Man kann sie ganz deutlich erkennen: Links und rechts neben dem Haupteingang und dann nochmal in der Durchfahrt in etwa drei Metern Höhe finden sich an der Deutschhauskirche merkwürdige Einkerbungen. Sie sehen aus, als habe jemand mit einem Messer am Stein gerieben. Solche Rillen gibt es – allerdings meist weitaus tiefer und breiter – auch an etlichen anderen Kirchen und öffentlichen Gebäuden in ganz Deutschland. Viel wurde über sie gerätselt, zahlreiche Erklärungsansätze gefunden.
Die Markierung könnte heißen: Hier gibt es was
Einer lautet, Soldaten hätten hier ihre Schwerter wahlweise geschärft oder, wenn sich die Abschürfungen an Gotteshäusern befinden, gesegnet. Eine relativ neue Erklärung des Nürnbergers Karl-Friedrich Haas ist, es handle sich um Markierungen von Bettlern, die anderen Bettlern ab dem 16. Jahrhundert damit kundtaten: „Hier gibt es etwas.“
"Ganz genau weiß man nicht, wie diese Rillen entstanden sind.“
Barbara Bauner, Kunstbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirchen Bayerns
Die nächste Theorie besagt, dass man im Mittelalter Steinpulver als Arznei verwendete und die Menschen es hier herausschabten. „Ganz genau weiß man nicht, wie diese Rillen entstanden sind“, bestätigt Barbara Bauner, die sich als Kunstbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirchen Bayerns (ELKB) für Unterfranken viel mit der Deutschhauskirche beschäftigt hat. „Es gibt aber noch eine andere Theorie, nämlich die, dass die Rillen beim Funkenschlagen entstanden sind.“ Dafür spräche auch, dass sie sich meistens in einer Höhe befinden, in der sich die dafür nötige Handbewegung gut ausführen lässt, und zumeist am Eingang eines öffentlichen Gebäudes auszumachen sind.
Aber an der Deutschhauskirche finden sich diese Einkerbungen auch in etwa drei Meter Höhe. Da hätte ja schon jemand eine Leiter nehmen müssen, um dort oben Funken zu schlagen! Aber auch die anderen Vermutungen, um was es sich bei den Rillen handeln könnte, fallen in dieser Höhe weg: Warum sollte jemand sich zum Beispiel die Mühe machen, so weit nach oben zu klettern, wenn er sein Schwert doch auch viel weiter unten an einem Stein wetzen kann?
„Ich bin mir fast sicher, dass das Straßenniveau vor der Deutschhauskirche früher etwa zwei Meter höher war“, hat die Architektin eine Erklärung und macht das außer an den Wetzrillen noch an weiteren Punkten fest. Zum einen ist in der Durchfahrt eine an ihrer höchsten Stelle etwa zwei Meter hohe Natursteinmauer zu erkennen, die unter der Erde gelegen haben dürfte. Zum anderen finden sich an der Durchfahrt Ecksteine, die die Architektin als Kurvensteine deutet, wie man sie früher an Einfahrten oder engen Stellen anbrachte, damit die Wagennaben nicht das Haus streiften. Und die befinden sich hier in etwa zwei Metern Höhe, wo sie auch wieder keinen Sinn ergeben.
Die Rillen geben auch einen Hinweis aufs einstige Straßenniveau

„Diese Wetzrillen künden also nicht nur davon, dass die Straße einst vermutlich höher lag, sondern sie unterstreichen auch die These, dass die Rillen beim Feuerschlagen entstanden sind“, erklärt sie. „Denn direkt nebenan gab es ein ewiges Licht“. Ob sich der Sandstein tatsächlich eignete, um Feuer daran zu entzünden – auch darüber gibt es gänzlich unterschiedliche Meinungen. Der Autor Georg Steffel hat sich in seinem Aufsatz „Die rätselhaften Rillen“ akribisch mit den Wetzrillen auseinandergesetzt, Theorien aufgegriffen und hinterfragt und ist zu dem Schluss gekommen: „Es muss einen konkreten Grund geben, weshalb die Rillen in der Nähe von Türen und Toren entstanden sind.“ Und noch dazu eben an Gebäuden, in denen viele Menschen zusammentrafen. „In allen Fällen wird das Bedürfnis bestanden haben, beim Verlassen der Gebäude nach Eintritt der Dunkelheit Licht zu machen, eine Laterne zu entzünden oder etwa eine Tabakspfeife in Brand zu setzen.“
Übrigens: Steffel hat selbst ausprobiert, ob sich an Sandstein Feuer schlagen lässt, und dabei keine Mühe gescheut. Er schreibt: „Es bleibt festzustellen, dass es möglich ist, ohne besonderen Aufwand und mit Regelmäßigkeit Feuer aus Sandstein zu entfachen. Quod erat demonstrandum.“ Zu Deutsch: Was zu beweisen war.
Text: Eva-Maria Bast
Der Text stammt aus dem Buch „Würzburger Geheimnisse - Band 2“ von Eva-Maria Bast, das in Kooperation mit der Main-Post entstand und soeben erschienen ist. Das Buch enthält 50 Geschichten zu historischen Geschehnissen und Orten. Präsentiert werden die Begebenheiten jeweils von Würzburger Bürgern.