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Würzburg/Lohr: "Den typischen Konsumenten gibt es nicht": Unterwegs in der unterfränkischen Drogenszene

Würzburg/Lohr

"Den typischen Konsumenten gibt es nicht": Unterwegs in der unterfränkischen Drogenszene

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    Auch in Unterfranken greifen viele Feiernde zu Drogen.
    Auch in Unterfranken greifen viele Feiernde zu Drogen. Foto: Getty Images (Symbolbild)

    Längst ist die Nacht über Würzburg hereingebrochen, als ein beliebter Techno Club seine Türen öffnet. Der dumpfe Bass und die flirrenden Lichter laden zum Tanzen ein. Inmitten des Feiervolkes fällt der Blick auf einen jungen Mann: freier Oberkörper, Sonnenbrille. Sein Unterkiefer bewegt sich hektisch, ganz so, als ob er mit seinen Zähnen etwas mahlen würde.  

    Nur wenige Minuten später erzählt er im Raucherbereich: "Wenn man eine leichte Überdosis Ecstasy nimmt, dann kickt es so richtig." Eine Nebenwirkung der Tabletten sei, dass sich der Kiefer unwillkürlich bewegt.

    Dann deutet er auf eine kleine Gruppe von Frauen. Manche von ihnen halten Lollis in der Hand. "Die helfen gegen das Kiefern", versichert er. Viele hier würden die aufputschende Partydroge konsumieren. Eine chemisch hergestellte Substanz, die mit Amphetamin verwandt ist und halluzinogen wirken kann. Wer nichts dabei hat, komme im Club relativ einfach heran. "Über zwei oder drei Leute spätestens", sagt er und lächelt.

    Junge Menschen verharmlosen den Konsum harter Drogen im Netz

    Andere Besucherinnen und Besucher dagegen berichten von strengen Kontrollen im Club. Das Sicherheitspersonal überprüfe beim Einlass minutiös die Taschen und klopfe in den Toiletten die Türen auf, wenn etwas Auffälliges vor sich geht. "Es geht oft nur noch um den Konsum von Drogen und kaum noch um die Musik", beklagt eine zierliche blonde Frau. Ihre Freunde nicken zustimmend. 

    Mehr Gefühle, mehr Ausdauer, mehr Lebensgefahr: Illegale Drogen sind besonders unter jungen Erwachsenen weit verbreitet.
    Mehr Gefühle, mehr Ausdauer, mehr Lebensgefahr: Illegale Drogen sind besonders unter jungen Erwachsenen weit verbreitet. Foto: Sophia Kembowski, dpa (Symbolbild)

    Freizügigkeit und Drogenkonsum seien nicht mehr nur eine individuelle Entscheidung, sondern Teil eines kollektiven Trends. Viele kämen nur deshalb her, weil im sozialen Netzwerk TikTok Videos kursieren, die zum Drogenkonsum animieren, erzählt sie.

    Manche Leute filmten sich tanzend und berauscht, um die Clips dann ins Netz zu stellen. Dabei werde der Drogenkonsum massiv verharmlost, wirft ein junger Handwerker ein, der das Gespräch mitverfolgt: "Es geht nur noch um schneller, härter, ekstatischer". 

    "Es wird über alle Schichten hinweg konsumiert."

    Dominikus Bönsch, Leiter der Psychiatrie und Suchtklinik in Lohr

    Eine 18-jährige Mechanikerin hingegen sagt, dass das nicht ihr Motiv sei. Harte Drogen nehme sie, um eine gute Zeit mit ihren Freunden zu haben. Über ältere Bekannte, die selbst regelmäßig konsumieren, sei sie damit in Kontakt gekommen. Das Betäubungsmittel Ketamin, Ecstasy (MDMA), Cannabis, Lachgas und Kokain habe sie in den letzten Monaten schon ausprobiert, erzählt sie und zieht beiläufig einen Joint aus einem Zigarettenetui, der bald weitergereicht wird.

    Ein Mann zündet sich eine Haschisch-Zigarette an. 
    Ein Mann zündet sich eine Haschisch-Zigarette an.  Foto: Hannes P. Albert, dpa (Symbolbild)

    Von der schillernden Clubwelt geht es in die Stille der Suchtklinik in Lohr (Lkr. Main-Spessart). Dass das Umfeld einen starken Einfluss darauf hat, ob jemand zu Drogen greift, weiß der Psychiater und Leiter der Einrichtung, Dominikus Bönsch, aus jahrelanger Erfahrung mit Suchtkranken: "Wenn man in Kreisen verkehrt, in denen es normal ist, Alkohol oder andere Drogen zu konsumieren, dann erhöht es das Risiko, eine Sucht zu entwickeln."

    Bönsch steht der Legalisierung von Cannabis kritisch gegenüber. Denn wenn sich eine Gesellschaft drogenfreundlich zeige, werde die Schwelle zum Konsum zu niedrig, sagt er.  

    Menschen mit gutem Einkommen greifen vermehrt zu Alkohol und Kokain

    Etwa 1200 Patienten, hauptsächlich junge Männer zwischen 25 und 40 Jahren, seien in den letzten zwölf Monaten in der Suchtklinik behandelt worden. Grundsätzlich jedoch seien fast alle Altersgruppen und Geschlechter vertreten. Auch werde das Thema Sucht im Alter zunehmend größer: "Vor allem mit Blick auf Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit". Bönsch betont: "Den typischen Drogenkonsumenten gibt es nicht. Es wird über alle Schichten und Berufsgruppen hinweg konsumiert."

