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WÜRZBURG: Die 23-jährige Charlotte Ambrosch erlebt Würzburgs schwärzesten Tag

WÜRZBURG

Die 23-jährige Charlotte Ambrosch erlebt Würzburgs schwärzesten Tag

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    „Das brennende Würzburg: So nannte Hans Valentin Fuchs sein 1945 entstandenes Ölgemälde. Von 1945 bis 1959 leitete Fuchs das städtische Gartenamt.
    „Das brennende Würzburg: So nannte Hans Valentin Fuchs sein 1945 entstandenes Ölgemälde. Von 1945 bis 1959 leitete Fuchs das städtische Gartenamt. Foto: Foto: Mainfränkisches Museum

    "Leuchtend geht die Sonne auf, ohne einen Hauch von Morgendunst.“ Die 23-jährige Charlotte Ambrosch erlebt einen wunderbaren Märztag. Um acht Uhr steht sie auf, gegen neun verlässt sie ihre Wohnung in der Petrinistraße 9 in Grombühl, um eine kleine Radtour zu machen. Es ist einfach zu schön, um zuhause zu bleiben.

    Der klare Frühlingstag wird der schwärzeste in der Würzburger Geschichte werden. An diesem Freitag, dem 16. März 1945, löschen englische Bomber die Innenstadt aus und töten fast 5000 Menschen.

    All das kann Charlotte Ambrosch nicht wissen, als ein Bekannter sie abholt, der sich als Verwundeter in der Stadt aufhält.

    Später notiert sie ihre Erlebnisse bei dieser Radtour: „Wenn ich nicht zugesagt hätte, wäre ich bestimmt nicht mitgefahren, denn ich bin so unheimlich müde, so müde, dass mir jede Umdrehung meines Pedals zu viel wird. Beim Forsthaus Guttenberg schlafe ich nach einer kleinen Brotzeit auf dem blanken Boden ein, der Tag ist ja so schön und warm und der Boden ist gar nicht kalt.“

    Um 19 Uhr beginnt der Dienst der 23-Jährigen im Bischofspalais in der Herrnstraße, wo im Keller das „Warnkommando Würzburg“ seinen Sitz hat, in dem sich an diesem Abend zwölf junge Frauen und ein Mann einfinden. Charlotte Ambrosch: „Alle waren guter Stimmung, ein jeder erzählte, was er an diesem wunderschönen Frühlingstag unternommen hatte. Kaum hatten wir uns ausgeplaudert, kam eine Feindmeldung und wir mussten Luftwarnung geben. Das war ungefähr um 19.45 Uhr. Um 20 Uhr wieder Entwarnung.“

    Der weitere Abend verläuft zunächst ruhig und es verspricht eine ebensolche Nacht zu bleiben. Doch schnell wird die Hoffnung zunichte gemacht. Gegen 20.30 Uhr trifft im Warnkommando die Meldung ein, dass feindliche Flugzeuge über dem Bodensee im Raum Ulm sind, später folgt die Nachricht, dass sich die Flugzeuge geteilt haben und nach Osten und Norden weiterfliegen.

    Auf einmal geht die Tür zum Befehlsraum auf und ein Luftwaffenbediensteter kommt herein. Er ist blass, hat keine Farbe mehr im Gesicht. Zitternd kann er noch die Worte sagen: „Es gibt einen ganz großen Bum, sofort Fliegeralarm geben, Befehl vom höchsten Luftfahrtkommando!“

    Um 21 Uhr tönen die Sirenen lang und schaurig. Charlotte Ambrosch: „Wir verlängern diese grausamen Töne, um der Bevölkerung die Dringlichkeit kundzutun. Gleichzeitig können wir nur immer wieder über das Radio sagen, dass die Luftschutzkeller unbedingt aufzusuchen sind, immer und immer wieder. Von unseren Warnwachen auf der Festung und von der Steinburg bekamen wir um 21.20 Uhr die Meldung, dass Würzburg taghell erleuchtet ist durch Leuchtkörper, wir sagten damals Christbäume, die die Feindflugzeuge abgesetzt hatten.“

    Im Nebenraum sitzen, durch eine Glaswand getrennt, zehn weitere junge Frauen an den Rundspruchschränken, die Köpfe eingezogen und Decken umgehängt. „Ich hörte nur noch das Gewimmer und die Schreckensrufe, wenn eine Bombe einschlug“, erinnert sich die 23-Jährige.

