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WÜRZBURG: Ein alter Lehrer mit Hemdbrust aus Pappe

WÜRZBURG

Ein alter Lehrer mit Hemdbrust aus Pappe

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    Hilma Werth berichtet, unter welchen Umständen im April 1946 in der Mozartschule der Unterricht wieder begann.
    Hilma Werth berichtet, unter welchen Umständen im April 1946 in der Mozartschule der Unterricht wieder begann. Foto: PRIVATFOTO

    1928 geboren, besuchte ich zunächst drei Jahre die Schillerschule, eine katholische Konfessionsschule in der Sanderau, in der von der Politik des Dritten Reiches kaum etwas zu spüren war. Im vierten Schuljahr wechselte ich in die neu erbaute Bertholdschule, die heutige Goethe-Schule im Frauenland.

    Hier gab es statt des Morgengebets einen „Wochenspruch“, zum Beispiel „Du bis nichts, dein Volk ist alles“ oder „Führer befiel, wir folgen“. Schon als Neunjährige fiel mir der nationalsozialistische Einfluss auf die Schulbücher auf, zum Beispiel eine kitschige Version der Geburt Hitlers, dem Weihnachtsevangelium nachempfunden.

    1939 zu Ostern wechselte ich in die zunächst Oberschule für Mädchen genannte spätere Mozartschule in der Annastraße. Die Schule, erst wenige Jahre alt, war vor Jahresfrist von den Nazis den „Englischen Fräulein“ genommen und in eine städtische Schule umgewandelt worden.

    Nach langer Schließung wurde meine Schule Ende April 1946 wieder eröffnet, ein lang ersehntes Ereignis. „Immer stand es klar und bestimmt vor mir, dass ich studieren würde, wenn auch noch so viel gegen das Frauenstudium gewettert wird“ steht unter dem 28. Februar 1947 in meinem Tagebuch.

    Schichtunterricht

    Wir hatten Schichtunterricht, das heißt eine Woche vormittags und eine Woche nachmittags Unterricht, denn das Schulhaus musste von einem Jungengymnasium mitbenutzt werden. Spezielle Räume für Naturwissenschaft und Kunst gab es nicht mehr, im früheren Turnsaal war nun ein Kino untergebracht.

    Es war schon ein seltsamer Unterricht: Wir hatten kaum Bücher – also mussten wir entweder mitschreiben oder es wurde diktiert – aber auch höchst unterschiedliche Lehrer. Da noch längst nicht alle früheren „entnazifiziert“ waren, musste man sich mit Aushilfskräften behelfen.

    In Latein hatten wir einen sonderbaren älteren Mann, der lebenslänglich studiert, aber nie Examen gemacht hatte und der uns statt Latein vergleichende Sprachwissenschaft lehrte. Er hatte einen merkwürdig starren Blick, eitrige Hände – wohl von Mangelernährung herrührend – und war erbärmlich gekleidet: Wir jungen Mädchen stellten fest, dass er unter seinem Jackett kein Hemd, sondern nur eine Papphemdbrust trug; die Knopflöcher seiner Weste waren mit rosa Baumwollgarn umstochen. Er war ein gestörter Mensch, eine tragische Erscheinung; gelernt haben wir bei ihm nichts. Nach einem Jahr wurde er aus dem Schuldienst entlassen.

    Mit 17 Jahren, im Sommer 1946, machte ich einen Tanzkurs mit. Der fand in Heidingsfeld in einem Wirtshaussaal statt, weil es in Würzburg keine geeigneten Räumlichkeiten gab; die Tanzmusik lieferte ein Klavierspieler, ein älterer, etwas verkrüppelter Mann, der wegen einer Krebserkrankung seine Stimme verloren hatte und immer freundlich war. Unsere „Herren“ (ja, wir waren damals noch „Damen“ und „Herren“ und siezten einander selbstverständlich) waren junge Studenten – wir alle waren verspätet.

    Wir lernten noch „Rheinländer“, eine Art Volkstanz, Foxtrott, Marsch, natürlich Walzer und Tango, der schon als ziemlich verrucht galt. Amerikanischer Einfluss, also Jazz, war bei unserem Tanzlehrer als unfein verpönt – wir tanzten ihn natürlich doch. Nach der Tanzerei gingen wir in manch einer warmen Sommernacht im Main schwimmen, der damals noch ein sauberer Fluss war.

    Hilma Werth lebte nach dem Krieg in der Keesburgstraße. Die Mozartschule wurde später den Englischen Fräulein zurückgegeben.

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