Wenn Politiker nach ihrem Karriereende die Seite wechseln und die Interessen der Wirtschaft vertreten, gibt es gerne mal kritische Schlagzeilen. So ging es zum Beispiel Ex-Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP), als er 2015 und damit nur gut ein Jahr nach dem Aus als Politiker zum Rüstungs- und Autozulieferer Rheinmetall ging. Sigmar Gabriel, Brigitte Zypries, Stanislaw Tillich, Franz-Josef Jung oder Ronald Pofalla: alles weitere Beispiele für den Seitenwechsel.
In welcher Weise Schröder für BVUK aktiv ist
Am wohl schillerndsten ist der Fall Gerhard Schröder (SPD). Der frühere Bundeskanzler ging wenige Monate nach seiner Abwahl im Jahr 2005 nicht zuletzt wegen der ihm nachgesagten Nähe zum russischen Staatschef Wladimir Putin zum Energiekonzern Gazprom. Er ist noch heute dort aktiv, als Chef des Aktionärsausschusses der Konzerntochter NordStream AG.
Lobbyismus ist hierzulande nicht verboten, stößt aber immer wieder an moralisch-ethische Grenzen. Für Unternehmen wie Wirtschaftsverbände sind die einst einflussreichen Politikerinnen und Politiker äußerst wertvoll, wenn es darum geht, bis hinauf zur Bundesregierung Eigeninteressen durchzusetzen. Schließlich sind all die Schröders, Gabriels und Pofallas nach wie vor gut vernetzt.

Das nutzt auch der BVUK-Verband in Berlin. Die Abkürzung steht für Betriebliche Versorgungswerke für Unternehmen und Kommunen, die zum Versicherungsvermittler BVUK in Würzburg gehören. Der Verband holte Altkanzler Schröder Anfang 2020 in seinen Vorstand.
Seither hat der 77-Jährige offenbar so intensiv für BVUK an Berliner Ministeriumstüren geklopft, dass jetzt die Wochenzeitung "Die Zeit"den Zeigefinger erhob. Die Journalisten Christian Fuchs und Martin Reyher haben zusammen mit der Redaktion von abgeordnetenwatch.de herausgefunden, dass der Altkanzler "seit Frühjahr 2020 mindestens acht Gespräche mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und einigen Ministern" geführt habe. Und dies wohl einige Male "im Auftrag der Maklerfirma", also BVUK in Würzburg, wie es in der aktuellen "Zeit"-Ausgabe vom 2. Dezember heißt.
Steuergelder für Schröder und sein (Lobby-)Büro
Damit nicht genug: "Mit dem designierten Bundeskanzler Olaf Scholz sprach er zwischen August und Oktober 2021 (...) viermal." Für die Autoren ist klar: "Nun ist der Altkanzler auch ein Altersvorsorgekanzler", macht BVUK um Chef Michael Reizel doch mit der Vermittlung von Betriebsrenten Geschäfte. Namhafte Kunden von BVUK sind zum Beispiel Obi, Henkel und das Deutsche Rote Kreuz.
Ein Thema, das Schröder sehr nahe sei, wie in der "Zeit" und bei abgeordnetenwatch.de zu lesen ist. Denn "als Kanzler förderte er ab 2002 die freiwillige Betriebsrente mit großzügigen Steuergeschenken". Ein Großteil der Lobby-Termine Schröders werde von seinem Altkanzler-Büro im Bundestag organisiert. "Finanziert wird dieses Büro von den Steuerzahlern mit über 400 000 Euro pro Jahr", heißt es in dem Bericht.
"Dass wir mit der Politik im Gespräch sind, ist bekannt."
Sprecher Karsten Hintzmann zur Lobbyarbeit von BVUK
Das Büro des Altkanzlers reagierte auf eine Bitte dieser Redaktion um Stellungnahme nicht. Offener ist BVUK-Sprecher Karsten Hintzmann. Der Bericht in der "Zeit" und auf abgeordnetenwatch.de "ist an den Haaren herbeigezogen". An den Spekulationen dort rund um Schröders Lobby-Dienste beteilige sich BVUK nicht. Dass der Altkanzler für die Würzburger in Berlin ungewöhnlich viele Gespräche auf höchster politischer Ebene geführt habe, sieht Hintzmann anders: "Dem ist nicht so."
In dem Bericht wird mehrfach das "Entrecote" erwähnt, wo ein Teil jener Treffen stattgefunden haben soll. In dem Berliner Nobel-Restaurant unweit des ehemaligen Grenzübergangs Checkpoint Charlie kostet die Flasche mit französischem Wein schon mal 420 Euro.
Dass sich Schröder dort auch mit Vizekanzler Scholz traf, ist für BVUK-Sprecher Hintzmann nichts Besonderes. Denn Schröder "ist nicht unser Beschäftigter". Und grundsätzlich gelte: "Dass wir mit der Politik im Gespräch sind, ist bekannt."