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Würzburg: "Das Gefühl bleibt, dass es am politischen Willen mangelt": Wofür sich der Würzburger Flüchtlingsrat engagiert

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"Das Gefühl bleibt, dass es am politischen Willen mangelt": Wofür sich der Würzburger Flüchtlingsrat engagiert

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    Seit 2015, dem Beginn des Krieges in Syrien, hat der Flüchtlingsrat viele Forderungen an die Stadt gestellt: Dominique Schmitt, Jürgen Hess und Eva Peteler (von links).
    Seit 2015, dem Beginn des Krieges in Syrien, hat der Flüchtlingsrat viele Forderungen an die Stadt gestellt: Dominique Schmitt, Jürgen Hess und Eva Peteler (von links). Foto: Thomas Obermeier

    Keine Stelle für aufsuchende Sozialarbeit für die überfüllte Gemeinschaftsunterkunft, keine ausreichenden hygienischen Standards und behördliche Prozesse, die viel zu lange dauern: Das seien nur einige Gründe, weshalb der Flüchtlingsrat in Würzburg vor gut zehn Jahren gegründet wurde, sagt Eva Peteler. Und dies seien auch heute noch einige der Missstände, die nicht gelöst sind. Peteler und weitere fünf Ratsmitglieder befassen sich unter anderem mit behördlichen Vorgängen und den Auswirkungen institutioneller Beschlüsse für Geflüchtete. Im Interview geben Mitglieder des Flüchtlingsrats Einblicke in ihre Arbeit.

    Frage: Wie kam es zur Idee, einen Flüchtlingsrat in Würzburg zu gründen?

    Eva Peteler: Der konkrete Anlass war, als vor zehn Jahren viele Geflüchtete über die Balkanroute zu uns kamen. Wir waren schon in der Flüchtlingsarbeit engagiert und erkannten schnell strukturelle Mängel. Geflüchtete wurden oft von einer Unterkunft in die nächste verlegt, was sowohl für Helfer als auch für die Betroffenen schwierig war, da dabei bereits aufgebaute Strukturen zerstört wurden. Auch praktische Herausforderungen, wie fehlende Waschmaschinen oder Kindernahrung, stellten sich. Daher entschieden wir, dass ein lokaler Flüchtlingsrat nötig war, um sich mit behördlichen Vorgängen und institutionellen Beschlüssen auseinanderzusetzen.

    Hat der Flüchtlingsrat eine Art Kontrollfunktion?

    Peteler: Indirekt schon. Wenn man eine Ebene höher arbeitet und nicht nur individuelle Unterstützung bietet, spiegelt man automatisch Missstände. Wir tragen strukturelle Probleme an die zuständigen Stellen heran und machen Verbesserungsvorschläge.

    Können Sie ein Beispiel nennen?

    Peteler: Während der Corona-Zeit haben viele Maßnahmen die Geflüchteten besonders hart getroffen. Es gab damals kein WLAN in Gemeinschaftsunterkünften. Das war fatal, vor allem für die Kinder im Distanzunterricht. Wir haben das Thema sofort aufgegriffen und mit der Stadt und Regierung gesprochen, um Lösungen zu finden.

    2015 kamen viele syrische Geflüchtete zu uns. Wie haben Sie diese Zeit als frisch gegründeter Flüchtlingsrat erlebt?

    Jürgen Hess: Die Gemeinschaftsunterkünfte waren überfüllt, und selbst Beratungsräume wurden als Schlafräume genutzt. Wir mussten Struktur ins Chaos bringen, Informationen sortieren und eine Plattform schaffen, um Geflüchteten und Helfern Orientierung zu bieten. Es ging darum, Sprachkurse zu organisieren und Ansprechpartner bei den Behörden zu finden. Das war eine wilde Zeit, in der vieles parallel laufen musste.

    Hat diese Zeit strukturelle Mängel offengelegt?

    Hess: Absolut. Plötzlich waren viele Menschen da, aber die Versorgungsstrukturen fehlten, da Unterkünfte zuvor ohne langfristige Planung aufgelöst worden waren. Geflüchtete wurden ständig verlegt und erhielten oft keine existenzielle Post vom Bundesamt mehr, da niemand wusste, wo sie untergebracht waren. Wir versuchten, Lösungen für solche Probleme zu finden.

    Der Würzburger Flüchtlingsrat in der Würzburger Innenstadt (von links): Jürgen Hess, Burkhard Hose, Eva Peteler, Andre Spiegel, Melissa Silva und Dominique Schmitt.
    Der Würzburger Flüchtlingsrat in der Würzburger Innenstadt (von links): Jürgen Hess, Burkhard Hose, Eva Peteler, Andre Spiegel, Melissa Silva und Dominique Schmitt. Foto: Flüchtlingsrat

    Was müsste sich verbessern, um solche Zustände künftig zu vermeiden?

    Hess: Wir fordern seit Langem eine zentrale Koordinationsstelle für Geflüchtete in der Stadt, wo alle Fäden zusammenlaufen, mit qualifizierten Mitarbeitenden, die bei Problemen helfen. Zudem gibt es in anderen Städten eine App namens "integreat", eine digitale Infobroschüre für Helfer und Geflüchtete. Wir haben das bei der Stadt angeregt, aber bisher ist nichts passiert.

    Weshalb?

    Peteler: Es gibt bereits mehr als hundert Kommunen und Landkreise, die diese App nutzen und sehr gute Erfahrungen damit machen. Diese Schnittstelle wäre entscheidend, um nicht nur für die Geflüchteten, sondern für alle Migrantinnen und Migranten, die neu in der Stadt sind, die Orientierung und Teilhabe an der Gesellschaft zu erleichtern. Wichtige Informationen könnten einfach und übersichtlich abgerufen werden. Dass die Stadt diese App noch nicht eingeführt hat, halte ich für beschämend.

    Wie hat der Krieg in der Ukraine die Arbeit beeinflusst?

    Peteler: Wir arbeiten nicht direkt mit ukrainischen Flüchtlingen, da es für sie bereits viele Strukturen gibt, die für andere Geflüchtete fehlen. Es fiel damals auf, dass plötzlich Wohnungen verfügbar waren, die zuvor für Geflüchtete aus anderen Ländern nicht bereitstanden. Es war schockierend, wie schnell zivilgesellschaftliche Ressourcen mobilisiert wurden, die Geflüchteten aus anderen Ländern versagt bleiben. Auch wenn ich den ukrainischen Geflüchteten die Hilfe gönne, schmerzt es, an die vernachlässigten Menschen in der Gemeinschaftsunterkunft zu denken. Die Behörden haben diese Unterschiede nicht gemacht und betont, dass ihnen die unterschiedliche Reaktion der Gesellschaft missfällt.

    Können Sie auch von Erfolgen berichten?

    Hess: Ein sichtbarer Erfolg, den nicht die Stadt, sondern die Regierung ermöglicht hat, ist die Schaffung einer eigenen Unterkunft für einen bestimmten vulnerablen Personenkreis. Viele dieser Menschen hatten in Gemeinschaftsunterkünften Gewalt erfahren und brauchten einen Schutzraum. Aber es gibt auch viele Rückschläge. Die dringend geforderte aufsuchende Sozialarbeit bleibt aus, was gerade in der Veitshöchheimer Straße dringend nötig wäre.

    Welche Rückschläge haben sie noch erlebt?

    Dominique Schmitt: Nach dem Messerangriff am Barbarossaplatz wurde von der Stadt sehr medienwirksam ein Psycho-Soziales- Zentrum angekündigt, doch entstanden ist nur eine Initiative des Roten Kreuzes. Es gibt kein Psycho-Soziales-Zentrum mit einem angemessenen Personalschlüssel, und die Initiativen, die zuvor aktiv waren, zogen sich zurück im Glauben, ein solches Zentrum würde Entlastung bieten. Daher fordern wir eine klare Kommunikation von der Stadt, damit solche falschen Signale vermieden werden.

    Eva: Ein weiteres Beispiel ist "fit4moove". Es ist ein wichtiges Projekt, die Beteiligten haben Expertise und Vernetzung aufgebaut, aber nun steht es wegen fehlender Finanzierungsbereitschaft der politisch Verantwortlichen vor dem Aus. Das ist für Geflüchtete fatal, da dies oft ihre einzige Möglichkeit war, eine Wohnung zu finden.

    Wie blicken Sie auf die Zukunft Ihrer Arbeit?

    Peteler: Unser wichtigstes Ziel bleibt, dass sich in den Gemeinschaftsunterkünften strukturell etwas ändert. Und das Gefühl bleibt, dass es am politischen Willen mangelt, wichtige Dinge voranzubringen. Es erfordert wirklich eine hohe Frustrationstoleranz, unsere Arbeit fortzusetzen.

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