Als das Urteil gesprochen ist, steht Elke und Ronald Stahl das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Nachdem Reporter und Prozessbeobachter den Gerichtssaal verlassen haben, beraten sich die Eltern von Unfallopfer Theresa, die als Nebenkläger aufgetreten waren, minutenlang mit ihrem Anwalt. Später verlassen sie wortlos das Gebäude. Sie haben Tränen in den Augen.
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Eine Geldstrafe von 5000 Euro und ein weiteres Jahr Fahrverbot – so lautete am Mittwochmittag das Urteil gegen den Hauptangeklagten Niclas H., zweieinhalb Jahre nach dem Unfall bei Untereisenheim (Lkr. Würzburg). Nicht wegen fahrlässiger Tötung, wie ursprünglich angeklagt, sondern wegen fahrlässigen Vollrauschs.
Der heute 21-Jährige, daran hat Richter Bernd Krieger keinen Zweifel, hat sich in der tragischen Aprilnacht nach einem Weinfestbesuch mit mindestens 2,89 Promille Alkohol im Blut ans Steuer seines Golf gesetzt und die 20-jährige Fußgängerin Theresa mit bis zu 80 Stundenkilometern überfahren. Sie starb wenige Tage später an ihren schweren Verletzungen. Auch die drei Mitangeklagten, die mit im Unfallauto saßen, kamen mit einer Geldstrafe davon. 1000, 1500 und 2000 Euro müssen die 21 und 22 Jahre jungen Männer zahlen, weil sie keine Hilfe holten und sich stattdessen schlafen legten.

Staatsanwaltschaft legte wenige Stunden nach dem Urteil Berufung ein
Alle vier Angeklagten wollen gegen das Urteil keine Rechtsmittel einlegen. Anders die Gegenseite. Wie Sprecher Boris Raufeisen auf Nachfrage dieser Redaktion am Abend bestätigt, hat die Staatsanwaltschaft nur wenige Stunden später Berufung gegen das Urteil eingelegt.
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Es ist ein Urteil, mit dem sich selbst Richter Krieger nicht wohlfühlte. Seine Begründung klingt in Teilen wie eine Entschuldigung für das Urteil. "Es fällt mir schwer, Ihnen in die Augen zu schauen", bekennt er. "Eigentlich werden Urteile 'Im Namen des Volkes' gesprochen. Heute wurde ein Urteil 'Im Namen das Gesetzes' gesprochen", das "das Volk" nur verstehe, wenn es "einige Semester Jura studiert hat".
"Es fällt mir schwer Ihnen in die Augen zu schauen."
Richter Bernd Krieger zu Theresas Eltern
Das psychiatrische Gutachten, das am ersten Prozesstag verlesen worden war, hatte Niclas H. aufgrund seiner Volltrunkenheit als schuldunfähig eingestuft, und so könne der 21-Jährige für die Tötung Theresas nicht belangt werden. Er verstehe, so Krieger, wenn nun jemand sagt, der Angeklagte habe "genug gesoffen", um davonzukommen.
"Das Gericht hat gegen das Gutachten des Dr. Flesch gekämpft", betont Krieger. Schließlich sei Niclas H. in der Lage gewesen, kontrolliert auf dem Parkplatz zu driften oder sein Auto lange unfallfrei durch die engen Gassen Eisenheims zu manövrieren. Außerdem habe er bei seiner eigenen Rettung "bewusstlos gespielt" und schon hier das Gerücht gestreut, jemand anderes habe Theresa überfahren. Doch auch wenn es Zweifel an dem Gutachten gebe, könne das Gericht es nicht ignorieren.
Staatsanwaltschaft forderte Haftstrafe ohne Bewährung
So bleibe nur die fahrlässige Volltrunkenheit. Dafür sei der damals 18-Jährige nach Jugendstrafrecht zu verurteilen. "Leider", so Krieger, scheide aber auch eine Freiheitsstrafe nach Jugendstrafrecht aus. Dafür müsste eine "Schwere der Schuld" oder "schädliche Neigungen" beim Angeklagten festgestellt werden. Beides liege nicht vor. Eine Erziehungsmaßnahme, so lange nach der Tat, sei auch nicht vertretbar. So steht am Ende lediglich eine Geldstrafe.
"Auf keinen Fall darf am Ende nur eine Geldstrafe stehen."
Staatsanwältin Martina Pfister-Luz
Die bedeutet eine Niederlage für die Anklage. In ihrem Plädoyer hatte Staatsanwältin Martina Pfister-Luz noch vehement gefordert: "Auf keinen Fall darf am Ende nur eine Geldstrafe stehen." In der Rückschau klingt dieser Satz wie eine Vorahnung. Zwar räumte auch Pfister-Luz ein, dass Niclas H. aufgrund der attestierten Schuldunfähigkeit "nicht für die eigentliche Tat verurteilt werden kann". Für seinen Rausch aber schon. Sie forderte zweieinhalb Jahre Haft nach Erwachsenenstrafrecht. Eine mildere Strafe, etwa eine Bewährung, "würde das Rechtsempfinden der Bürger stören", betonte sie.
"Mir ist es völlig egal, was die Öffentlichkeit will."
Verteidiger Hans-Jochen Schrepfer

Der Verteidiger von Niclas H., Hans-Jochen Schrepfer, nahm das Argument auf. "Mir ist es völlig egal, was die Öffentlichkeit will", erklärte der Anwalt. Sein Mandant, der unter "einem großen Alkoholproblem und depressiven Episoden" leide, sei zum Zeitpunkt des Unfalls wegen seines Rauschs schuldunfähig gewesen. Dabei fragte er nach der Verantwortung der Weinfestbetreiber: "Wie kann es eigentlich sein, dass ein junger Mann sich dort so betrinken kann?" Schrepfer forderte eine Geldstrafe von 1500 Euro und therapeutische Maßnahmen.
"Es tut mir zutiefst leid", sagt Niclas H. in seinem letzten Wort. Nach der Beweisaufnahme müsse er davon ausgehen, dass er gefahren sei. Auch die anderen drei Angeklagten entschuldigen sich.
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Für Theresas Angehörige ist das kein Trost. Schon vor der Urteilsverkündung ärgerte sich Vater Ronald über "Märchen", die die Angeklagten dem Gericht, aber auch den Gutachtern aufgetischt hätten. Mutter Elke hoffte da noch, "dass das Gericht auf die Staatsanwaltschaft hört".
Hinweis: Der Autor dieses Textes steht mit der Familie des Opfers in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis.