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Würzburg: Er war ein Würzburger "Außenbürger": Wie der kleine Georg Götz nach dem 16. März 1945 Sehnsucht nach der Heimat hatte

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Er war ein Würzburger "Außenbürger": Wie der kleine Georg Götz nach dem 16. März 1945 Sehnsucht nach der Heimat hatte

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    Georg Götz als Zwölfjähriger. Damals lebte er mit seiner Mutter in Rimpar.
    Georg Götz als Zwölfjähriger. Damals lebte er mit seiner Mutter in Rimpar. Foto: Sammlung Georg Götz

    Der Brief, den Heinz Kilian am 11. März 1948 an den Würzburger Stadtrat schickte, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. "Tagtäglich kommen zu mir die Würzburger gelaufen, um irgendwie einen Weg zu finden, welcher sie am schnellsten wieder nach Würzburg bringt", schrieb Kilian, der für Zehntausende von Menschen zuständig war, die nach dem Luftangriff des 16. März 1945 Würzburg verlassen mussten und in umliegenden Orten notdürftig untergebracht wurden.

    Kilian war zornig, denn er hatte gehofft, dass freigewordene Holzbaracken am Hubland für Ausgebombte zur Verfügung gestellt würden. Es sei "eine Schande und Blamage" für die Stadt, "dass diese Baracken heute noch unbewohnt sind", schrieb er. Sein Zorn dürfte nicht kleiner geworden sein, als er wenig später erfuhr, dass die Regierung von Unterfranken in den Baracken stattdessen Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten unterbrachte.

    Die Rückkehr nach Würzburg dauerte oft noch sehr lange

    Viele Außenbürger mussten noch Jahre warten, bis sie endlich in die langsam wiedererstehende Heimatstadt zurückkehren konnten. Einer von ihnen war der 1936 geborene Georg Götz, der mit seiner verwitweten Mutter Betti am 16. März 1945 die Zweizimmerwohnung in der Petrinistraße 11 in Grombühl verloren hatte und am Tag darauf bei weitläufigen Verwandten in Rimpar unterkam. "Mit nichts sind wir angekommen", schrieb er später. "Nur das, was wir auf dem Leib trugen, hatten wir gerettet. Mühsam schufen wir uns ein neues Zuhause."

    Georg Götz und seine Mutter verloren am 16. März 1945 ihr Zuhause in der Petrinistraße. Fast überall in Grombühl sah es so aus wie in der hier abgebildeten Brücknerstraße.
    Georg Götz und seine Mutter verloren am 16. März 1945 ihr Zuhause in der Petrinistraße. Fast überall in Grombühl sah es so aus wie in der hier abgebildeten Brücknerstraße. Foto: Geschichtswerkstatt

    Das Wort "Zuhause" ist relativ. Am Anfang hausten Betti und Georg Götz in einem kleinen Zimmer. Ein Bett samt Strohsack und einen Schrank hatte man ihnen zur Verfügung gestellt, ein Tischchen und zwei Stühle erbettelte die Mutter von anderen Menschen. Georg besuchte die Dorfschule, wo er nicht mit offenen Armen empfangen wurde. Manche Klassenkameraden nannten ihn "Stoodfrack" oder "Reigschmeggder" – Stadtfrack oder Außenseiter.

    Erschwerend kam hinzu, dass Georg den lokalen Dialekt nicht beherrschte und vieles – nicht nur in der Schule – zunächst kaum verstand. In seinem Tagebuch notierte er erstaunt, dass die Rimparer einander oft in der dritten Person ansprachen. "Hödd ihr ä boor Äer üh?" hieß "Haben Sie ein paar Eier übrig?"

    Betteln um ein paar Scheiben Brot bei den Bauern im Dorf

    Ende April 1945 besuchten Georg und seine Mutter das zerstörte Wohnhaus in Grombühl; immer noch hing Brandgeruch über der Stadt, die sich seit dem 6. April in der Hand der Amerikaner befand. Die beiden gruben in den Trümmern ihrer Wohnung eine Steingutschüssel, einen eisernen Tiegel und ausgeglühtes Besteck aus – lebensnotwendige Utensilien in einer Zeit, in der größte Armut herrschte.

