Vor etwas über 100 Jahren, im Dezember 1923, wurde in Leipzig mit "Baal" das erste Theaterstück von Bertolt Brecht uraufgeführt. Doch dem Bühnenerstling aus dem Jahr 1918 war, etwa im Gegensatz zur "Dreigroschenoper" von 1928, kein großer Bühnenerfolg beschieden. Trotz mehrerer Überarbeitungen war Brecht nie so ganz zufrieden mit den insgesamt vier Fassungen, in seinen letzten Lebensjahren wuchs der Abstand noch: "Ich gebe zu, dem Stück fehlt Weisheit".
Gleichwohl wagte sich die Würzburger Theaterwerkstatt an das sperrige und anarchische Stück, dessen fragmentarischer Charakter uns heutige Theaterbesucher allerdings nicht mehr überraschen kann. Und auch Baals exzentrische Künstlerexistenz, die für sich keinerlei moralische Grenzen akzeptiert, ist uns in Zeiten übersteigerter Selbstinszenierung und toxischer Männlichkeit durchaus vertraut.
Der Zwiespalt im Mittelpunkt
Regisseurin Cornelia Wagner hat sich für ihre Inszenierung mit dem Darstellerteam Matthias Born, Richard Baudach, Sophia Memmel, Michelle Neise, Andreas Protte und Adeliya Sagitova im Theater Augenblick im Kulturspeicher, für die zweite Stück-Fassung entschieden, die genau diesen Zwiespalt zwischen künstlerischer Freiheit und moralischer Verantwortung stärker fokussiert.

Ausgetragen werden diese Konflikte in der Manege eines in die Jahre gekommenen Zirkus, für den die Bühnenbildner Markus Rakovsky und Eve Sava mit viel Liebe zum Detail die gesamte Breite und Tiefe nutzen. Im Zentrum steht David Scheller in der Titelfigur des Baal, ein unsympathischer Anti-Held, dessen Leben primär der schnellen Bedürfnisbefriedigung – Trinken, Essen, Sex – dient, und der seine lyrischen und literarischen Talente großzügig vergeudet. Und der keinerlei moralische Skrupel kennt.
Radikaler Ego-Tripp
Im Gegenteil: Baal geht in seinem radikalen Ego-Trip sprichwörtlich über Leichen. Frauen, Freunde und Gönner werden schamlos ausgenutzt, finanziell ausgebeutet, in den Selbstmord getrieben oder wie sein bester (Musiker-) Freund Ekart im Rausch ermordet. Ein zerstörerisches Leben, das nicht gut enden kann.
Und doch schafft es David Scheller mit seinem grenzenlos leidenschaftlichen Spiel, dass wir sowas wie Empathie empfinden für diesen haltlosen Exzentriker. Daneben wartet die packende Inszenierung mit vielen kleinen Preziosen auf, die das Publikum nach 170 packenden Minuten das gesamte Team und vor allem David Scheller mit stürmischem Applaus feiern lassen..
Infos: Bis zum 8. Februar. Theaterwerkstatt im Kulturspeicher, Oskar-Laredo-Platz 1. Karten: www.theater-werkstatt.com oder Tel.: (0931) 59400.