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Würzburg: Daniel Osthoff: Gegen den Strom ist genau richtig

Würzburg

Daniel Osthoff: Gegen den Strom ist genau richtig

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    Es geht ihm nicht nur ums Verkaufen von Büchern: Antiquar Daniel Osthoff in seinem Geschäft in der Würzburger Innenstadt. Foto: Patty Varasano
    Es geht ihm nicht nur ums Verkaufen von Büchern: Antiquar Daniel Osthoff in seinem Geschäft in der Würzburger Innenstadt. Foto: Patty Varasano

    Dem Buch ist im digitalen Zeitalter immer wieder mal das Ende vorausgesagt worden, gekommen ist es bekanntlich anders: Gedrucktes wird nach wie vor gekauft, verschenkt und geliebt. Einer, der im Herzen Würzburgs die klassische Buchkultur am Leben hält, ist der Antiquar Daniel Osthoff. Der 59-Jährige betreibt seit 30 Jahren sein Antiquariat gleich hinter Dom und Neumünsterkirche. Aber er  beschränkt sich beileibe nicht nur auf An- und Verkauf: Osthoff ist ein subtiler, aber wirkungsvoller Einmischer, wenn es um Literatur und Kultur in der Stadt Würzburg geht. - Ein Gespräch über Bücher, Würzburger Autoren und das literarische Pflaster dieser Stadt. 

    Frage: Sie waren Ende 20, als Sie mit dem Verkauf antiquarischer Bücher begonnen haben. Junger Mann und alte Bücher - wie ging das zusammen?

    Daniel Osthoff: Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens bin ich als Kind mit meinen Eltern oft im Tessin gewesen. In Ascona gab es ein wunderbares Antiquariat. Dessen alter Inhaber saß immer in einem großen Lehnstuhl - und las. Alles war vollgestopft mit Büchern, das fand ich grandios!  Während des Studiums hatte ich dann viel mit dem 18. Jahrhundert zu tun, auch das hat mich angezogen. Am Ende meines Germanistikstudiums hat mein Vater mich dann gefragt: Was willst du denn eigentlich mal machen? Ich hab gesagt: Ein Antiquariat geht wohl nicht, da bräuchte ich zu viel Geld. Dann gab es eine einstündige Wanderung in den Bergen, danach war die Sache klar: Mein Vater würde mir zwar kein Geld geben, aber für mich bürgen. Und so habe ich noch während des Studiums angefangen, Bücher einzukaufen.

    Als Sie 1988 begonnen haben, gab es zumindest in den größeren Städten verhältnismäßig viele Ladenantiquariate, Kunden erhielten teils dicke Papierkataloge ins Haus. Heute läuft das Hauptgeschäft im Netz. Was bedeutet das Internet fürs Antiquariat: mehr Segen oder mehr Fluch?

    Osthoff: Natürlich war das Ende der 90er Jahre zunächst mal ein Segen. Plötzlich konnte man irgendwelche merkwürdigen Titel, die man zum Teil seit Jahren am Lager hatte, in alle Welt verkaufen. Der Fluch kam dann später, weil viele Kollegen aufgehört hatten, Kataloge zu machen - es lief ja so gut im Internet. Damit haben sie aber auch einen Großteil ihrer Stammkunden verloren. Wir haben das nie gemacht, sondern immer weiter Kataloge herausgegeben. Dann setzte die Übersättigung des Internets ein: Vieles war auf einmal in großer Zahl verfügbar. Auch wir konnten über unsere Kataloge vor allem billige Titel nicht mehr verkaufen. Daraufhin wurden unsere Kataloge immer dünner, immer ausgewählter, auch der Kundenstamm wurde kleiner. Aber dafür arbeiten wir heute mit diesen Kunden, es sind etwa 400, sehr intensiv. Ich glaube, das ist das, was uns über diese Zeiten gerettet hat.

    Welche Auswirkungen hatten diese Veränderungen aufs Sortiment?

    Osthoff: Wir haben bestimmte billige Bücher überhaupt nicht mehr aufgenommen - obwohl das oft gute Bücher waren, sie hatten eben nur keinen Preis. Wir haben uns dann auf seltene und teure Bücher spezialisiert, aber auch auf bestimmte Gebiete: Altphilologie zum Beispiel, oder den Stefan-George-Kreis. Und da das nicht so viele Kollegen machen, haben wir da auch einen großen Markt.

    Mittlerweile lassen sich viele Inhalte, teils auch hoch spezielle und wissenschaftliche, immer irgendwo aus dem Netz ziehen. Haben Sie das im Geschäft gemerkt?

    Osthoff: Das spielt schon eine Rolle. Aber die Möglichkeit, etwas nicht zu besitzen, es aber trotzdem zu haben, gab es ja auch schon früher: mit der Kopie. Wer sich heute etwas aus dem Netz lädt, ist im Grunde genommen der gleiche, der sich früher die Kopien gezogen hat. Nach wie vor gibt es aber die Menschen, die sagen: Ich möchte das Buch haben! Das sind dann die Leute, die eben auch etwas in der Hand halten möchten, die das Buch fühlen, ja sogar riechen möchten.

