Das schwarze Schaf eckt immer an, tanzt aus der Reihe, hat seinen eigenen Kopf. Für das Zusammenleben in der Familie kann das eine Belastung sein. Andreas Schrappe ist Psychologe und Leiter des Evangelischen Beratungszentrums der Diakonie in Würzburg. Er erklärt im Interview, wie er schwarze Schafe und ihre Herde wieder zusammenführt.
Wird ein Mensch als "schwarzes Schaf" geboren?
Schrappe: In der freien Natur: ja. Bei den Menschen: nein. Ein Kind kommt in diese Welt und und sieht sich erst einmal die Situation in der Familie an: Es schaut, wo zum Beispiel die Geschwisterkinder noch Lücken gelassen haben in ihren Eigenschaften und Verhaltensweisen. Das Kind erkennt: Hier habe ich eine Möglichkeit, eine Individualität auszubilden. Das können dann Lücken sein, die in der Familie nicht gut angesehen werden und den Kindern Ärger und Ablehnung von den Eltern einbringen.
Was macht ein "schwarzes Schaf" aus?
Die Ursache ist oft nur eine einzelne Eigenschaft, ein Charakterzug, der einen Menschen maßgeblich unterscheidet von seinen Eltern, seinen Geschwister, seiner Familie. Problematisch wird es, wenn dieses Verhalten verallgemeinert wird. Wenn man also nicht mehr eine einzelne Handlung einer Person betrachtet und kritisiert, sondern man direkt sagt: "So läuft das immer mit dem."
Wer trägt die Schuld?
Wie so oft in der Psychologie haben beide Seiten daran ihren Anteil. Vieles im Leben bewegt sich zwischen zwei Polen. Es gibt zum Beispiel Menschen, die extrem pflichtbewusst sind, und andere, die übermäßig entspannt an Aufgaben heran gehen. Immer nur das eine Extrem zu leben ist nicht sinnvoll. Ideal ist es, wenn man seine Verantwortungen ernst nimmt, aber auch mal fünfe gerade sein lassen kann. In manchen Familien wird aber nur das eine Extrem gepflegt. Das Risiko ist hoch, dass derjenige ausgegrenzt wird, der von diesem zentralen Wert einer Familie ins Gegenteil abweicht - obwohl dadurch eigentlich nur die Balance zwischen den zwei Polen in der Familie wieder hergestellt wird.
Ein Familienmitglied kann sich aber aber auch bewusst dafür entscheiden, anders zu sein als die Familie. Es geht das Risiko ein, dann als "schwarzes Schaf" behandelt zu werden. Manchen gefällt das.
Welches Verhältnis haben "schwarze Schafe" und ihre Geschwisterkinder?
Die Geschwister merken oft, dass sie im Vorteil sind. Manche genießen das, und das kann man ihnen kaum verdenken. Ich habe aber auch schon Geschwister erlebt, die sich auf die Seite des Ausgegrenzten geschlagen haben: "Der gehört zu uns, ist Teil unserer Geschwisterriege."
Wie spreche ich so ein Problem in meiner Familie an?
Gut ist es, in der "Wir"-Form zu sprechen. Also etwa "Wir haben hier im Moment eine Situation,..." oder "Lasst uns nach einer Lösung suchen." Es ist wichtig, eine Bezeichnung für das Problem zu finden, die ohne Vorwürfe auskommt.
Wann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem eine Familie professionelle Hilfe braucht?
Grundsätzlich lieber früher als später: Wenn die Verletzungen erst passiert sind, wenn sich eine Routine entwickelt hat, dann haben wir in der Beratung am Ende die doppelte Arbeit. Wenn die ersten zwei, drei Lösungsversuche innerhalb der Familie keinen Erfolg gebracht haben, könnte die Zeit für eine Beratung gekommen sein: sich also für ein überschaubare Zeit Hilfe zu holen und dann selbst an dem Problem weiterarbeiten. In unserem Verständnis bedeutet ein "Problem" einfach nur, dass eine Familie sich entwickeln muss.

