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Würzburg: Der Mindestlohn ist auf zwölf Euro gestiegen – aber in Würzburger Behindertenwerkstätten kommt davon nichts an

Würzburg

Der Mindestlohn ist auf zwölf Euro gestiegen – aber in Würzburger Behindertenwerkstätten kommt davon nichts an

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    Ein Mitarbeiter der Mainfränkischen Werkstätten, Johann Frank, steht an der Säge und schneidet Holzteile für Paletten zu.
    Ein Mitarbeiter der Mainfränkischen Werkstätten, Johann Frank, steht an der Säge und schneidet Holzteile für Paletten zu. Foto: Silvia Gralla

    Zum 1. Oktober stieg der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland auf zwölf Euro pro Stunde. Profitieren sollen vor allem Beschäftigte in Mini- und Teilzeitjobs sowie Neueinsteiger. Er gilt jedoch nicht für Menschen, die in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) arbeiten. Wieso ist das so, was sagen die Beschäftigten dazu und welche Unternehmen der Region lassen dort produzieren?

    Wieviele Menschen arbeiten in den Werkstätten für behinderte Menschen in Unterfranken?

    Rund 4000 Menschen arbeiten laut Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der WfbM in Unterfranken in Werkstätten für behinderte Menschen. Es gibt mehrere Einrichtungen in Stadt und Landkreis Würzburg, zum Beispiel das Blindeninstitut in Würzburg, das St. Josefs-Stift in Eisingen und das Erthal Sozialwerk. Die Mainfränkischen Werkstätten haben rund 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung an mehreren Standorten in Unterfranken.

    Was arbeiten die Werkstattbeschäftigten?

    Die Mainfränkischen Werkstätten nehmen Aufträge unter anderem in den Bereichen Elektrik, Metall, Holz, Verpackung und Aktenvernichtung an. Die Beschäftigten stecken zum Beispiel Kabel zusammen. Ihre Arbeits- oder "Anwesenheitszeit" beträgt 35 bis 40 Stunden pro Woche, wie Madeleine Leube berichtet. Sie ist Leiterin des Bereichs Teilhabe Arbeit, Bildung, Inklusion bei den Mainfränkischen Werkstätten. Ihren Angaben zufolge arbeitet mindestens ein Viertel der Beschäftigten in Teilzeit. Mindestens eine Stunde Pause und die Teilnahme an Bildungs-, Sport- und weiteren Angeboten würden zur Arbeitszeit zählen. Ein Teil der Beschäftigten sei extern tätig, beispielweise im Restaurant- und Imbissbereich von Ikea Würzburg.

    Die Firma Kneipp lässt in den Mainfränkischen Werkstätten Badezusätze verpacken.
    Die Firma Kneipp lässt in den Mainfränkischen Werkstätten Badezusätze verpacken. Foto: Silvia Gralla

    Welche großen Unternehmen lassen in den Werkstätten produzieren?

    Die Mainfränkischen Werkstätten produzieren nach Angaben ihrer Pressestelle für viele Unternehmen auch aus der Region. Zu den Auftraggebern gehören zum Beispiel König und Bauer, Knauf pft, Bosch Rexroth, Kneipp, Warema, Fehrer, Opitec und Delonghi. Insgesamt sind rund 300 Unternehmen mit den Mainfränkischen Werkstätten vernetzt, so der Geschäftsführer der Werkstätten, Dieter Körber.

    Die Produktion in Werkstätten hat Vorteile für die Unternehmen. Betriebe, die im Jahresschnitt mehr als 20 Menschen beschäftigen, müssen auf wenigstens fünf Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Das legt das Sozialgesetzgebuch fest. Erfüllt das Unternehmen diese Pflichtquote nicht, muss es eine Ausgleichsabgabe zahlen. Sie können aber Aufträge, die sie an Behinderten- oder Blindenwerkstätten vergeben, zu 50 Prozent auf diese Ausgleichsabgabe anrechnen und müssen so weniger zahlen (SGB). Laut Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) der WfbM gilt für die Werkstattleistungen außerdem der ermäßigte Umsatzsteuersatz von sieben Prozent.