    Was würden Sie denn einem e-Book-Nutzer sagen, wenn Sie ihn vom klassischen Buch überzeugen wollten?

    Osthoff: Natürlich kann der e-Book-Nutzer  150 Bücher mit an den Strand nehmen. Aber die liest er ja sowieso nicht, höchstens zwei oder drei. Wenn er dann nach 20 Jahren das e-Book wieder in die Hand nehmen sollte, sind Gerät und Text unverändert. Wenn er aber, und sei es nur ein Taschenbuch, ein Buch mit an den Strand nimmt und nach 20 Jahren hinein schaut und es fallen ihm Sandkörner entgegen - dann ist die Erinnerung, dann ist der Urlaub wieder da! Oder gehen Sie mal in eine Autorenlesung. Wie viele Leute stellen sich da an und lassen sich das Buch vom Autor signieren? Da geht es doch auch um mehr als nur den Text.

    Wie hat sich in den vergangenen 30 Jahren die Kundschaft verändert?

    Osthoff: Ziemlich eklatant ist die Veränderung bei den Sammlern. Früher gab es etwa 20 bis 30 richtig heftige Würzburg-Sammler, die alles, was sie nicht besaßen, haben wollten. Davon gibt es heute praktisch niemanden mehr, auch kaum noch jemanden von der Generation, die Stahlstiche an der Wand hängen hat. Und dass jemand nur deshalb kauft, um zum Beispiel Bücher eines bestimmten Verlages vollständig zu haben, das gibt eigentlich auch nicht mehr. 

    Wenn es die Würzburg-Sammler nicht mehr gibt: Interessiert sich denn bei antiquarischen Büchern noch jemand für lokale Themen?

    Osthoff: Ja, aber auf eine völlig andere Art und Weise. Heute wird mehr sachorientiert gekauft. Neulich war zum Beispiel eine junge Frau hier, die sich nach Literatur über Antonio Petrini erkundigt hat. Und es gibt bestimmte preiswerte Bestseller, die wir immer wieder verkaufen, zum Beispiel die drei Würzburg-Bände von Werner Dettelbacher aus den 70er Jahren mit vielen historischen Fotos. Was gar nicht mehr geht, sind dagegen die früher sehr gesuchten vier Bände der Würzburger Chronik aus den 20er Jahren, um nur ein Beispiel zu nennen.

    Die Ladenantiquariate sind fast überall verschwunden, Sie halten an Ihrem fest - warum?

    Osthoff: Ich halte es für wichtig, neben der Virtualität des Geschäftes die Möglichkeit zu bieten, etwas zu sehen, und sei es nur zufällig beim Vorbeigehen. Das gilt auch für die Generation Smartphone. Hier kommen immer wieder mal junge Menschen herein, riechen, fühlen sich wie in einer völlig vergangenen Welt und sind davon begeistert! Die werden natürlich nicht sofort anfangen, Bücher für 500 Euro zu kaufen, aber ich bin davon überzeugt: Da kann etwas wiederkommen. 

    Das Buch hat eine gute Zukunft: Daniel Osthoff im Main-Post-Gespräch. Foto: Patty Varasano
    Das Buch hat eine gute Zukunft: Daniel Osthoff im Main-Post-Gespräch. Foto: Patty Varasano

    Sie sind ja schon bald nach dem Start mit dem Antiquariat auch verlegerisch tätig geworden. Was war der Auslöser dafür?

    Osthoff: Das erste Buch, das wir 1990 gemacht haben, war "Im letzten Wagen" von Leonhard Frank, ein bibliophiler Pressendruck mit einer Originalgrafik, gedruckt in Bleisatz und in 125 Exemplaren. Für mich war das einfach die Lust, an schönen Büchern teilzuhaben! Dann kam ziemlich bald die Max-Dauthendey-Bibliographie, und das hatte seinen Grund: Am Anfang hatte ich ja gedacht, ich komme in meinem Angebot ohne Franconica gut zurecht. Was interessiert mich meine Stadt? Ich mache Literatur! Da wurde ich aber ganz schnell eines Besseren belehrt, denn schon kurz nach der Eröffnung kam Willi Dürrnagel (Würzburg-Sammler und Stadtrat - d. Red.) ins Geschäft. Er sammelte - unter anderem - Dauthendey und hatte bald festgestellt, dass es viele Sachen von Dauthendey gab, die nicht im Wilpert-Gühring (maßgebliches Erstausgabenverzeichnis deutscher Literatur - d. Red.) standen. Also hat er mich motiviert, eine Dauthendey-Bibliographie zu machen. Ich bin dann für eine Woche ins Deutsche Literaturarchiv nach Marbach gefahren und habe alles rausgesucht, was es dort zu dem Autor gab. Und weil kein Verlag die Bibliographie veröffentlicht hätte, habe ich es einfach selber gemacht. Ähnlich lief das mit der Veröffentlichung des herrlich antiklerikalen Dauthendey-Stücks "Die Heidin Geilane", mit der wir sogar ein bisschen Geld verdient haben.