    Das betraf auch das Essen. Für den 12. Mai 1945 notierte Georg Götz, dass wieder einmal nichts da war und die Mutter ihn losschickte, um bei Bauern ein paar Scheiben Brot zu erbitten: "Mit meinem Rucksäckchen lief ich am Nachmittag los und kam dabei bis ins kleine Dorf Maidbronn. Ich hatte bei einigen Leuten Glück und an Abend konnte ich der Mutter 14 Scheiben Brot geben." In einem Bauernhof hatte man in allerdings mit den Worten "Hau ab du Dürmel" davongejagt.

    Bis 1956 wohnten Georg Götz und seine Mutter Betti in zwei kleinen Zimmern in der Rimparer Herrngasse. Zur notdürftigen Unterkunft gelangte man durch eine Waschküche, an deren Eingang die beiden Außenbürger hier stehen.
    Bis 1956 wohnten Georg Götz und seine Mutter Betti in zwei kleinen Zimmern in der Rimparer Herrngasse. Zur notdürftigen Unterkunft gelangte man durch eine Waschküche, an deren Eingang die beiden Außenbürger hier stehen. Foto: Sammlung Georg Götz

    Nach einer Zwischenstation in der Niederhoferstraße fanden Mutter und Sohn ein neues Quartier in der Herrngasse 7. Zunächst lebten sie hier lediglich in einem länglichen Zimmer in einem Anbau, in dem sie kochten und auch schliefen. Wenn Georg sich richtig waschen wollte, stellte die Mutter eine ausgeliehene Wanne mit warmem Wasser auf. Als ein weiterer Raum zu einer provisorischen Küche ausgebaut worden war, besserte sich die Situation etwas.

    Manchmal fiel für die Würzburger beim Schlachttag etwas ab

    Unverändert aber blieb die Tatsache, dass man zur Behausung von Betti und Georg Götz nur durch eine Waschküche gelangen konnte. Das hatte Vor- und vor allem Nachteile, denn hier wuschen viele ihre Wäsche oder kochten geschnetzelte Zuckerrüben zu Sirup, was dann immer deutlich zu riechen war. "Wir mussten alles in Kauf nehmen", sagt Georg Götz rückblickend. Doch am Schlachttag, wenn in der Waschküche ebenfalls reges Leben herrschte, "ist manchmal etwas für uns abgefallen und du hast eine Wurst bekommen oder eine Kesselsuppe".

    Georg Götz, der Junge mit dem Becher hinter dem Korb, besuchte die Volksschule in Rimpar. Das Foto entstand im Mai 1947 bei einer Schulspeisung.
    Georg Götz, der Junge mit dem Becher hinter dem Korb, besuchte die Volksschule in Rimpar. Das Foto entstand im Mai 1947 bei einer Schulspeisung. Foto: Sammlung Georg Götz

    Nach der vierten Klasse Volksschule wechselte Georg Götz 1948 auf die Oberrealschule in Würzburg, das heutige Röntgen-Gymnasium. Ein Bus fuhr nicht, so dass der Junge, wie andere Rimparer, am Marktplatz auf Laster stieg, die kostenlos und zu festgesetzten Zeiten Menschen in die Stadt mitnahmen – auf Bänken, die auf der Ladefläche standen. Einige Zeit war das zum Glück nicht nötig, als Georg Götz im Internat von Don Bosco am Schottenanger in Würzburg wohnen durfte.

