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Würzburg: Eine Woche "krasser" Einsamkeit

Würzburg

Eine Woche "krasser" Einsamkeit

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    Sport schafft in der Würzburger Jugendarrestanstalt einen Zugang zu delinquenten jungen Menschen.
    Sport schafft in der Würzburger Jugendarrestanstalt einen Zugang zu delinquenten jungen Menschen. Foto: Landratsamt Würzburg

    Christa Fischer hat schon viele Tränen fließen sehen. „Ich halte das hier nicht aus!“, weinen die Teenager, die zu ihr kommen. Die Sozialpädagogin ist an einem besonderen Ort tätig: Sie kümmert sich um junge Menschen in der Würzburger Jugendarrestanstalt (JAA). Aber braucht es solche Anstalten eigentlich noch? Sind sie aus pädagogischer Sicht sinnvoll? Darüber diskutierten 120 Teilnehmer am Mittwoch beim 22. „Forum Jugendhilfe“ im Würzburger Landratsamt, heißt es in einer Pressemitteilung.

    Gleichgültigkeit, Unsicherheit, Ablehnung, Angst: Die Jugendlichen, die zu Christa Fischer kommen, würden ganz unterschiedlich auf die Tatsache reagieren, dass sie eingesperrt sind. Fischer bietet ihnen Unterstützung an. Und das ist laut Mitteilung dringend nötig. Denn den Teenagern gehe es nicht gut. Fast keiner stamme aus einer behüteten Familie. Manche seien wohnungslos. Etliche hätten keinerlei berufliche Perspektive. Fischer spricht von einer „sehr komplexen Lebenssituation“ der meisten Arrestanten.

    Dass Fischer in der JAA tätig sein kann, ist einem Verein zu verdanken: Dem vor acht Jahren gegründeten „Förderverein Jugendarrestanstalt Würzburg“. Peter Mökesch, Strafverteidiger aus Würzburg, gehört dem Vorstand an. Nach seinen Worten sollte alles getan werden, um Arrest zu vermeiden: „Ist Jugendarrest unvermeidbar, sollte man die Zeit sinnvoll nutzen.“ Hier will die vom Förderverein finanzierte Sozialpädagogin helfen: Sie geht auf die 14- bis 21-Jährigen zu, versucht, herauszufinden, warum sie mit dem Gesetz in Konflikt gerieten und erarbeitet mit den Jugendlichen konkrete Lösungen.

    351 junge Menschen waren 2017

    in der Jugendarrestanstalt

    Viele Teenager bleiben eine Woche im Arrest. In dieser Woche sind sie ab dem Nachmittag alleine im Zimmer – ohne Fernseher, Handy, Computer und Zigaretten. Sie können Bücher lesen, Briefe schreiben oder schlafen. 351 junge Menschen waren im vergangenen Jahr in der Würzburger JAA im Jugendarrest. Fast alle empfanden das Alleinsein als „krass“, heißt es in der Pressemitteilung. „Anfangs kommt damit fast keiner zurecht“, wird Jugendrichter Bernd Krieger zitiert, der das Instrument „Arrest“ deshalb sparsam einsetzt. Doch verzichten kann er darauf nicht. Könnte er nicht mit Arrest drohen, wären noch weniger Jugendliche bereit, soziale Trainingskurse mitzumachen, legte er dar.

