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Würzburg: Cap Anamur vor 40 Jahren: Eine Würzburger Ärztin war dabei

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Cap Anamur vor 40 Jahren: Eine Würzburger Ärztin war dabei

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    Das undatierte Archivbild zeigt das deutsche Hilfsschiff "Cap Anamur" im Chinesischen Meer.  Das Deutsche Notärzte-Komitee Cap Anamur feiert dieses Jahr sein 40-jähriges Bestehen. 
    Das undatierte Archivbild zeigt das deutsche Hilfsschiff "Cap Anamur" im Chinesischen Meer. Das Deutsche Notärzte-Komitee Cap Anamur feiert dieses Jahr sein 40-jähriges Bestehen.  Foto: Scharsich, dpa

    Wenn sie heute die Bilder von Geflüchteten auf See sieht, die in kleinen, überfüllten Booten verzweifelt versuchen, ein neues, besseres Leben zu erreichen, fühlt sie sich an die Zeit vor 40 Jahren erinnert. "Seenotrettung ist kein neues Thema, auch damals haben Flüchtlinge versucht über das Meer zu fliehen. Und zum Glück gab es Menschen, die halfen", sagt die Würzburger Ärztin Bärbel Krumme, die viele Jahre am Missionsärztlichen Institut die Arbeitsgruppe „Not und Katastrophenhilfe“ leitete. Sie spielt insbesondere auf das Jahr 1979 an, als viele Vietnamesen, die unter den Repressalien des nordvietnamesischen Ho-Chi-Minh-Regimes litten, die Flucht über das Südchinesische Meer wagten. 

    "Dort waren sie auf seeuntüchtigen Booten unterwegs und neben ihrer Verfolgung durch das Regime an der Küste, Stürmen und den Überfällen von Piraten ausgesetzt", so Krumme, die in ihrem bisherigen Leben immer wieder in verschiedenen Hilfsprojekten in Krisenregionen, vor allem in Afrika und Asien, mitgearbeitet hat.

    Das regelrechte "Ersaufen" der Menschen im Meer konnte der Journalist Rupert Neudeck nicht mit ansehen. Gemeinsam mit seiner Frau Christel und mit Unterstützung des Schriftstellers Heinrich Böll, der das 20. Jahrhundert einmal das "Jahrhundert der Flüchtlinge" genannt hatte,  gründete er das Komitee ein "Schiff für Vietnam". Nach einer sagenhaften Spendenaktion in den Medien charterte Neudeck ein Schiff, das zunächst - in Anlehnung an die Rettungsschiffe der Norweger und Franzosen - "Port de Lumière" hieß und später in die Hilfsorganisation "Cap Anamur- Deutsche Notärzte e.V." überging. Als "Cap Anamur" ging es in die Geschichtsbücher. "Ich bin heute noch beeindruckt, wie hilfsbereit die Menschen angesichts der humanitären Katastrophe waren", sagt die Ärztin im Ruhestand.  

    11.000 Boat-People wurden von der Cap Anamur gerettet

    Der Journalist und Gründer der Hilfsorganisationen Cap Anamur und Grünhelme, Rupert Neudeck, im Jahr 2014. Er starb zwei Jahre später.
    Der Journalist und Gründer der Hilfsorganisationen Cap Anamur und Grünhelme, Rupert Neudeck, im Jahr 2014. Er starb zwei Jahre später. Foto: Oliver Berg, dpa

    Insgesamt etwa  11.0000 vietnamesische Flüchtlinge konnten Rupert Neudeck und sein Team retten. Die sogenannten Boat-People kamen als Kontingentsflüchtlinge (Anmerk. d. Red.: Flüchtlinge, die in festgelegter Anzahl übersiedeln dürfen) nach Deutschland, so Krumme. Es folgten zahlreiche weitere Hilfseinsätze mit der Organsiation Cap Anamur, die bis heute in den Krisengebieten der Welt tätig ist. "Cap Anamur ist das schönste Ergebnis des deutschen Verlangens, niemals wieder feige, sondern immer mutig zu sein", habe Rupert Neudeck einmal gesagt, erinnert sich die Tropenmedizinerin an den 2016 gestorbenen Journalisten. "Er war ein klarer, charismatischer, überzeugender und kompromissloser, tatkräftiger Mensch." 

    "Er war ein klarer, charismatischer, überzeugender, kompromissloser, tatkräftiger Mensch."

    Tropenärztin Bärbel Krumme über den Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck  

    Im gleichen Jahr, als das Schiff gerade gechartert worden war, verbrachte auch Bärbel Krumme als junge Ärztin einige Wochen auf der Cap Anamur. In Singapur ging sie an Bord. Mit Fernrohren hätten sie und ihre Mitstreiter das Meer abgesucht. Krumme erinnert sich, wie verzweifelt, traumatisiert und unterernährt die Menschen waren, die sie aus den kleinen Booten retteten. "Und dennoch waren sie so dankbar", sagt die heute 76-Jährige, die sich auch im Ökumenischen Asylkreis Würzburg für die Seenotrettung einsetzt.