Wie helfen Sie betroffenen Familien? Als erstes arbeite ich heraus, welche Eigenschaft das "schwarze Schaf" so grundlegend von seiner Familie unterscheidet. Ich versuche, dafür Worte zu finden, die nicht gleich wertend, sondern eher beschreibend sind. Den Eltern versuche ich dann zu zeigen, dass das Abweichen des "schwarzes Schafes" vom Kurs der Familie auch einen positiven Effekt auf die Familie haben kann. Nehmen wir zum Beispiel einen Konflikt zwischen einer Mutter und ihrer Tochter: Die Mutter opfert sich auf für die Familie, stellt die eigenen Bedürfnisse hinten an. Die Tochter, das "schwarze Schaf", schaut nur auf sich. Wenn eine Beratung gut liefe, würde die Muter erkennen, warum sie so genervt vom Verhalten der Tochter ist: Vielleicht, weil sie selbst auch gerne mehr Zeit für sich selbst hätte, sich aber nicht traut, ihre eigenen Wünsche umzusetzen. Mit welchen Ideen helfen Sie den Eltern zu dieser Erkenntnis? Oft hilft zum Beispiel ein Gang durch die Biografie. Ich frage also die Eltern: "Wie waren Sie denn so als Jugendlicher, in dem Alter, in dem Ihr Kind gerade ist?" Da kommen überraschende Dinge zum Vorschein, denn in fast jedem Menschen schlummert eine ungelebte Seite. Ich nehme auch gern die einseitige Sicht der Eltern auf das "schwarze Schaf" aufs Korn, arbeite mit Humor und Übertreibungen. Letztendlich reden wir hier ja immer von Übertreibungen, denn kein "schwarzes Schaf" ist wirklich zu 100 Prozent schwarz. Was kann das Ergebnis sein? So kann man Zuschreibungsprozesse aufbrechen und das System verwirren. Die Eltern überdenken dann ihr Wertesystem, setzen es neu und vielfältiger zusammen. Das kann schon einen großen Einfluss auf die Jugendlichen haben, zum Beispiel, weil die Eltern nicht mehr wie bisher so heftig reagieren, wenn das Kind wieder mit seiner besonderen Eigenschaft auffällt. Kann ein "schwarzes Schaf" auch etwas positives sein? Wir helfen den "schwarzen Schafen", ihr eigenes Potential zu erkennen. Sich zu sagen "Ich bin ein buntes Schaf, ich kann zu meiner eintönigen Herde etwas beitragen." Manche schaffen es auch, aus dieser Erfahrung eine innere Autonomie zu entwickeln. Indem sie sich von ihren Eltern, ihrer Familie lösen, lernen sie, aus sich und ihren anderen Beziehungen Kraft zu gewinnen. Tipps für "schwarze Schafe" und ihre Familien Für Eltern: Betrachten Sie immer die konkrete Situation. Statt zu sagen: "Ist ja typisch, dass du wieder zu spät kommst" lieber "Ich habe mich heute geärgert, weil du später gekommen bist, als wir vereinbart hatten." Versuchen Sie, in der störenden Eigenschaft des Kindes auch etwas positives zu erkennen. Verstärken Sie die schwierige Eigenschaft Ihres Kindes nicht, indem sie bestimmten Verhaltensweisen zusätzliche Aufmerksamkeit schenken. Legen Sie den Fokus auf die positiven Eigenschaften des Kindes. Fragen Sie sich, woher diese Eigenschaft ihres Kindes kommen könnte: Haben Sie sich in dem Altern vielleicht ähnlich verhalten? Für die "schwarzen Schafe": Halten Sie sich an Menschen außerhalb ihrer Familie: Die sehen Sie mit anderen Augen, können Sie anders einordnen und Ihnen Selbstwert geben. Versuchen Sie, das Positive in Ihrer Andersartigkeit zu erkennen.