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WÜRZBURG: Erste Funde: Welche genetischen Faktoren hat Depression?

WÜRZBURG

Erste Funde: Welche genetischen Faktoren hat Depression?

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    Professor Manuel Mattheisen und Privatdozent Andreas Menke.
    Professor Manuel Mattheisen und Privatdozent Andreas Menke. Foto: Foto: Alice Natter

    Es ist eine dieser Pressemeldungen, bei denen man sofort aufhorcht: „44 genetische Variationen im Zusammenhang mit Depressionen identifiziert“. Eine Mitteilung, bei der man gleich interessiert weiterliest – und am Ende viele Fragen hat. „Einem internationalen wissenschaftlichen Konsortium ist es gelungen, 44 Genorte zu identifizieren, die mit schweren Depressionen im Zusammenhang stehen“, schreibt die Uniklinik Würzburg in der Meldung. Und dass die gewonnenen Erkenntnisse die Grundlage für eine noch effizientere Behandlung von Depressionen sein können.

    44 Genorte identifiziert – aber was heißt das denn nun? Was haben die Forscher untersucht und wie ist diese Zahl einzuschätzen? Was bedeutet das mittel- oder langfristig für Menschen mit Depression? Fragen wir lieber nach bei dem Mann, der maßgeblich an der Studie beteiligt war: Manuel Mattheisen, seit November Professor für Psychiatrische Genetik und Epigenetik an der Universität Würzburg. Der Wissenschaftler ist einer von wenigen deutschen Experten für Genetik und Psychiatrie.

    Weltweite Suche nach „Depressions-Genen“ - bislang erfolglos

    „Der Zusammenhang von genetischen Faktoren und Depressionen ist mittlerweile unbestritten“, sagt Manuel Mattheisen. Lange Zeit aber hatten die Wissenschaftler wenig darüber gewusst, welche Bereiche der DNA mit der Entwicklung von depressiven Störungen zusammenhängen. Weltweit suchten und suchen Wissenschaftler „Depressionsgene“. Über die Jahre gab es immer wieder Untersuchungen, die vielversprechend aussahen, in denen man schließlich aber doch keine wirklich präzisen und verlässlichen genetischen Merkmale für die Krankheit fand.

    Im Sommer vor zwei Jahren veröffentlichte ein internationales Forscherteam dann im Fachjournal „Nature Genetics“ eine Studie, in der es 17 genetische Merkmale bestimmte, die in Zusammenhang mit Depressionen stehen können.

    Warum riesige Datenmengen von möglichst vielen Menschen nötig sind

    Den Forschern standen aus der Datenbank eines Genforschungsunternehmens Daten von 75 600 Menschen zur Verfügung, bei denen eine Depression diagnostiziert worden war, und von 231 000 gesunden Menschen.

    Große Zahlen – und ein Hinweis darauf, was bei Mattheisens Forschung wichtig ist: Daten von möglichst vielen Personen zum Vergleich. Denn psychische Störungen gehen auf ein komplexes Zusammenspiel von Genetik, Umwelt und Verhaltensfaktoren zurück. Gerade Depression ist, sagt der Mediziner, „klinisch und genetisch sehr komplex, deshalb müssen für jeden weiteren Wissensgewinn möglichst viele Personen untersucht werden“.

    Aber woher die große Anzahl von Betroffenen und Gesunden als Kontrollgruppe nehmen? Ganz zu schweigen von den kostspieligen, laborintensiven Untersuchungen? „Voraussetzung ist die Zusammenarbeit in großen, internationalen Forschungskonsortien“, sagt Manuel Mattheisen. Und an einem solchen Konsortium war er gerade beteiligt.

    Manuel Mattheisen - ein Mediziner mit Faible für Statistik

    Mit Zahlen und Statistik hatte er sich immer schon gerne beschäftigt, entschied sich dann aber statt für Mathematik für die Medizin. Während seiner Facharztausbildung zum Humangenetiker an der Universität Bonn lag Mattheisens methodischer Schwerpunkt auf der genetischen Epidemiologie – „also auf der Aufarbeitung von genetischen Daten auf statistischer Basis“. Bei den untersuchten Krankheiten ging es hauptsächlich um psychische Erkrankungen wie Depression, Schizophrenie und Bipolare Störungen.

    Nach zwei Jahren nahm Mattheisen ein Angebot aus Harvard an, ging in die USA und arbeitete in der Biostatistik und Molekulargenetik weiter. Im Frühjahr 2013 wechselte er an die Universität im dänischen Aarhus, leitete dort genomweite Assoziationsstudien (GWAS) zu Depressionen und Zwangserkrankungen und war an weiteren Studien zum genetischen Zusammenhang von Autismus, ADHS, Schizophrenie und Anorexie beteiligt.

