„Ich erinnere mich gerne an meine Jugend in Würzburg, sagt Ursula Ahlberg, die heute in Amerika lebt, lächelnd und fügt mit ernstem Blick an: „Bis Hitler kam.“ Da musste sie als junges Mädchen mit ihrem Vater, dem jüdischen Weinhändler Max Stern, 1938 die Heimat verlassen. Jetzt sitzt sie wieder da, wo einmal ihr Zuhause war, im ehemaligen Weinkeller unter der Alten Universität und spricht über ihre Würzburger Jugend zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mitgebracht hat sie ihre Schwester Margaret Roth, ihre drei Töchter sowie mehrere Verwandte und die Gruppe ehemaliger jüdischer Würzburger, die in diesen Tagen für eine Woche in Würzburg zu Gast waren.
Dieser Weinkeller war in den 1930-er Jahren der größte Weinkeller in der Stadt. Über zwei Millionen Liter Wein lagerten einst hier, in Kellergewölben mit einer Gesamtlänge von 700 Metern (zum Vergleich: im Juliusspital, Deutschlands zweitgrößten Weingut, sind heute eine Million Liter untergebracht). Den Weinkeller von Max Stern kennen heute nur noch alteingesessene Würzburger. Ein kleiner Teil des früheren Kellerlabyrinths wird heute von Studierenden der Juristischen Fakultät als Aufenthaltsraum genutzt. Ein paar andere Gänge dienen als Keller- und Abstellräume.
„Ich könnte jetzt wieder in Würzburg leben“
Ursula Ahlberg nach der Woche des Erinnerns und Begegnens
Max Stern war ein erfolgreicher Würzburger Geschäftsmann und in der Stadt engagiert. Er war einer von vielen jüdischen Weinhändlern in der Stadt und einer der zahlreichen jüdischen Geschäftsleute, deren Erfolg „Neid und Missgunst der Erfolglosen“ erregten, wie Helmut Försch von der Geschichtswerkstatt den Besuchern erklärte.
Ursula Ahlberg war vor diesem Besuch schon zweimal kurz in Würzburg, doch den väterlichen Weinkeller konnte sie bis dato nicht wieder betreten. Anfang der 1980-er Jahre war sie mit ihrem Mann schon mal in der Stadt, aber da wollte sie schnell wieder weg. Damals sah sie in den Deutschen noch „SA- und SS-Leute, die mit Stiefeln marschieren“. Einige Jahre später, als sie im Rahmen einer Flusskreuzfahrt zum zweiten Mal kam, „da habe ich nicht mehr diese Angst gehabt, die Leute waren sehr nett“.
Aber erste jetzt sei alles „nice and beautiful“, nett und schön. Jetzt habe sie ein „völlig anderes Gefühl, alle sind so nett, mein Herz ging auf“, sagt sie lächelnd. Und sie sei so froh, dass ihre drei erwachsenen Töchter mitgekommen seien: „Wir wurden hier mit offenen Armen empfangen“, freut sie sich.
Im Keller angekommen, fragt sie eine der Töchter, ob sie sich erinnern könne. Sie schüttelt den Kopf. Doch wenig später beim ersten Blick ins Gewölbe, meint sie „this looks familiar“. Sie zeigt in eine Ecke: „Dort stand der Tisch für die Weinproben“. Sie erfährt von Helmut Försch, dass einige der Sternschen Weinfässer mit ihren künstlerischen Reliefs heute im Juliusspital stehen. Wie sie dorthin gekommen sind, weiß bislang niemand. Sie erinnert sich auch an die bunten Glasfenster, die die Geschichte des guten und des schlechten Ehemanns zeigten. Über deren Verbleib ist jedoch nichts bekannt.
Sie erzählt, dass sie in Würzburg gerne die jüdische Schule besucht habe. Sie berichtet von den Besuchen des Vaters im Tempel, während sie im Hof mit anderen Kindern spielte, und besonders in Erinnerung geblieben sind ihr die Kaffeehausbesuche mit der Mutter. Doch dann wurde vieles anders. Ab 1935 konnte die Familie kein jüdisches Kindermädchen mehr engagieren, ihr Vater wurde angezeigt und denunziert, und sie selbst sei auf den Gehwegen der Stadt nur noch an der Seite gelaufen, „damit mich von der Hitlerjugend niemand erkennt“.
Im Oktober 1938 kam dann das Ende. Mit dem Zug reiste die Familie Stern Richtung Schweiz. Von dort führte der Weg nach Amerika. Eigentlich war San Francisco das Ziel, doch der erste Stopp war New York. Dort lebte schon der Bruder des Vaters und Max Stern fand dort einen Job als Versicherungsmakler. Er hatte Erfolg und die Familie blieb in den USA.
Heute lebt Ursula Ahlberg in New Jersey und ist dort glücklich und zufrieden. Umso überraschender klingt, was sie danach sagt: „Heute könnte ich aber auch wieder in Würzburg leben“. „Ja“, fügt sie dann noch hinzu, „diese Woche hat mein Leben verändert“.