    Nach dem Angriff, der weniger als 20 Minuten dauert, folgt die große Ratlosigkeit. „Was nun?“, fragt sich Charlotte Ambrosch. „Arbeit gab es keine mehr, denn sämtliche Leitungen waren unterbrochen. Also bekamen wir auch keine Meldungen mehr und wussten nicht, was alles los war. War es nur in der Innenstadt? Ich dachte noch: Na vielleicht hat es Grombühl gar nicht getroffen! Aber doch, eine Leitung hatten wir noch, Ironie des Schicksals, eine zum Gauleiterbunker in der Rottendorfer Straße. Und da saß unser Warnkommandochef. Er gab den Befehl: Keiner darf die Dienststelle verlassen, das ist eine militärische Dienststelle und die muss besetzt bleiben!“

    Auch die folgenden Ereignisse im Keller sind Charlotte Ambrosch Jahrzehnte später, als sie ihre Erinnerungen notiert, noch präsent: „Herr Schnackig, unser Ablösungsführer, hat ein paarmal gewagt, bei unserem Chef für uns zu bitten. Er sagte immer wieder: 'Ich bleibe ja da, aber lassen Sie doch die Mädels raus! Es wird doch nicht besser, die Flammen kommen immer tiefer, dann ist es unmöglich, dass sie durchkommen, sie müssen entweder ersticken oder verbrennen!' Er holte sich nur Befehlsverweigerungs- und Kriegsgerichtsdrohungen.“

    Um 24 Uhr ruft Schnackig nochmals an und findet mutige Worte: „Ich kann es nicht verantworten, ich lasse jetzt die Mädchen raus, und wenn Sie mich dafür hinrichten.“ Er gibt Anweisungen für das Verlassen des Kellers: Jeder muss sich mit einem nassen Mantel oder einer Decke oder etwas Ähnlichem umhüllen. Auch der Kopf soll gut geschützt sein mit einem nassen Schal oder einer dichten Mütze. Endlich kommt ein Anruf vom Chef, der das Verlassen der Dienststelle erlaubt – während fast ganz Würzburg schon eine Feuerhölle ist.

    Charlotte Ambrosch: „Nachdem wir den Keller verlassen hatten, liefen meine Kollegin Hilde, ein zartbesaitetes Mädel, auch aus Grombühl, und ich erst einmal auf die Hofstraße zu. Am Paradeplatz berieten wir kurz, wie wir weitergehen sollten. Natürlich zum Main hinunter, also zwischen Dom und Neumünster bis zur Domstraße. Aber die Hitze war einfach zu groß und die Flammen schlugen uns entgegen. Auf der Straße lag haufenweise glühender Schutt von den schon heruntergebrannten Häusern.

    Also zurück zur Hofstraße und auf die Residenz zu. Aber da war es genauso. Dann über den Paradeplatz zur Domerschulstraße oder rechts durch die Plattnerstraße? Nein, wieder zurück und noch einmal in Richtung Residenz. Flammen, Flammen, wohin man schauen konnte, dazu die glühenden Drähte von den Dächern und der Sog. Der unheimliche Wind hielt alles und jedes in Bewegung. Wieder zurück über den Paradeplatz. Wir müssen doch durchkommen! Irgendwie müssen wir da rauskommen!“

    Charlotte sagt zu Hilde: „Schau mal, diese hundert Meter bis zur Residenz werden wir doch schaffen, wir müssen einfach!" Die jungen Frauen steigen über heiße Schuttberge. Wenn sie schnell genug sind, können die Schuhe nicht zu brennen anfangen.

    „Es waren Schritte um unser Leben“, schreibt Charlotte Ambrosch später: „Wir sind gestürzt, aufgestanden und über glühende Drähte gestolpert. Der Sog schlug uns die Flammen entgegen, also mussten wir einige Schritte zurückweichen. Dann zog der glühende Sog die Flammen in die entgegengesetzte Richtung und wir kamen wieder ein paar Schritte voran.

    Der Wind war das Schlimmste. Man musste jede Sekunde nutzen, genau die Flammen beobachten und dann den richtigen Moment ausnützen, losrennen bis zum nächsten Windwechsel, rechtzeitig stoppen, stehen bleiben und wieder etwas zurückweichen. So haben wir die hundert Meter von der Herrngasse zum Residenzplatz geschafft. Da ich immer vorausging – Hilde kam hinter mir – habe ich ein paar Mal die Flammen voll ins Gesicht bekommen und mein Kopftuch hat zweimal angefangen zu brennen. Hilde schrie es mir jedes Mal außer sich zu, und so konnten wir die Flammen gleich ersticken.

    Schließlich erreichen Charlotte und Hilde den Ringpark. Von dort aus schlagen sie sich nach Randersacker durch. Am nächsten Tag kehren sie in die immer noch schwelende Trümmerstadt zurück und erfahren, dass Hildes Mutter im Keller von einem Ziegelstein erschlagen wurde.

    Buch und DVD zum 16. März 1945

    Text und Bilder auf dieser Seite entnahmen wir dem Buch von Roland Flade „Zukunft, die aus Trümmern wuchs. 1944 bis 1960: Würzburger erleben Krieg, Zerstörung, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder“.

    Historische Filme und Interviews mit Augenzeugen zum 16. März 1945 enthält die DVD von Angelika Kleinhenz und Roland Flade „Hoffnung, die aus Trümmern wuchs. Würzburg 1942 bis 1945“. Buch und DVD sind in den Geschäftsstellen der Main-Post erhältlich und über shop.mainpost.de bestellbar.

    Charlotte Ambrosch 1942.
    Charlotte Ambrosch 1942. Foto: Foto: Privat
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