    Wieviel verdienen die Menschen im Schnitt in den Werkstätten?

    In Unterfranken liegt der durchschnittliche Werkstattlohn laut Bezirk zwischen 166 und 264 Euro. Bei den Mainfränkischen Werkstätten, so berichtet die Einrichtung, erhalten die Beschäftigten im Schnitt 212 Euro im Monat. Das Werkstattentgelt setze sich aus dem gesetzlich vorgeschriebenen Grundlohn von derzeit 109 Euro (ab 2023: 119 Euro), dem Arbeitsförderungsgeld von maximal 52 Euro und dem Steigerungslohn zusammen. Der Steigerungslohn sei abhängig von der individuellen Leistung. Die meisten Werkstattbeschäftigten bekommen zusätzlich Erwerbsminderungsrente oder Grundsicherung, oft auch Wohngeld.

    Wieso gilt in den Werkstätten für behinderte Menschen der Mindestlohn nicht?

    Der gesetzliche Mindestlohn gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Beschäftigte in Werkstätten sind im rechtlichen Sinne aber keine Arbeitnehmer, sondern stehen laut Sozialgesetzbuch in einem "arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis". Sie haben mehr Schutzrechte als Arbeitnehmende und weniger Pflichten. Sie können unter anderem nicht gekündigt werden und bekommen bereits nach 20 Jahren Tätigkeit in der WfbM eine Erwerbsminderungsrente, errechnet nach dem Durchschnittseinkommen aller Rentenversicherten, berichtet Madeleine Leube von den Mainfränkischen Werkstätten.

    Außerdem würden Werkstätten andere Aufgaben als herkömmliche Unternehmen erfüllen. Sie sind laut Sozialgesetzbuch Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation. Demnach sollen sie unter anderem den Beschäftigten ermöglichen, ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten, erhöhen oder wiederzugewinnen sowie ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Die Beschäftigten haben laut Werkstattverordnung (WVO) einen Anspruch auf pädagogische, soziale, medizinische und psychologische Betreuung. Dieter Körber, Geschäftsführer der Mainfränkischen Werkstätten, betont daher, dass Werkstattarbeit mehr sei als Arbeit gegen Lohn.

    Wieviel können die Mitarbeitenden leisten?

    Laut Hannes Müller, leitender Referent bei der Landesarbeitsgemeinschaft der WfbM (LAG), können die Werkstattbeschäftigten einen Mindestlohn nicht erwirtschaften. Voraussetzung für die Aufnahme in eine WfbM ist nach dem Sozialgesetzbuch der Status der vollen Erwerbsminderung. Das bedeutet: Die Beschäftigten könnten am Tag nur weniger als drei Stunden unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein.

    Madeleine Leube, Leiterin des Bereichs Teilhabe Arbeit, Bildung, Inklusion und Dieter Körber, Geschäftsführer der Mainfränkischen Werkstätten, unterstützen die Forderung nach einem auskömmlichen Einkommen für die Beschäftigten.
    Madeleine Leube, Leiterin des Bereichs Teilhabe Arbeit, Bildung, Inklusion und Dieter Körber, Geschäftsführer der Mainfränkischen Werkstätten, unterstützen die Forderung nach einem auskömmlichen Einkommen für die Beschäftigten. Foto: Patty Varasano

    "Wir haben Leute, die hoch produktiv sind, und wir haben Menschen, die vielleicht nur einen Finger bewegen können", berichtet Madeleine Leube. Sie berichtet, dass aktuell 418 Menschen in den Mainfränkischen Werkstätten den Grundlohn von 109 Euro nicht erwirtschaften können. Den gesetzlich vorgeschriebenen Grundlohn bekommen aber alle ausgezahlt. Besonders leistungsfähige Menschen finanzieren daher den Grundlohn von diesen Personen mit.

