Wir behandeln aktuell im Klinikum Würzburg Mitte 34 Covid-Erkrankte, davon drei auf den Intensivstationen. Das sind etwa gleich viele wie Anfang der Woche. Trotzdem ist die Stimmung im Team momentan von einer gewissen Anspannung geprägt. Gerade in den letzten Tagen haben wir viel darüber diskutiert, wie wichtig die Einhaltung der Kontaktbeschränkungen und Hygienemaßnahmen in der Klinik noch ist. Denn die Durchseuchung ist hoch, und wir dürfen unsere Patienten nicht gefährden.
Lockerungen im Alltag, angespannte Lage im Klinikum
Das aber steht in starkem Kontrast zu der Diskussion um die allgemeinen Öffnungen derzeit. Das Personal ist da in einem Spannungsfeld. Wir erleben, wie wir selbst mit Personalengpässen kämpfen und uns anstrengen müssen, um Ausfälle zu kompensieren – und gleichzeitig stehen die Zeichen in der Gesellschaft überall auf Lockerungen.

Zudem fällt auf, dass wir tendenziell mehr onkologische Patientinnen und Patienten mit Covid-19 bekommen. Sie haben meist aufgrund einer Tumortherapie keine Antikörper nach der Corona-Impfung gebildet und werden mit monoklonalen Antikörpern behandelt. Das funktioniert gut. Die meisten Betroffenen vertragen die Therapie und wir können ihnen damit relativ gut helfen.
Berührt und nachdenklich gemacht hat mich in dieser Woche das Gespräch mit der Familie eines Covid-Patienten. Der Mann ist Mitte 50 und ungeimpft, wie auch seine Frau und sein Sohn. Er ist bei uns an der Beatmungsmaschine und wir fürchten, dass es bei ihm keinen guten Verlauf nehmen wird. Das wollten wir auch den Angehörigen vermitteln. Allerdings zweifeln sie an der Erkrankung Covid-19 und suchen nach anderen Gründen für den Zustand des Patienten.
Innerliche Frustration - und Verwunderung über die vielen Ungeimpften auf den Stationen
Die Mitarbeiter setzen sich extrem für den Mann ein, da gibt es keine Vorbehalte und wir versuchen, unsere Sicht sachlich dazulegen. Das aber ist nicht einfach, denn die Familie vertritt eine Denkweise, die man mit unseren Erfahrungen überhaupt nicht nachvollziehen kann. Man kann sich vorstellen, dass innerlich eine gewisse Frustration dabei ist – aber die Gespräche waren auf keiner Seite von Vorwürfen geprägt. Generell sehen wir auf den Stationen immer noch verhältnismäßig viele ungeimpfte Patientinnen und Patienten. Das ist angesichts der Lage verwunderlich.

Gleichzeitig machen sich momentan viele geimpfte Menschen Gedanken um eine vierte Impfung. Für diejenigen, bei denen der Booster bereits mehr als ein halbes Jahr zurückliegt, ist das zu erwägen. Insbesondere bedarf es hier bei Risikopatienten mit Tumorerkrankungen und unter Immunsuppression einer eher großzügigen Indikationsstellung.
Keine Hinweise, dass eine "Überimpfung" droht
Hinweise darauf, dass es eine Art Überimpfung, also ein zu häufiges Impfen, geben könnte, haben wir nicht. Ich kann verstehen, dass sich diese Frage stellt. Spekulationen über einen Wirkverlust durch eine höhere Anzahl an Impfungen sind aber unbegründet. Aus meiner Sicht werden wir in der Bevölkerung vielmehr Probleme bekommen, weil es keine volle Durchimpfung gibt – denn das begünstigt, dass sich neue Varianten entwickeln.
Priv.-Doz. Dr. Matthias Held (51) ist Ärztlicher Direktor am Klinikum Würzburg Mitte. Dort ist der Lungenspezialist für die Covid-19-Patientinnen und -Patienten zuständig. In seinem Tagebuch gibt er regelmäßig Einblicke in den Klinikalltag. Alle Folgen finden Sie unter www.mainpost.de/corona-tagebuch