    Beim 22. Forum Jugendhilfe im Landratsamt Würzburg diskutierten Wissenschaftler und Praktiker über die Sinnhaftigkeit von Jugendarreststrafen (v.l.): Florian Kaiser (Bayerisches Landesjugendamt), Bernd Krieger (Jugendrichter), Eva-Maria Löffler (Geschäftsbereichsleiterin Jugend, Gesundheit und Soziales am Landratsamt Würzburg), Prof. Dr. Tanja Henking (Hochschule f. angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt), Prof. Dr. Christian Pfeiffer (Kriminologe),  Christa Fischer (Förderverein Jugendarrestanstalt Würzburg), Klaus Rostek (Fachbereichsleiter Amt für Jugend und Familie am Landratsamt Würzburg), Susanne Forster (Jugendgerichtshilfe,  Amt für Jugend und Familie).
    Beim 22. Forum Jugendhilfe im Landratsamt Würzburg diskutierten Wissenschaftler und Praktiker über die Sinnhaftigkeit von Jugendarreststrafen (v.l.): Florian Kaiser (Bayerisches Landesjugendamt), Bernd Krieger (Jugendrichter), Eva-Maria Löffler (Geschäftsbereichsleiterin Jugend, Gesundheit und Soziales am Landratsamt Würzburg), Prof. Dr. Tanja Henking (Hochschule f. angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt), Prof. Dr. Christian Pfeiffer (Kriminologe), Christa Fischer (Förderverein Jugendarrestanstalt Würzburg), Klaus Rostek (Fachbereichsleiter Amt für Jugend und Familie am Landratsamt Würzburg), Susanne Forster (Jugendgerichtshilfe, Amt für Jugend und Familie). Foto: Landratsamt Würzburg

    In der Arrestanstalt wird unter anderem durch Sport versucht, einen Zugang zu den Jugendlichen zu bekommen, informierte Anstaltsleiter Dirk Höhle. Die Zeit im Arrest werde aber auch genutzt, um über brisante Themen zu informieren: „Das Gesundheitsamt spricht mit den Jugendlichen über Rauchentwöhnung, außerdem werden wir regelmäßig von den Anonymen Alkoholikern besucht.“ Schließlich kooperiert die Anstalt mit der Kolping-Berufsschule.

    Soziale Trainings

    sinnvoller als Arrest

    Bayernweit gibt es sieben Anstalten, in denen Jugendliche eingesperrt werden können, berichtete Florian Kaiser vom Bayerischen Landesjugendamt. Fast 3100 junge Menschen kamen 2016 in Arrest. „Ich bin nicht überzeugt von diesem Instrument“, betonte der Sozialpädagoge. Zumal dann besonders häufig arrestiert werde, wenn in einer Kommune keine Alternativen wie Anti-Gewalt-Trainings, Soziale Trainingskurse oder andere Gruppenarbeiten zur Verfügung stünden.

    „Wir haben keinen Beleg, dass Arrest nachhaltig wirksam ist“, ergänzte Tanja Henking von der Würzburger Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften. Die Wirksamkeit werde im Gegenteil stark bezweifelt. „Auch wir bevorzugen andere Maßnahmen“, stimmte ihr Jugendgerichtshelferin Susanne Forster vom Kreisjugendamt Würzburg zu. So investiert der Landkreis jedes Jahr fast 200.000 Euro für soziale Trainingskurse. Auch die Stadt tut dies in ähnlicher Höhe. 

    „Das Drohen mit dem Arrest gibt uns die Chance, in Kontakt mit den Jugendlichen zu kommen“, so Birgit Münchenbach von der Aktionsgemeinschaft Sozialisation (AGS), die für die Region Würzburg soziale Trainingskurse anbietet. Ohne Zwang würden die jungen Leute niemals zur AGS kommen. Haben sie die AGS erst einmal kennen gelernt, seien einige bereit, nach Auslaufen der angeordneten Maßnahme freiwillig weiterzumachen.

    Insgesamt, betonte Prof. Dr. Christian Pfeiffer - bundesweit renommierter Fachmann für die Jugendstrafrechtspflege, ginge die Kriminalität junger Menschen in Deutschland in den vergangenen Jahren drastisch zurück. Von 2007 bis 2017 betrug dieser Rückgang, jeweils pro 100.000 Einwohner gerechnet, über 40 Prozent. Zurückzuführen sei dies laut Pfeiffer, dass Eltern seit den 1980er Jahren in der Erziehung zunehmend auf Schläge verzichten würden. 

    Neben der Familie sei aber auch Ungerechtigkeit ein wichtiger Faktor von Gewalt. Dies ergab unter anderem eine Jugendrichterforschung. Sie zeigte, dass Jugendliche ganz unterschiedliche Strafen erhalten, je nachdem, bei welchem Jugendrichter sie landeten. Pfeiffer appellierte gerade an Richter, fair zu straffälligen jungen Menschen zu sein: „Denn durch Ungerechtigkeit produzieren wir Frust, Wut und Gewalt.“

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