    Nach der Mittleren Reife zog er zurück zur Mutter nach Rimpar. Hier war er inzwischen integriert, leitete eine Gruppe der katholischen Jugend und spielte im Pfarrheim Theater. Ein Fahrrad machte ihn, den Mauerlehrling, auf dem Weg zur Arbeit in Würzburg unabhängig; später kaufte er sich sogar einen Motorroller – "eine 150er Lambretta mit elektrischem Anlasser". Doch die Sehnsucht nach der alten Heimat blieb. Erst 1956 erhielten Betti und Georg Götz wieder eine Wohnung in Würzburg – ausgerechnet in der Petrinistraße Nummer neun, also direkt neben dem früheren Wohnhaus.

    Georg Götz war als Kind und Jugendlicher einer von unzähligen Würzburger Außenbürgern.
    Georg Götz war als Kind und Jugendlicher einer von unzähligen Würzburger Außenbürgern. Foto: Roland Flade

    Ab 1951 gab es "Außenbürgertage" für die Menschen aus Würzburg

    Andere Außenbürger waren noch viel später dran, doch galten auch sie bis zur Rückkehr weiterhin als Würzburger. Ab 1948 wurden sie beim städtischen Fürsorgeamt registriert; dieses Amt und die 1951 eigens geschaffene Betreuungsstelle für Außenbürger versuchten, materielle Not zu lindern und die Verbindung zur Heimatstadt nicht abreißen zu lassen. Seit 1951 fanden jährlich Außenbürgertage statt, bei denen für bis zu tausend Evakuierte ein buntes Programm geboten wurde.

    Durch vielerlei Aktionen, zum Beispiel durch Gastspiele von Würzburger Künstlern und Tanzensembles in Landkreisgemeinden, versuchte man, ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass man sie nicht vergessen hatte. Dazu trug auch bei, dass Außenbürger an den Würzburger Stadtratswahlen teilnehmen durften.

    Ein einmaliges Dokument ist das Würzburger Adressbuch für das Jahr 1950, das den Stand vom Oktober 1949 wiedergibt. Auf 27 engbedruckten Seiten sind rund 6750 namentlich bekannte Außenbürger mit ihrer neuen, teilweise auch der alten Würzburger Adresse verzeichnet. Da nur die Haushaltsvorstände aufgeführt waren, muss von einer viel höheren Gesamtzahl ausgegangen werden, die nur langsam schrumpfte. 1960 lebten weiterhin rund 3660 Ausgebombte als Außenbürger fern der Heimat.

    Viele von ihnen brauchten finanzielle Unterstützung, die Stadt und Bürger tatsächlich leisteten. "Dadurch wurden wirtschaftliche Notstände durch Gewährung von Bar- und Sachleistungen, darunter Spenden, behoben und gelindert", heißt es in einem Rückblick der Verwaltung auf das Jahr 1960.

    Erst Mitte der 1960er Jahre spielte das Außenbürger-Thema keine Rolle mehr

    Freilich waren zahlreiche Außenbürger 15 Jahre nach der Evakuierung bereits zu alt, um in normale Wohnungen zurückzukehren. 227 Alleinstehende und 88 Ehepaare entschieden sich daher 1960 für eine spätere Altenheimunterbringung. Viele starben auch vor der Rückkehr aus dem nicht selbst gewählten Exil.

    Am 13. Juli 1960 fand der siebte Außenbürgertag statt, an dem rund 600 Bedürftige teilnahmen, die Geschenke erhielten, meist bereitgestellt von Würzburger Geschäftsleuten. Es gab 1960 zudem die schon traditionelle Weihnachtshilfeaktion, damit, wie die Stadtverwaltung schrieb, mit Bargeld, Gutscheinen und Sachspenden "unseren Außenbürgern wieder eine besondere Weihnachtsfreude bereitet werden kann".

    Auch in den folgenden Jahren ging die Aktion weiter, bis ab Mitte der 60er das Thema Außenbürger keine Rolle mehr spielte. 1965, zwei Jahrzehnte nach der fast völligen Zerstörung Würzburgs und dem Abschluss des Wiederaufbaus, konnte die Betreuungsstelle für Außenbürger als selbstständige Dienststelle endlich aufgelöst werden.

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