    Professor Dominikus Bönsch ist Ärztlicher Direktor der Psychiatrie in Lohr am Main. 
    Professor Dominikus Bönsch ist Ärztlicher Direktor der Psychiatrie in Lohr am Main.  Foto: Fabian Gebert

    Jedoch unterscheide sich das Konsummuster sowie die Art der Drogen, die verbreitet sind, je nach Milieu. Gutes Einkommen etwa ermögliche sorgenfreien Konsum. In diesen Schichten finde der Drogenkonsum eher im Verborgenen statt. Neben Alkohol sei dort vor allem Kokain ein verbreitetes Suchtmittel: "Menschen mit Kokainsucht kommen allerdings seltener zu uns, weil der körperliche Entzug nicht so hart ist wie beispielsweise bei Alkohol."

    In Mainfrankens Drogenszene dominieren Cannabis und Ecstasy

    Ein deutliches Bild von der Drogenproblematik zeichnet die unterfränkische Polizeistatistik. Carmen Aufmuth, Pressesprecherin des Polizeipräsidiums Unterfranken, berichtet, dass im vergangenen Jahr 451 Menschen in Unterfranken beim illegalen Handel und Schmuggel von Betäubungsmitteln erwischt worden seien. Die meisten sind über 20 Jahre alt und männlich.

    Cannabis und Ecstasy dominieren dabei die Szene. Von den Straftätern handelten 60 Prozent mit Cannabis und 24 Prozent mit Ecstasy. Die illegalen Machenschaften erstreckten sich über insgesamt 4533 Rauschgiftdelikte in Unterfranken. Dabei wurden den Angaben zufolge 25,9 Prozent der Fälle in der Region um Aschaffenburg, 32,2 Prozent im Bereich Main-Rhön und 41,9 Prozent im Raum Würzburg/Main-Spessart/Kitzingen registriert.

    Die Auswahl an illegalen Drogen ist im Darknet unbegrenzt

    Um das Risiko erwischt zu werden, zu minimieren, beschafft sich der Physiker David Klein (Name geändert) aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) Cannabis nicht beim Dealer nebenan, sondern per Mausklick im Internet. Wie er das macht, führt er bei einem Besuch vor. In der Dunkelheit seiner Küche setzt er sich leise an den Rechner: "Es ist eigentlich ganz einfach, wenn man ein bisschen affin für Computer ist."

    Der Monitor wirft einen blauen Schatten auf sein Gesicht, als sich der Tor-Browser öffnet. Auf diesem Weg könne er anonym im Darknet surfen, erklärt Klein. Sein Atem stockt ein wenig, während er den komplexen Entschlüsselungsvorgang durchläuft, der ihm schließlich den Zugang zu einem Online-Shop gewährt.

    Dieser junge Physiker aus Gemünden, der anonym bleiben möchte, bestellt regelmäßig Cannabis im Darknet.
    Dieser junge Physiker aus Gemünden, der anonym bleiben möchte, bestellt regelmäßig Cannabis im Darknet. Foto: Nargis SIlva

    Er lacht nervös, als er durch die verschiedenen Kategorien illegaler Drogen navigiert: "Sieht aus wie ein gewöhnlicher Online-Shop, oder?" Die Auswahl reicht von Cannabis über Stimulantien bis zu verschreibungspflichtigen Medikamenten. Bewertungen werden in Pillen vergeben, und eine Ein-Tages-Lieferung innerhalb Deutschlands wird angepriesen.

    Die bestellbaren Mengen variieren von einem Gramm bis zu zwei Kilogramm. Klein betont die vermeintliche Sicherheit: Innerhalb Deutschlands versandt und in Millionen von Briefen eingebettet, bleibe die Sendung unbeachtet.

    Ehemaliger Dealer: Oft bringen Studierende Ecstasy und Kokain in Umlauf

    Wie sich der Zugang zu illegalen Substanzen vor Ort in Würzburg gestaltet, erzählt Anton Baumann (Name geändert), ein ehemaliger Drogen-Dealer aus der Region. In Großstädten wie Frankfurt gebe es bestimmte Orte, an denen man auf Menschen treffen kann, die an Großhändler vermitteln: "In Würzburg aber will man nicht erkannt werden, es soll nur ein Kreis von Vertrauten über den Drogenkonsum Bescheid wissen." Ein Grund dafür sei die starke Präsenz der Polizei. Die Szene agiere deshalb über Empfehlungen, um unauffällig zu bleiben.

    Junge Menschen gingen heute jedoch offener damit um, "was sie nehmen, woher sie es haben und wie viel", sagt Baumann. Cannabis werde von vielen jüngeren Konsumenten gar nicht mehr als Rauschgift der ersten Wahl angesehen: "Wenn sie von Drogen reden, dann meinen sie eher MDMA, Opiate oder Kokain." Dealer harter Drogen seien in Würzburg häufig Studierende, die aus Großstädten herziehen und ihre Kontakte mitbrächten, um in den Drogenhandel einzusteigen. 

    Eine gemeinsame Drogenszene gebe es nicht, sagt Baumann. Stattdessen blieben die verschiedenen Szenen geschlossen: "Es gibt Kiffer, dann diejenigen, die harte Drogen nehmen und ältere Leute, Geschäftsmänner oder Menschen aus elitären Kreisen. Letztere konsumieren vor allem Kokain und bleiben unter sich."

    Eine ausgeprägte Szene für Heroin existiert laut Baumann in Würzburg nicht. Diejenigen, die "extrem harte Drogen konsumieren", lebten vielfach in sozialen Brennpunkten als Außenseiter und beschafften sich häufig in Frankfurt Heroin. 

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