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Würzburg: Containern in Würzburg: Warum eine 21-Jährige ihr Essen aus dem Müll holt

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Containern in Würzburg: Warum eine 21-Jährige ihr Essen aus dem Müll holt

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    Die Würzburger Studentin Sophia geht etwa drei Mal wöchentlich containern. Ein Reporter durfte sie dabei begleiten.
    Die Würzburger Studentin Sophia geht etwa drei Mal wöchentlich containern. Ein Reporter durfte sie dabei begleiten. Foto: Moritz Hanl

    Es ist dunkel und kalt, als Sophia (von der Redaktion geänderter Name) sich die Kapuze überzieht und um die Ecke in den Hinterhof einer Einkaufsmarkt-Filiale biegt. Sie wirkt dabei entspannt. Ein grelles Licht springt an. "Das ist ganz normal", sagt die 21-Jährige, ohne die Stimme zu senken. Die Studentin setzt ihren Rucksack ab, holt Tüten heraus, zieht sich Handschuhe an und packt alles, was noch essbar aussieht, in ihre Taschen. "Sortieren und faule Stellen wegschneiden kann ich auch noch Zuhause", erklärt sie, während sie eine angefaulte Gurke in eine Tüte packt. Keine fünf Minuten nach dem Betreten des Hinterhofs, ist Sophia fertig und verlässt ihn wieder. 

    Inwiefern Containern strafbar ist und ob die Polizei Fälle in Würzburg kennt

    Zuhause in ihrer WG angekommen, legt die Lehramts-Studentin die geretteten Lebensmittel auf den Tisch und fängt an nachzubereiten. Sie ist sich bewusst, dass sie mit dem Mülltauchen, auch "containern" genannt, gegen Gesetze verstößt. "Die Strafbarkeit des Containerns dient dem Schutz des Eigentumsgrundrechts", sagt Martin Meilhammer, Polizeihauptkommissar der Polizeiinspektion Würzburg-Stadt, auf Nachfrage der Redaktion. Zwar seien die Lebensmittel weggeworfen, aber eben um sie vernichten zu lassen. "Solange kein Verzichtswille vorliegt, handelt es sich also um Diebstahl", erklärt Meilhammer. 

    Zusätzlich ist Mülltauchen Hausfriedensbruch, sobald es eine Besitzerin oder einen Besitzer für das betretene Gelände gibt. Also beispielsweise sobald sich ein Container auf dem Hinterhof eines Supermarktes befindet. "Werden Mülltonnen gewaltsam geöffnet und dabei beschädigt, kann auch noch eine Sachbeschädigung in Betracht gezogen werden", sagt Meilhammer. Dem Polizeihauptkommissar ist in Würzburg kein Fall von containern bekannt, bei dem es zu einer Anzeige gekommen sei.

    Warum Sophia containert

    Sophia wurde bisher noch nie beim Containern erwischt. Vor etwa zwei Jahren zog sie für ihr Studium nach Würzburg. Mit etwa 17 Jahren fing sie in ihrer Heimat mit dem Containern an. "Als ich herum fragte, wo in Würzburg containert werden kann, wurde ich zum Teil beleidigt", sagt die 21-Jährige. In sozialen Medien seien Begriffe wie "Müllfresserin" oder "Penner" gefallen. Trotzdem ging sie auf eigene Initiative los und schaute bei Supermärkten in den Mülltonnen nach weggeworfenen Lebensmitteln. "Mir ist relativ egal, was das Gesetz oder die Gesellschaft von meinen Handlungen denkt", sagt Sophia, "ich kann nicht akzeptieren, dass Lebensmittel sinnlos verschwendet werden."

    Deshalb geht sie etwa drei Mal die Woche containern. Geldmängel habe sie keine, es ginge ihr ausschließlich um die Moral, die hinter der Lebensmittelverschwendung stehe, so die Studentin. Das gerettete Essen teilt sie mit der WG und Freundinnen und Freunden. "Es ist oft so viel, dass ich es alleine niemals schaffen würde, alles zu verbrauchen", sagt die Würzburgerin. 

    Wie Würzburgs Filialleiterinnen und Filialleiter über "containern" denken

    Die Filialleiter von Würzburger Edeka-, Lidl und Aldi-Märkten antworten auf Nachfrage der Redaktion, dass "containern" in ihren Supermärkten keine Rolle spiele. Stefan Popp, Inhaber des "E-Center Popp" sagt, sein Markt würde den Müll unzugänglich in Müllpressen oder innerhalb der Filiale entsorgen. Der Inhaber des "Edeka Trabold" in Würzburg, Marko Trabold, betont, dass wenig Lebensmittel in den Tonnen landen würden, weil sie an Organisationen wie die "Tafel" oder regionale Bauernhöfe spenden.

