"Es war ein fürchterliches und unheimliches Krachen, Zischen und Heulen der explodierenden Bomben und Minen." Der 56-jährige Bankbeamte Karl Brod saß im Keller eines Hauses im Judenbühlweg, als am Freitag, 16. März 1945, um 21.25 Uhr der verheerende Luftangriff der Royal Air Force auf Würzburg begann. "Unser Haus bebte und zitterte", erinnerte sich Brod ein paar Monate später, "Fenster und Türen flogen auf und gingen in Trümmer. Die Frauen beteten und jammerten. Durch die zerschlagenen Kellerfenster flammte der weißleuchtende Schein der vor unserem Haus niedergegangenen Brandbomben auf".
In dieser Nacht starben rund 3600 Menschen. Das an einem Hang gelegene Haus, in dem Karl Brod wohnte, wurde nicht direkt getroffen. Am 22. Juli 1945 schrieb er seine traumatischen Erlebnisse auf; erst vor einiger Zeit wurden seine Aufzeichnungen, die 31 Seiten umfassen, von Lothar Michel, dem Inhaber des Cineworld-Kinos im Mainfrankenpark, beim Ausräumen des Speichers jenes Hauses zufällig entdeckt.
Karl Brod arbeitete eigentlich als Angestellter der Deutschen Bank in Mannheim; weil er einen zur Flugabwehr einberufenen Kollegen in Würzburg ersetzen musste, wurde er im September 1944 in die Domstadt versetzt. Das Industriezentrum Mannheim hatte zu diesem Zeitpunkt schon zahlreiche schwere Bombardements erlebt, während Brod sich in Würzburg "in ein Märchenland versetzt" fühlte.
Beinahe normales Leben in Würzburg
"Überall herrschte reges Leben", notierte er. "Die Gaststätten waren insbesondere während der Essenszeit überfüllt, die Cafés gut besucht und man bekam dort noch ein ganz gutes Stückchen Kuchen. Die Geschäfte waren noch intakt." Tatsächlich hatte es vorher nur einen größeren Bombenabwurf gegeben, der am 21. Juli 1944 auf der Löwenbrücke und im Mainviertel mehrere Dutzend Tote forderte. Die Flugzeuge hätten sich lediglich verirrt, redeten sich die Würzburger ein, die Stadt sei sicher.

"Bis Ende 1944 nahm man von der öffentlichen Luftwarnung, selbst wenn feindliche Bomber die Stadt überflogen, kaum Notiz", wunderte sich Karl Brod rückblickend. "Das Leben und Treiben auf den Straßen ging weiter, die Gasthäuser blieben dicht besetzt, kein Mensch dachte daran, die Luftschutzräume aufzusuchen." Manche taten es trotzdem. Für diese "allzu Ängstlichen" hatte man, so beobachtete Brod, "nur ein mitleidiges Lächeln übrig".
Ab Anfang 1945 nahmen auch in Würzburg die Bombenangriffe zu
Das sollte sich bald ändern. Ab Februar 1945 häuften sich die Bombardements, die Domstraße wurde unter anderem getroffen, außerdem die Juliuspromenade, der Bahnhof und Grombühl. Hunderte von Menschen starben, und die Angst wuchs. Viele Würzburger verbrachten die Nächte aus Sicherheitsgründen jetzt außerhalb; Kinder und Frauen wurden aufgefordert, die Stadt ganz zu verlassen. Karl Brod blieb, denn er wurde in der Deutschen Bank gebraucht, die sich damals im sogenannten Buchnerschen Palais gegenüber dem am 23. Februar zerstörten Hauptbahnhof befand.
Am Abend des 16. März 1945, einem ungewöhnlich warmen wolkenlosen Freitag, sah Karl Brod vom Judenbühlweg aus, wie Markierungsbomben an der Heidingsfelder Eisenbahnbrücke niedergingen. Jetzt war klar, dass ein Großangriff bevorstand. Brod ging mit den anderen Hausbewohnern in den Keller.
Als die britischen Flugzeuge um 21.42 Uhr abdrehten, kam Brod nach oben und blickte auf das sterbende Würzburg: "Die Stadt war ein riesiges Feuermeer und bot mit ihren lodernden Flammen und ihren glühenden Kirchtürmen ein schaurig schönes Schauspiel", schrieb er. "Gewaltige schwarze Rauchwolken standen über dem Flammenmeer. Das orkanartige Brausen des Feuersturms drang bis zu unserer Höhe."

