„Welches Wort ist schwierig?“ fragt Klassenleiterin Annette Berger in ihrer InGym-Klasse (Integration am Gymnasium) am Friedrich-Koenig-Gymnasium, während sie auf die Wörter deutet, die mit Hilfe eines Projektors an der Wand stehen. Die 15- bis 17-jährigen Schüler sind mit Eifer dabei. Ihre Motivation ist sehr groß, eine schulische Laufbahn bis zur Fachoberschule (FOS) oder direkt zum Abitur am Gymnasium einzuschlagen. Meist in einer Mittelschule aufgefallen, wo sie durch gute Leistungen glänzten, verstehen sie hier nun ihre Chancen. Manche waren auch in ihrer Heimat in einer höheren Schule, kennen zum Teil den Lehrstoff, konnten bislang aber mangels Deutschkenntnissen nicht daran anknüpfen.
Ein halbes Jahr lang dauert der Kompaktkurs mit 20 Stunden Deutsch in der Woche und weiteren 20 Stunden in üblichen Gymnasialfächern. Seit noch nicht einmal drei Monaten sind diese Schüler hier am FKG und interpretieren inzwischen deutsche Gedichte. Schritt für Schritt lernen sie die Begriffe. Optimismus? „Beim Test muss man Optimismus haben,“ sagt ein Schüler, „das Gegenteil von Pessimismus“ ein anderer.
Hadeel Mohameed fragt nach der Bedeutung von „kahl“: „Im Winter hat der Baum keine Blätter,“ erklärt Lehrerin Annette Berger, und: „Wenn man von den Schafen die Wolle haben will, werden sie geschoren, dann sind sie kahl.“ Oder „Es gibt auch die kahle Landschaft“.
Die Lehrerin spricht weiter von „sprachlichen Bildern für Sinneseindrücke, für Gefühle und abstrakte Begriffe“. „Was ist abstrakt?“ fragt Sami Al Sakka, die wie ihre Klassenkameradin aus Syrien stammt. „Freiheit ist abstrakt,“, so die Lehrerin, „man kann sie nicht anfassen“. „Von Grünen und Blühen keine Spur“, zitiert Annette Berger aus dem Gedicht „Winter“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, wobei die „Spur“ noch nicht allen klar ist. Hier ist nicht etwa die Spur im Schnee gemeint, sondern das Gefühl: Keine Spur, das heißt: „Man kann nichts davon erahnen“. Deutsch kommt mit Vokabeln, viel Grammatik und immer wieder mit Literatur daher, damit die Schüler ein Gefühl für die Sprache entwickeln können.
Das Friedrich-Koenig-Gymnasium ist mit vier weiteren Gymnasien in Bayern – in Augsburg, München, Nürnberg und Regensburg – Pilot-Gymnasium. Mit speziell geschulten Lehrkräften übernimmt ein solches Gymnasium jeweils für ein halbes Jahr Schüler mit Migrationshintergrund als Seiteneinsteiger.
Ein Intensivprogramm. Hier finden sich die Schüler im Offenen Ganztag wieder. Ausflüge mit Kulturprogramm (Museum) und Lebensschule (Passstelle einer Gemeinde) gehören dazu, so Schulleiter Siegfried Rose. Sport treiben sie gemeinsam mit anderen FKG-Schülern, Schwimmen lernen manche erst jetzt, so Rose weiter. Gebildet wurden bisher je eine Klasse für jüngere Schüler ab elf Jahren (ab dem 6. Jahrgang) und eine für ältere.
Es gab bis jetzt erst einen Durchlauf für solche Flüchtlingskinder. Sie sind nun jeweils Gastschüler an dem Gymnasium, das ihrem Wohnort am nächsten liegt. Dort müssen sie noch einige Tests absolvieren, bevor sie endgültig bleiben können.
Das intensive Halbjahr schweißt zusammen: Beim Abschied des vorigen Kurses flossen viele Tränen als es zurück ging an die unterfränkischen Heimatgymnasien. Aber es werden noch zwei Wochenend-Kompaktkurse in Würzburg folgen, tröstet Michaela Zahn von der Schulleitung des FKG.
Die ersten Absolventen waren unmittelbar nach ihrer Flucht ans Friedrich-Koenig-Gymnasium gekommen, als die erlebten Kriegsereignisse für viele noch ganz frisch waren. Ihre Telefonate in die Heimat nach Syrien waren vom Lärm niedergehender Bomben im Hintergrund begleitet. Immer wieder stellen die Schüler hilflos die Frage: „Warum gibt es Krieg?“
Die meisten Schüler in den Pilotklassen stammen aus Syrien, andere aus Afghanistan, aus Eritrea oder China. Sie wohnen als Asylsuchende oder als Bleibeberechtigte irgendwo in Unterfranken. Für das halbe Jahr im FKG kommen sie mit Zug und Bus nach Würzburg.
Die Wahl sei deswegen auf das Friedrich-Koenig-Gymnasium gefallen, erklärt die Ministerialbeauftragte für die Gymnasien in Unterfranken, Monika Zeyer-Müller, weil hier nicht nur die Raumsituation stimme, sondern die Schule aufgrund ihrer Lage immer Schüler mit Migrationshintergrund beschult habe. Jetzt habe sie darin längst Erfahrung.