    Filialleiter verstößt gegen Vorschriften, um Lebensmittel zu retten

    Die Aussagen eines weiteren Marktleiters hingegen unterscheiden sich von den anderen. Weil er gegen die Vorschriften seiner Supermarktkette verstößt und Repressionen fürchtet, sprach er nur unter der Bedingung der Anonymität mit der Redaktion. "Es tut so weh, Lebensmittel die noch genießbar sind, aufgrund von Vorschriften wegschmeißen zu müssen", sagte er am Telefon. Seine Filiale würde ebenfalls an die "Tafel" und andere Organisationen spenden, "aber Sachen, die das Verbrauchsdatum überschreiten, dürfen wir nicht spenden, ganz unabhängig von deren Zustand." So würden täglich vor allem Fleisch- und Molkereiprodukte in der Tonne landen.

    "Gerade zwischen den Feiertagen, wenn die 'Tafel' nichts abholt, landen locker mal 20 000 bis 30 000 Euro pro Woche in der Tonne."

    Marktleiter einer Würzburger Supermarktfiliale

    "Gerade zwischen den Feiertagen, wenn die "Tafel" nichts abholt, landen locker mal 20 000 bis 30 000 Euro pro Woche in der Tonne", sagt der Marktleiter. Eigentlich sei er verpflichtet, die Container abzusperren, doch das könne er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Über eine Sicherheitskamera habe er bereits gesehen, dass beinahe täglich Menschen zum Containern kommen. Teilweise hat er das Gespräch gesucht. "Sie alle wollen einfach nur Lebensmittel retten und ich möchte sie dabei unterstützen", erklärt der Filialleiter. Bisher habe er mit dieser Strategie nie Ärger gehabt.

    Bei der diesmaligen Aktion rettete Sophia unter anderem Tomaten, Bananen, Kartoffeln und Sellerie vor der Mülltonne.
    Bei der diesmaligen Aktion rettete Sophia unter anderem Tomaten, Bananen, Kartoffeln und Sellerie vor der Mülltonne. Foto: Moritz Hanl

    Auch Sophia lernt immer mehr Menschen kennen, die in Würzburg containern. Teilweise geht sie zusammen mit ihnen Lebensmittel retten, oder es werden sich Hinweise gegeben, wo besonders viel weggeworfen wird. "Ich weiß, dass alle Supermärkte erzählen, sie würden nichts verschwenden, doch die Mülltonnen zeigen etwas anderes", sagt die 21-Jährige. Diesmal hat sie einen Strauch Tomaten, mehrere Kartoffeln und Äpfel, Karotten und viele Bananen gerettet. Das sind laut Sophia Lebensmittel, die fast immer in den Tonnen zu finden sind. Ihre ausgefallenste Erfahrung: "In einem Hinterhof standen vier Container voll mit wunderbaren Lebensmitteln, einer davon komplett gefüllt mit Fleischprodukten." 

    Verein klärt über Konsumverhalten auf und bietet Chance, Lebensmittel legal zu retten 

    Ein Verein, der auch häufig mit Supermärkten und anderen Einrichtungen zusammen arbeitet, heißt "Foodsharing". Er bietet eine legale Möglichkeit, Essen vor der Tonne zu retten. Hanna Dorn ist eine Organisatorin des Vereins. Die 28-Jährige ist seit drei Jahren Mitglied und hat mit etwa 400 Abholungen bei kooperierenden Unternehmen zirka 4500 Kilo Lebensmittel gerettet. 

    "Foodsharing möchte Verbrauchende dazu bewegen, ihr Konsumverhalten mehr zu reflektieren und sich bewusst zu machen, dass viel mehr produziert als verbraucht wird", sagt Dorn. Dafür organisiere der Verein regelmäßig Informationsveranstaltungen. "Die Leute haben viele Vorurteile und sind beispielsweise sehr überrascht, wenn sie sehen, wie gut das sonst weggeworfene Essen noch aussieht", erklärt die 28-Jährige. 

    Junge Würzburgerin kritisiert Politik und spricht von Wegwerfgesellschaft

    Auch Sophia ist immer wieder überrascht, was sie noch alles in Mülltonnen findet: "Teilweise kann ich nicht mal erkennen, warum es im Müll landete." Die Studentin ist deshalb wütend auf die Politik: "Wie kann es sein, dass Lebensmittel wegwerfen erlaubt, aber deren Rettung kriminalisiert wird?" Das würde zwangsläufig zu einer Wegwerfgesellschaft führen. Genau wie "Foodsharing" wünscht sie sich, dass ihre Handlungen überflüssig wären: "Das Ziel ist es, dass keine Lebensmittel mehr verschwendet werden." 

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