Heftig diskutiert wird momentan, ob und wie es mit dem 9-Euro-Ticket weitergeht. Von Juni bis August konnten und können Bus- und Bahnfahrer damit für neun Euro pro Monat bundesweit den Nah- und Regionalverkehr nutzen. Damit will die Bundesregierung Pendlerinnen und Pendler unterstützen, weil die Energiepreise stark gestiegen sind. Gekauft ist das Ticket schnell. Doch bringt das Sonderangebot in Unterfranken den erhofften Effekt? Eine Spurensuche.
Wenn Menschen wegen des 9-Euro-Tickets mehr mit Bus oder Bahn und dafür weniger mit dem Auto fahren, ist auf den Straßen weniger los. Aussagekräfte Studien darüber, wie sich der Verkehr seit der Einführung des 9-Euro-Tickets verändert hat, gibt es bislang nicht. Doch Analytiker des Verkehrsdatenspezialisten TomTom werteten zusammen mit dieser Redaktion erstmals für ausgewählte Städte in Unterfranken Verkehrsdaten aus. Die Daten sind allerdings mit Vorsicht zu interpretieren.
Wie haben die Experten die Daten ermittelt?
Experten von TomTom werteten Daten aus Navigationsgeräten und Handys von Autofahrerinnen und Autofahrern aus. Dafür muss das GPS-Gerät, von dem die Daten stammten, keine aktive Navigation nutzen. Es reicht beispielsweise, wenn auf einem Smartphone die GPS-Funktion aktiviert ist und der Nutzer der Weitergabe seiner anonymisierten Daten aktiv zugestimmt hat. Daraus haben Experten sogenannte Start-Ziel-Analysen zwischen Würzburg sowie Schweinfurt, Kitzingen und Lohr (Lkr. Main-Spessart) erstellt. Sie haben von Mai bis Mitte Juli wochenweise ermittelt, wie sich die Zahl der Fahrzeuge veränderte, die dort losgefahren und angekommen sind.
Die Daten lassen sich getrennt nach Arbeitstagen (Montag bis Freitag) und Wochenende (Samstag und Sonntag) auswerten. Auch ob die Fahrt morgens (zwischen 6 Uhr und 10 Uhr) oder abends (zwischen 18 Uhr und 22 Uhr) stattgefunden hat, lässt sich analysieren.
Warum wurden manche Wochen nicht berücksichtigt?
Feiertage und Schulferien haben einen großen Einfluss auf den Verkehr und verzerren den Erfahrungen der Datenexperten nach die Ergebnisse. Daher wurden die Zeiträume von 23. bis 29. Mai (wegen Christi Himmelfahrt) und von 6. bis 19. Juni (wegen Pfingstferien in Bayern) bei der Analyse nicht berücksichtigt. Die Woche von 30. Mai bis 5. Juni wurde ebenfalls nicht in die Analyse aufgenommen, da im Laufe dieser Woche das 9-Euro-Ticket eingeführt wurde und TomTom aufgrund der verwendeten Methode nicht nach Fahrten an einzelnen Tagen unterscheiden kann.
Welche Rückschlüsse lassen die Daten zu?
Schon vor der Einführung des 9-Euro-Tickets sehen Analysten "teils deutliche Schwankungen bei der Zahl der Fahrten aus Kitzingen und Schweinfurt nach Würzburg", teilen sie auf Anfrage der Redaktion mit. Ein zentrales Ergebnis lässt sich dennoch festhalten: "In der dritten Woche nach Einführung des 9-Euro-Tickets zeigen die Daten von TomTom während des Berufsverkehrs am Morgen nach Würzburg einen teils deutlichen Rückgang der Anzahl der Autofahrten."
Eine Ausnahme bildet die Woche von 4. bis 10. Juli in Kitzingen: Hier lag die Zahl der ermittelten Fahrten morgens deutlich über dem Wert aus der Vergleichswoche von 16. bis 22. Mai. Eine mögliche Ursache: In der Nacht auf den 8. Juli gab es Regen und Sturmböen. Nur 8,6 Grad Celsius zeigte das Thermometer an dem Morgen in Kitzingen an.

"Für den Autoverkehr nach Würzburg über den gesamten Tag betrachtet, zeichnet sich der Trend aus dem Berufsverkehr am Morgen nicht nach", sagen die Experten. Die Daten für Lohr weisen ebenfalls nicht den gleichen Trend auf, wie ihn die Daten für Kitzingen und Schweinfurt zeigen. Insgesamt sei die Probenzahl für Lohr am Main aber zu klein, um belastbare Aussagen zu treffen.
"Auch an den Wochenenden ging der Trend nach Einführung des 9-Euro-Tickets zunächst in Richtung weniger Autofahrten nach Würzburg", halten die Experten fest. Mit der Zeit habe sich dieser Trend jedoch abgeschwächt und in der Woche von 11. bis 17. Juli ist er schließlich ganz zum Erliegen gekommen.
Warum ist die Interpretation der Daten schwierig?
Es gibt viele Faktoren, die beeinflussen, wie viele Menschen auf den Straßen in Unterfranken unterwegs sind. Um nur einige Beispiele zu nennen: Entwicklung der Spritpreise, Baustellen, Wetter, Urlaubszeit und nicht zuletzt Veranstaltungen wie beispielsweise das Würzburger Volksfest Kiliani, das in der ersten Juli-Hälfte stattfand. Zudem bildet die Auswahl der untersuchten Städte natürlich nur einen sehr geringen Teil der Pendlerströme in Unterfranken ab.
Welche weiteren Untersuchungen zu den Auswirkungen des 9-Euro-Tickets gibt es?
Die Nachfrage nach Bussen und Bahnen ist gestiegen. "Das Ticket führt zu einer höheren Nutzung des Öffentlichen Verkehrs, aber vor allem selektiv auf bestimmten Strecken", sagt Christian Böttger, Bahn-Experte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW). Rund ein Viertel der im ÖPNV angetretenen Fahrten wäre ohne das Ticket gar nicht erst gemacht worden, ermittelte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Es handelt sich oft um "Freizeitfahrten", also um zusätzliche Reisen und nicht um Ersatzfahrten, die sonst mit dem Auto gemacht worden wären. "Aus den bisherigen Untersuchungen lässt sich nur ein leichter Verlagerungseffekt von der Straße auf den Öffentlichen Verkehr von bestenfalls zwei bis drei Prozent erkennen", sagt HTW-Forscher Böttger.

Das deckt sich mit ersten Ergebnissen einer Studie aus dem Großraum München, die unter anderem die Bewegungsdaten Hunderter Teilnehmer auswertet. Sie kam zum Schluss, dass 35 Prozent der Probanden häufiger mit Bus und Bahn fuhren – aber nur drei Prozent ihr eigenes Fahrzeug seltener nutzten. Allerdings stellten die Forscher eine gewisse dämpfende Wirkung auf den Straßenverkehr in München fest. Statt im Juni – wie üblich – leicht zu steigen, ging er um drei Prozent zurück.