Samstagfrüh um vier ist der Marktplatz leer, fast ausgestorben. Doch von der Marktgasse her riecht es nach frischen Hörnchen und Brot. Blickt man in die schmale Gasse, sieht man junge Männer Kisten mit Backwaren schleppen. Sie werden verladen oder ins gegenüberliegende Café Brandstetter getragen. Die Straße ist ruhig.
Plötzlich tauchen zwei Mädchen um die 20 auf, unterhalten sich lautstark. „Ich hab dir doch gesagt, die machen erst um fünf auf.“ – „Ach, sei leis, ich bin mir sicher, wir kriegen schon was.“ Die beiden kommen vom Feiern und wollen im Brandstetter „frühstücken“, bevor sie sich ins Bett legen. Sie haben Pech, das Café öffnet erst um fünf.
Seit Jahren ist der Brandstetter Anlaufstelle für reichlich übernächtigte junge Leute: Nachdem man die Nacht durchgetanzt hat, gönnt man sich noch ein reichhaltiges Frühstück und eine Tasse Kaffee. Wenn in den Clubs die Lichter angehen, wird die Bäckerei beinahe selbst zur Diskothek: Schon um halb fünf tummeln sich auf der Straße die jungen Leute, warten darauf, dass die Tür aufgeht.
Eine laute Tradition
Nüchtern und wach dagegen ist Reiner Briele: Er ist Geschäftsführer beim Brandstetter, sein Arbeitstag hat schon um um halb vier begonnen. Er schaut nach dem Rechten, hilft mit. Auf das junge Publikum blickt er von zwei Seiten: „Einerseits ist es seit der Gründung 1890 Tradition, dass wir so bald öffnen. Damals haben die Marktfrauen, die ,Frääle', nachdem sie ihren Stand aufgebaut hatten, ihren Kaffee bei uns getrunken. Andererseits haben wir natürlich auch manche Probleme wegen der frühen Uhrzeit. Draußen auf der Straße ist es laut, die Nachbarn drücken jetzt schon alle Augen zu.“
Randalierer oder ähnliches gibt es eher selten. „Manchmal schmeißen wir schon einen raus, ja. Aber eher schläft mal einer am Tisch ein“, schmunzelt er. Der Mann ist hellwach, sein Fell ist dick.
Wenn um fünf dann die Glastür aufgeht und rund 30 wartende Leute hereinströmen, ist bei den Angestellten Nervenstärke gefragt. Svetlana Engert, seit zehn Jahren Bedienung: „Manche sind friedlich, manche werden mal aggressiv. Man muss eben ruhig bleiben und die jungen Leute ein bisschen ,erziehen'.“ Einem jungen Mann, dem seine Brötchen nicht schnell genug kommen, entgegnet sie schon mal „Ich hab zwei Hände. Wenn ich drei hätte, würde ich im Zirkus arbeiten.“ Der Gast ist ruhig, sie weiß sich durchzusetzen.
Beim Partyvolk kommt der Brandstetter gut an. Der 24-jährige Simon aus Randersacker schmiert sich sein Leberwurstbrötchen und berichtet von seinem bisherigen Abend: In der Odeon-Lounge sind die Lichter schon angegangen und er und seine Clique mussten gehen. Jetzt sind sie hier gelandet. „Der Brandstetter gehört zu Würzburg einfach dazu, dieses Café ist Kult,“ sagt der junge Mann und schmatzt. Dann kommen seine „zwei Eier im Glas“.
„Die sind einfach Standard“, erzählt später Fabian aus Würzburg. Und demonstriert seinen auswertigen Freunden auch gleich, wie man die zwei gekochten Eier isst. „Du würzt sie mit reichlich Salz und Pfeffer, zermatscht sie und jetzt werden sie gegessen.“ Sein Freund Steffen aus Crailsheim ist skeptisch, den Brandstetter findet er aber klasse: „So was gibt es bei uns daheim nicht.“
Doch nicht nur das Kater-Frühstück wird hier verspeist. Viele Früh- und Nachtschichtler trinken hier ihren Kaffee, Polizisten holen sich ihr Frühstück und schauen dabei nach dem Rechten.
Schon vor 40 Jahren
Eine Besonderheit am vergangenen Samstag: Die Wallfahrer sind früh um vier zum Kreuzberg losgelaufen, deswegen sind ein paar mehr Menschen auf den Beinen: Zwischen den jüngeren Gästen sitzen auch ältere. Eine Dame und drei Herren im Rentenalter haben im Nebenraum Platz genommen. Was sie um diese Uhrzeit hierher treibt? „Das ist bei uns Tradition. Wir bringen unsere Partner und Freunde zum Start der Wallfahrt ans Neumünster. Danach frühstücken wir hier zusammen.“ Das machen sie schon seit Jahren so. Denn den Brandstetter gibt es schon lange. Deswegen können sie auch die jungen Leute verstehen. „Wir sind hier schon vor 40 Jahren nach jedem Faschingstanz her. Da waren wir die Jungen.“