agrarlandschaft, wo wir nach wie vor mit hoher Chemieintensität auf allzu großen Feldern konfrontiert sind.
Nationalpark? Das ist aber ein zweifelhaftes Beispiel für einen Erfolg. Der Ministerpräsident hat ihm gerade offiziell die Absage erteilt. Da ist es dem Naturschutz doch gerade nicht gelungen, die Lobbyisten dagegen zu übertönen.
Weiger: Bayern wird mit Sicherheit einen dritten Nationalpark bekommen. Das ist nur eine Frage der Zeit. Dass der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung den Nationalpark im Moment für erledigt erklärt hat, ist zwar nicht erfreulich. Aber auf Dauer wird dadurch ein dritter Nationalpark nicht verhindert. Denn es gibt inzwischen nicht nur Vereine gegen, sondern Vereine, die sich intensiv für einen Nationalpark einsetzen. Und zwar aus der Mitte der Bevölkerung heraus, völlig unabhängig vom Bund Naturschutz. Gegen viele Widerstände und falsche Aussagen ist es gelungen, verstärkt die Öffentlichkeit über einen Nationalpark zu informieren. Deshalb bin ich sehr optimistisch. Dies deshalb, weil der Nationalpark dem großen Mehrheitswillen entspricht. Es ist der Wunsch der bayerischen Bevölkerung, Identität zu haben – dazu zählen für viele Menschen gerade in Franken die Buchenwälder, die Eichenwälder. Das ist das, was sie unter Heimat verstehen. Über kurz oder lang wird ein Ministerpräsident Söder mit Freude sagen: „Wir haben einen dritten Nationalpark.“
Vor fünf Jahren haben Sie in einem Interview mal gesagt, Ihr Ziel sei ein Nationalpark im Steigerwald in zehn Jahren. Fünf Jahre hätten Sie also noch . . .
Weiger: Eben! Wo ich mich aber getäuscht habe, das gebe ich auch gerne zu: Ich habe die Zeit unterschätzt. Die Erfahrung auch mit anderen Nationalparkregionen zeigt: Es dauert.
Sie sind oft „mächtigster Lobbyist Bayerns“ genannt worden. Wie mächtig fühlen Sie sich denn? Oder wie ohnmächtig?
Weiger: Sie haben ja völlig zu recht nach den Niederlagen gefragt. Wenn es zuträfe, dass wir als Verband der mächtigste Lobbyist Bayerns sind, dann müssten wir nicht wehklagen über den Verlust an Landschaft, der sich ja täglich vollzieht, wobei das Schlimmste ist, dass die Natur häufig ohne Not, ohne Grund verändert wird. Solange wir in Bayern täglich fast die Hälfte der Fläche eines landwirtschaftlichen Betriebs überbauen, ist der Naturschutz und erst recht nicht der Bund Naturschutz der mächtigste Lobbyist.
Verstehen Sie sich selber eigentlich als Politiker?
Weiger: Mein Selbstverständnis ist, dass ich natürlich ein politischer Mensch bin. Politik ist aber nicht allein Parteipolitik. Als Vertreter der Zivilgesellschaft, setze ich mich besonders für die Natur und damit für die Sicherung unserer Lebensgrundlagen und damit politisch für Gemeinwohlinteressen ein. Wenn dieses Engagement als „Lobby“ bezeichnet wird, bin ich gerne Lobbyist. Dieser Einsatz schließt auch den Einsatz für alle Tier- und Pflanzenarten ein, die eben nicht an den Verhandlungstischen sitzen, wenn über ihr Schicksal entschieden wird.
Ärgert Sie ein Etikett wie „beruflicher Neinsager“?
Weiger: Es ärgert mich deshalb nicht, weil ich das nicht bin. Zum Wesen der Arbeit des Verbandes, auch meiner eigenen, hat immer gehört, dass wir Alternativen aufzeigen. Dass wir diese scheinbare Alternativlosigkeit politischer Entscheidungen beenden. Es gibt immer Alternativen. Aber sie bedeuten teilweise eben anderes Denken, andere Systeme, andere Wertekategorien. Von daher ist unsere Politik in der Tat ein Widerstand gegen die Zerstörung. Ich bekenne mich zum Neinsagen zur Zerstörung, aber nie ohne Alternativen aufzuzeigen. Wir kümmern uns um die Heimat, im besten Sinne des Wortes.
Und das heißt?
Weiger: Stichwort Prinzip der Nähe: Die Natur ist nicht nur Arbeitsplatz für Landwirte, sondern auch Erholungsraum für alle, die da wohnen. Damit haben wir aber auch Mitverantwortung für die Bauern, indem wir ihnen ihre Flächen nicht zubauen, indem wir ihnen ihre Produkte, die sie in der Region erzeugen, zu einem anständigen Preis nachfragen. Dafür setzen wir uns massiv ein. Und da ist es schon eine Freude zu erleben, dass diese Positionen, die lange Zeit milde als überholt belächelt worden sind, inzwischen durchaus viel Resonanz finden.
Drei schnelle Fragen mit der Bitte um kurze Antworten: Wo hakt es beim Naturschutz in Deutschland heute am meisten?
Weiger: Dass die Entscheidungen gegen die Ziele des Naturschutzes in anderen Ministerien getroffen werden und das Umweltministerium dies nicht verhindern kann.
Was ist in Bayern momentan die größte Umweltsünde?
Weiger: Der tägliche Flächenfraß.
Wo in Bayern sind Sie selbst am liebsten in der Natur unterwegs?
Weiger: Am liebsten im Steigerwald. Er ist für mich mehr geworden als ein „Projekt“.
Was ist Ihre größte Umweltsünde?
Weiger: Dass ich zu viel Papier um mich häufe.
Dann zum Schluss bitte drei Tipps für jedermann, wie man unkompliziert was Gutes für die Umwelt tun kann?
Weiger: Lebensmittel nach ökologischer und regionaler Qualität kaufen, überlegen, ob man tatsächlich das Auto braucht. Und beim Einkaufen schauen, ob das Produkt wirklich sinnvoll ist und ob es den eigenen Ansprüchen, also sozialen und ökologischen Kriterien, Rechnung trägt.
Dr. Hubert Weiger 16 Jahre lang war Hubert Weiger Vorsitzender des Bund Naturschutz (BN) in Bayern, seit 2007 ist er auch Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Der 71-jährige gebürtige Kaufbeurener studierte Forstwissenschaften an der LMU München und promovierte über „Experimentelle Untersuchungen in nordbayerischen Nadelwaldbeständen über den Wasserhaushalt und den Stickstoffaustrag nach Stickstoffdüngungen“. Von 1973 bis 1992 war Weiger Beauftragter für Nordbayern des Bund Naturschutz in Bayern e. V., dann bis 2002 Landesbeauftragter des Bund Naturschutz, Leiter aller Fachreferate und Regionalreferate des Verbandes sowie Leiter der Landesfachgeschäftsstelle in Nürnberg. Im April 2002 wurde er als Nachfolger von Hubert Weinzierl zum 1. Vorsitzender des BN gewählt. Der Umweltschutzfunktionär ist vielfach ausgezeichnet worden: 2006 wurde ihm die Bayerische Staatsmedaille für Verdienste um Umwelt und Gesundheit verliehen. 2009 erhielt Weiger die Bayerische Verfassungsmedaille in Silber, 2010 das Bundesverdienstkreuz am Bande, 2017 bekam er den Umweltpreis der Bundesstiftung Umwelt verliehen. Der 71-Jährige lebt in Fürth.