    Seennotrettung früher und heute: Vor 40 Jahren arbeitete die Würzburger Ärztin Bärbel Krumme als Medizinerin auf der Cap Anamur.
    Seennotrettung früher und heute: Vor 40 Jahren arbeitete die Würzburger Ärztin Bärbel Krumme als Medizinerin auf der Cap Anamur. Foto: Johannes Kiefer

    An Bord habe sie sich um die Gesundheit der Menschen gekümmert. "Krankheiten als Folge von Hygienemangel und Unterernährung standen auf der Tagesordnung. Auch das ein oder andere Baby durfte ich mit auf die Welt bringen." Überrascht sei sie über die Struktur im Zusammenleben der Vietnamesen an Bord gewesen. "Sie hatten eine Führungsperson ausgewählt, die alles was wichtig war, koordinierte." Psychisch belastend sei die beengte räumliche Situation an Bord gewesen, "da kochen auch mal Emotionen über", so  Krumme. Zum Glück habe sie nie persönlich erlebt, dass jemand sich das Leben nahm oder an Bord starb.   

    Rupert Neudeck bei einer seiner Missionen. 
    Rupert Neudeck bei einer seiner Missionen.  Foto: dpa

    Zähe Verhandlungen um die Aufnahme von Flüchtlingen

    Betrachtet sie die aktuelle Situation der Seenotrettung im Mittelmeer, fühlt sich die 76-Jährige an damals erinnert. Auch vor 40 Jahren seien mit den Regierungen zähe Verhandlungen um die Aufnahme der Flüchtlinge geführt worden. Doch Neudeck habe mit der Zeit so viele Unterstützer - auch Journalisten und Intellektuelle - gehabt, dass der Druck größer wurde. Damals wie heute habe es Politiker gegeben, die behaupteten, Seenotrettung sei ein so genannter "Pull-Faktor": Die Flüchtlinge gingen aufs Meer, in der Hoffnung gerettet zu werden. "Diese These ist für mich unerträglich. Kein Mensch setzt sich dieser Flucht aus ohne triftige Gründe."

    Krumme ist erschrocken, dass es Politiker gibt, die sogar die Rettung von Geflüchteten verhinderten, indem sie die Anlandung in einem europäischen Hafen verbieten, Hilfsschiffe in europäischen Häfen festhalten und die Helfer kriminalisieren. Positiv würden sich von dieser Einstellung einige lokale Politiker abheben, findet sie. Zu ihnen gehöre auch Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt, findet sie, der während der Irrfahrt der "Sea Watch 3 " die Aufnahme von Geflüchteten in der Domstadt in Aussicht stellte. Überhaupt sei die Hilfsbereitschaft der Bürger damals wie heute wahnsinnig groß und das gebe Mut, sagt Krumme. 

    "Die Nachricht von Toten im Mittelmeer ist nicht mehr zu ertragen."

    Bärbel Krumme, Ärztin im Ruhestand und ihr Leben lang humanitär engagiert in Krisengebieten  

    Die Initiative „Seebrücke – Sichere Häfen“ habe das Seerecht und das Menschenrecht auf Leben und Unversehrtheit auf ihrer Seite, erklärt sie. "Die Nachricht von Toten im Mittelmeer ist nicht mehr zu ertragen, ausgerechnet an unserer nahen, europäischen Küste, durch unser Versäumnis und mangelnde Solidarität verursacht", sagt die 76-Jährige. Sie juckt es auch heute noch in den Fingern, vor Ort zu sein:"Ich habe es immer als sehr bereichernd empfunden, Menschen zu helfen."

    Sorgenvoll betrachtet sie die heutige offene Hetze gegen Migration und Asyl im Internet. "Sie ist eine neue Bedrohung und Herausforderung für die Politik und für die humanitäre Arbeit!", beschreibt sie. Unter ihren Mails sei vor einiger Zeit eine 22-seitige Hetzschrift gewesen "mit vielen Links, um wissenschaftliche Recherchen vorzutäuschen. In der Mail wurde die Seenotrettung kriminalisiert".

    Die Seenot-Bewegung von heute braucht - wie die Cap Anamur vor 40 Jahren- eine Vernetzung mit Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, meint die Medizinerin Bärbel Krumme. 
    Die Seenot-Bewegung von heute braucht - wie die Cap Anamur vor 40 Jahren- eine Vernetzung mit Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, meint die Medizinerin Bärbel Krumme.  Foto: Johannes Kiefer

    Dabei gehe es bei den heutzutage Geretteten noch nicht einmal darum, ein dauerhaftes Bleiberecht zu erwirken, wie bei den Boat-People 1979. Heute gehe es zunächst um Rettung, eine Chance zum Überleben und ein faires Asylverfahren mit individueller Bewertung der Fluchtgründe. "Die Seenot-Bewegung von heute braucht - wie die Cap Anamur vor 40 Jahren- eine Vernetzung mit Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen", ist sich Krumme sicher. Schauspieler, Journalisten, Sänger, Schriftsteller, Philosophen, heute auch Blogger, könnten der Aktion  "Seebrücke – Sichere Häfen" gut tun. "Es muss eine europäische Bewegung werden." Nur so könnten über politische und nationale Grenzen hinweg auch die Politiker der Regierungen mitgenommen werden. 

    Eine Chance für die Zukunft

    "Vor 40 Jahren wussten wir vom Sterben im Südchinesischen Meer weit von Europa entfernt und wollten es nicht hinnehmen. Heute geht es darum, das Sterben in unserem nahen 'Mare Nostrum' nicht mehr zu akzeptieren", appelliert die Medizinerin. 

    Zur Nacht der Offenen Kirchen gibt es am Mittwoch, 2. Oktober, 19 bis 23 Uhr, in der Würzburger Augustinerkirche eine Veranstaltung des Ökumenischen Asylkreises zum Thema Flüchtlinge und Ankommen. Hierbei wird der Original-Rettungsring der Cap Anamur ausgestellt.   

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