    Komplexe Erkrankung, bei der immer viele Faktoren eine Rolle spielen

    Wie stehen Abschnitte auf der DNA mit Krankheiten in Verbindung? Bei den Assoziationsstudien, erklärt der 42-Jährige, werden die Genomdaten von Zehntausenden gesunden und kranken Menschen verglichen. Das Ergebnis sind Zahlenverhältnisse, die beschreiben, ob genetische Veränderungen an einer spezifischen Stelle im Genom bei Kranken im Vergleich zu Gesunden öfter vorkommen oder nicht. Wenn ja, sagt Mattheisen, spielen diese Stellen in der DNA möglicherweise eine Rolle in Krankheitsentstehung und -entwicklung. Gerade, weil Depression im Vergleich zu Autismus oder Schizophrenie bei den Betroffenen viel unterschiedlicher ausgeprägt ist und verläuft und Umweltfaktoren und damit epigenetische Prozesse eine wesentliche Rolle spielen, sind eindeutige Aussagen auf der Grundlage genetischer Befunde schwierig. Der Mediziner zitiert einen seiner früheren Lehrer: „Alles ist genetisch, nicht alles ist vererbbar.“

    Ermöglicht das Wissen neue, gezieltere Therapien?

    Alle psychischen Erkrankungen, die an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie behandelt werden, haben irgendeinen kleineren oder größeren genetischen Hintergrund, sagt Privatdozent Dr. Andreas Menke: „Die Hoffnung ist, dass eine Identifizierung dieser Merkmale im Erbgut dabei helfen kann, gezieltere Behandlungen für Menschen zu finden, die von einer psychischen Erkrankung betroffen sind.“ Klinischer Schwerpunkt des Leitenden Oberarztes sind Bipolare Störungen und Depression: Menke beschäftigt sich besonders damit, wie die psychischen Erkrankungen mit dem Immunsystem, mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dem Stress-System des Körpers zusammenhängen. Und was Mattheisen in dem großen Konsortium jetzt herausgefunden hat, ist die molekulargenetische Seite solcher Prozesse.

    Also, was heißt nun „44 Genorte im Zusammenhang mit Depressionen identifiziert“? Die mehr als 200 Wissenschaftler im weltweiten Konsortium, erzählt Manuel Mattheisen, griffen auf bestehende Datenbanken zurück und untersuchten die Gene von fast 500 000 Menschen – von 135 000 Patienten mit Depressionen und mehr als 344 000 gesunden Kontrollpersonen. Die Ergebnisse sind gerade in „Nature Genetics“ erschienen: 30 Genorte, also die jeweilige Lage eines bestimmten Gens oder eines genetischen Markers auf einem Chromosom, haben die Forscher neu ausgemacht und beschrieben. 14 von denen, die sie fanden, waren schon in früheren Studien entdeckt worden.

    Warum die Ärzte bislang Erfahrungswerte brauchen

    „Menschen, die eine höhere Zahl an genetischen Risikofaktoren in sich vereinen, tragen auch ein erhöhtes Risiko, an einer Depression zu erkranken“, sagt Andreas Menke. „Wir wissen, dass viele weitere Faktoren, auch Umweltfaktoren, eine Rolle spielen. Aber die Identifikation der genetischen Zusammenhänge kann uns helfen, irgendwann den Erfolg einer Therapie im Einzelfall besser vorhersagen zu können.“ Im Moment greifen die Ärzte auf ihre Erfahrungswerte zurück: „In der Psychiatrie haben wir keine festen Maße wie zum Beispiel bei Diabetes. Wir wissen im Voraus im Einzelfall nicht genau, welches Medikament welchem Patienten wirklich am besten hilft.“

    Antriebshemmung, Gedankenschleifen, vermindertes Selbstwertgefühl, die im Extremfall zu Todesgedanken und Suizid führen können: „Das persönliche Leid der Betroffenen und ihres Umfelds bei Depression ist dramatisch und die volkswirtschaftlichen Folgen sind erheblich“, sagt Professor Jürgen Deckert, Direktor des Zentrums für Psychische Gesundheit am Uniklinikum Würzburg. Die Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie bemüht sich durch Angebote wie Schwerpunktstationen und im Würzburger Bündnis gegen Depression, dessen Sprecher Privatdozent Dr. Andreas Menke ist, zu einer besseren Therapie und Vorbeugung beizutragen. „Die vorhandenen Therapien und Medikamente helfen nach wie vor nicht bei allen Patienten, der Forschungsbedarf ist deshalb immer noch groß“, sagt Deckert.

    44 Variationen bislang entdeckt - aber zu erwarten sind mehrere tausend

    44 genetische Variationen – ist das viel? Manuel Mattheisen, der Zahlenexperte, schüttelt den Kopf: „Biostatistisch gesehen kommen wir wohl auf mehrere Tausend.“ Eigentlich sei es „eher enttäuschend“, dass die Forscher bislang erst 44 Genorte ausmachen konnten. Was sicher sei: Eine genetische Veränderung reiche ganz sicher nicht aus, um an einer Depression zu erkranken. Und ganz bestimmt könne für den Einzelnen durch den Bluttest derzeit kein genetisches Risiko ermittelt werden: „Das Risiko kann man nur für ganze Bevölkerungsgruppen erheben.“

    Umso wichtiger ist, von möglichst vielen Menschen Daten erfassen und vergleichen zu können. Die Publikation in Nature Genetics sieht Mattheisen als Beginn: „Dies war der notwendige Durchbruch für die Forschung, die jetzt kommt.“ Und auch Klinikdirektor Jürgen Deckert blickt eher weit voraus: „Wir stehen an der Schwelle zu Befunden, die die Therapie ab circa 2050 wesentlich verändern werden.“

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