    Hatte Ihre Verlagstätigkeit auch etwas damit zu tun, dass die Stadt Würzburg über lange Zeit hinweg ein etwas gespanntes Verhältnis zu einigen ihrer Autoren hatte?

    Osthoff: Ja, besonders in Bezug auf Leonhard Frank. Ich habe ihn als Autor relativ schnell zu schätzen und auch zu lieben gelernt. Das Irre war: Als wir "Im letzten Wagen" veröffentlicht hatten, kam Max H. von Freeden herein, der ehemalige Leiter des Mainfränkischen Museums, und beschimpfte uns, wie wir nur diesen "Nestbeschmutzer wieder ans Licht zerren" könnten. Und das beflügelte mich natürlich sofort: Jetzt erst recht! Zu diesem Zeitpunkt war der öffentliche Umgang mit Leonhard Frank noch sehr schwierig, der Nestbeschmutzer-Gedanke war noch in den Köpfen. Man muss sich das vorstellen: Es war erst Oberbürgermeisterin Pia Beckmann, die sich 2002 öffentlich für das Verhalten der Stadt und der Stadtverwaltung gegenüber Leonhard Frank entschuldigt hat - 41 Jahre nach seinem Tod. Das zeigt schon, wie das hier war. Deshalb war mir auch die Veröffentlichung der "Heidin Geilane" von Dauthendey so wichtig, in dem es um die Kilianslegende geht. Die meisten Kiliansspiele zeigen den Kilian ja als Märtyrer und die Geilana als Mörderin. Dauthendey hat den Stoff erstmals aus der Perspektive der Frau geschrieben, die gar nicht anders konnte, als Kilian umbringen zu lassen. Das war eine Sichtweise gegen den Strom - und so etwas interessiert mich. 

    Werden fränkische Autoren heute überhaupt noch nachgefragt?

    Osthoff: Also Leonhard Frank und Max Dauthendey allemal, dann kommt lange nix, dann kommt immer noch nix, und dann wird's schwierig. 

    Gibt es einen fränkischen Autor, der heute völlig zu Unrecht vergessen ist? 

    Osthoff: Nein, dann hätte ich ihn schon längst verlegt.

    Schon dreimal gab es das große Lesefest "Würzburg liest ein Buch", das alle zwei Jahre das Buch eines Würzburger Autors bzw. mit Bezug zu Würzburg in den Mittelpunkt stellt. Sie sind im Verein "Würzburg liest" maßgeblich engagiert. Bisher ging es da um Leonhard Frank, Jakob Wassermann und Jehuda Amichai. Das verschafft über mehrere Wochen hinweg hohe Aufmerksamkeit für die Autoren und die Bücher, aber gibt es auch eine Langzeitwirkung?

    Osthoff: Ich sehe da schon eine Langzeitwirkung, zumindest, was Leonhard Frank betrifft. In Würzburg ist es inzwischen nicht mehr ungewöhnlich, dass man ein Buch von Frank an einen Freund verschenkt. Bei Wassermann ist das sicher anders, er war ja auch kein Würzburger, sondern Fürther. Bei Amichai ist es wieder etwas Anderes, zumal hier auch die Schulen gut mitgespielt haben. Da könnte ich mir schon vorstellen, dass es mit Blick auf diesen Dichter in Würzburg mal mehr geben könnte als nur ein kleines Straßenstück zwischen Exerzierplatz und Münzstraße, das keine Hausnummer besitzt. Jehuda Amichai ließe sich im Bewusstsein der Menschen sicher noch mehr verankern. Wir stellen als Verein  ja auch Material zur Verfügung, das zum Beispiel im Unterricht in den Schulen verwendet werden könnte.

    Würzburg ist nicht unbedingt die deutsche Literaturhauptstadt. Besteht nicht die Gefahr, dass "Würzburg liest" irgendwann mal die Autoren ausgehen?

    Osthoff: Auf absehbare Zeit nicht, es sind ja problemlos weitere Autoren denkbar, darunter Felix Fechenbach, Max Dauthendey natürlich oder so "schräge" Autoren wie Jules Siber aus dem okkulten Bereich. Man könnte "Würzburg liest ein Buch" ja auch mal von einem bestimmten Autoren weg bewegen und stattdessen auf ein bestimmtes Thema übertragen, da gibt es genug Stoff.

    Interessiert Sie eigentlich die aktuelle Würzburger Literaturszene?

    Osthoff: Partiell. Ich verfolge zum Beispiel die Literatur von Ulrike Schäfer, die auch den Leonhard-Frank-Preis bekommen hat. Und sonst? Tja, Sie müssen wissen, ich bin kein Krimi-Leser...

    Zur PersonDaniel Osthoff wurde 1959 in München geboren. Er studierte an der Universität Würzburg Germanistik, 1988 eröffnete er sein Antiquariat, in dem auch seine Frau Ursula mitarbeitet.Osthoff ist Mitglied im erweiterten Vorstand der Leonhard-Frank-Gesellschaft. In der 2015  aufgelösten Max-Dauthendey-Gesellschaft war er stellvertretender Vorsitzender. Im Verein "Würzburg liest" ist Osthoff Mitorganisator der Veranstaltungsreihe "Würzburg liest ein Buch". 

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