"In kurzen Zeitabständen", so Brod weiter, "krachten mit mächtigem Getöse immer wieder die Zeitzünder und lösten erneut Tod und weitere Vernichtung aus. Die Luft war erfüllt mit beißendem Brandgeruch und dem Geknister und Geprassel der Brände und dem Bersten und Krachen der einstürzenden Mauern und Häuser. Es war ein wirkliches Sodom und Gomorrha, wie es im biblischen Zeitalter nicht schlimmer gewesen sein mag."

Die Brände hielten laut Brods Beobachtung noch tagelang an und erhellten in der Nacht das Ruinenmeer. In die Stadt zu gehen war fast unmöglich, da an vielen Stellen noch Häuser einstürzten und Zeitzünder hochgingen. Die meisten Straßen waren mit ungeheuren Schuttmassen bedeckt und unpassierbar.
"Überall lagen noch Tote auf Straßen und Plätzen herum."
Der Bankangestellte Karl Brod in seinem Bericht
Dennoch machte sich der von Pflichtbewusstsein erfüllte Bankbeamte einige Tage nach dem 16. März auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz: "Überall lagen noch Tote auf Straßen und Plätzen herum", sah er. "Viele Tote wurden bis zum Transport auf den Friedhof und zur Identifizierung in die Kirchen getragen, obwohl dieselben größtenteils stark beschädigt und ausgebrannt waren, und dort reihenweise nebeneinander gelegt." An einen irgendwie gearteten Bankbetrieb war zunächst nicht zu denken,

Wochenlang gab es weder Wasser noch Strom. Brod ging regelmäßig vom Judenbühlweg mit zwei Eimern zu einem etwa einen Kilometer entfernten Brunnen: "Da dies der einzige Brunnen in der ganzen Umgegend war, musste ich in der Regel eine Stunde und mehr anstehen, bis die Reihe zum Wasserfassen an mir war. Und dann kam der lange Rückweg und das Hinaufschleppen der beiden Eimer."
Weite Wege, um an Lebensmittel zu kommen
Die Versorgung mit Lebensmitteln erwies sich als kaum lösbares Problem. Brod: "Es gab keine Bäckereien, keine Metzgereien, keine Milchhandlungen, keine Kolonialwarengeschäfte usw." Wieder galt es, weite Wege zurückzulegen. "Am Anfang gab es Brot, Milch, Fleisch usw. nur in der ‚Waldesruh‘ im Steinbachtal. Eine Stunde Marschzeit, eine Stunde zurück und oft stundenlanges vergebliches Anstehen."

Am 23. Mai brachte ein Kurier der Deutschen Bank den ersten Brief seiner nach Sinsheim evakuierten Frau mit; seit zwölf Wochen hatte Karl Brod nichts von ihr gehört: "Ich war in großer Sorge um sie gewesen. Jetzt erfuhr ich, dass auch sie den Krieg in Sinsheim, wenn auch in Ängsten und Schrecken, gut überstanden hatte." Zwei Monate später kehrte Brod zu seiner Frau zurück und nahm seinen Dienst in Mannheim wieder auf.
Über Karl Brods Versuche, in den Monaten nach dem 16. März in Würzburg einen Notbetrieb der Deutschen Bank einzurichten und an den geplünderten Tresor im Keller zu gelangen, berichten wir demnächst in einem weiteren Artikel.