    Wie stark profitieren die Mitarbeitenden vom Ergebnis ihrer Arbeit?

    Laut Werkstättenverordnung (WVO) müssen Werkstätten mindestens 70 Prozent dessen, was die Beschäftigten erwirtschaften, als Entgelte auszahlen. Dem Geschäftsführer Dieter Körber zufolge zahlen die Mainfränkischen Werkstätten etwa 90 Prozent aus.

    Wie sehen es Betroffene, dass für sie kein Mindestlohn gilt?

    Sonja Scheuplein (rechts) ist die erste Vorsitzende des Werkstattrats, Philipp Götz (links) ist zweiter Vorsitzender. Roland Hascher (Mitte) ist Vertrauensperson für den Werkstattrat und unterstützt sie bei ihrer Arbeit.
    Sonja Scheuplein (rechts) ist die erste Vorsitzende des Werkstattrats, Philipp Götz (links) ist zweiter Vorsitzender. Roland Hascher (Mitte) ist Vertrauensperson für den Werkstattrat und unterstützt sie bei ihrer Arbeit. Foto: Patty Varasano

    Sonja Scheuplein ist die erste Vorsitzende des Werkstattsrats der Mainfränkischen Werkstätten. Zur Frage des Mindestlohns sagt sie: "Ich bin der Meinung, dass der Mindestlohn für uns nicht so gut ist, weil wir dadurch mehr Nachteile als Vorteile hätten." Denn würde man einfach umstellen auf ein Arbeitnehmerverhältnis mit Mindestlohn, fielen die Schutzrechte weg. Auch die Auszahlung der Grundsicherung würde durch den höheren Lohn sinken.

    Evi Gerhard, 47 Jahre alt, ist ebenfalls bei den Mainfränkischen Werkstätten beschäftigt, arbeitet aber über ein Inklusionsprojekt in der Jugendbildungsstätte Unterfranken. Sie ist gelernte Bürokauffrau, fand auf dem ersten Arbeitsmarkt aber nie einen Job. Für 25 Stunden pro Woche bekam sie im August 263,60 Euro, dazu Erwerbsminderungsrente und Wohngeld. Mit ihrem Gehalt ist sie nicht zufrieden. "Es geht ja darum, dass man sich das Geld nicht von allen möglichen Töpfen zusammenholen muss zum Leben, sondern dass man einen gerechten Lohn bekommt." Sie setzt sich mit ihrem Instagram-Account für Inklusion ein.

    Wolfgang Vogt ist Vorsitzender des Vereins "Assiston" in Würzburg, der unter anderem Beratung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung anbietet. Er sagt: "Wenn man da jeden Tag arbeitet, finde ich es schon bitter und traurig, dass nicht mehr bei rumkommt. Wobei für mich das ganze System ein massiver Beitrag zur Exklusion ist. Man müsste viel mehr Menschen in die Betriebe auf den ersten Arbeitsmarkt bringen."

    Was sollte sich an der Einkommenssituation der Beschäftigten ändern?

    Die Arbeitsgemeinschaften, in denen sich Werkstattträger zusammengeschlossen haben, setzen sich für ein höheres Gesamteinkommen inklusive Transferleistungen der Mitarbeitenden ein. Dafür sei eine größere finanzielle Beteiligung des Bundes erforderlich, so Hannes Müller, Referent bei der LAG WfbM. Denn "ein Mehr an Lohn kann nicht aus dem Arbeitsergebnis erzielt werden." Der Begriff des Mindestlohns sei dabei nicht das Zentrale, so Müller. "Zentral ist, dass sich die Einkommenssituation der Menschen verbessert." Laut einem Orientierungspapier der LAG müssen die besonderen Schutzrechte und Teilhabeansprüche auch künftig garantiert sein.

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