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Würzburg: "Es ging um massenhafte Einschüchterung": Historiker nennt Hintergründe für Bombenangriff auf Würzburg am 16. März 1945

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"Es ging um massenhafte Einschüchterung": Historiker nennt Hintergründe für Bombenangriff auf Würzburg am 16. März 1945

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    Ruinen, so weit das Auge reicht: Blick vom Turm der Adalbero-Kirche am Sanderrasen auf das zerstörte Würzburg. 
    Ruinen, so weit das Auge reicht: Blick vom Turm der Adalbero-Kirche am Sanderrasen auf das zerstörte Würzburg.  Foto: Walter Röder

    Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren es nicht einmal mehr zwei Monate, als das alte Würzburg am Abend des 16. März 1945 nach einem britischen Luftangriff in einem riesigen Feuersturm unterging. Etwa 3600 Menschen starben, die historische Altstadt wurde zu 90 Prozent zerstört. Doch warum diese flächendeckende Zerstörung? Dieser Frage ging an der Universität Würzburg der Historiker Lukas Willmy in seiner preisgekrönten Dissertation nach, die im vergangenen Jahr unter dem Titel "Operation Donnerschlag" auch als Buch erschien. Die Redaktion sprach mit dem 34-Jährigen, der heute als Gymnasiallehrer in Oberbayern arbeitet, über die Ergebnisse seiner Forschungen.

    Frage: Herr Willmy, die Frage, warum die Royal Air Force Würzburg am 16. März 1945 mit einem derart massiven Bombardement belegt hat, stellt sich seit Jahrzehnten. Lässt sich 80 Jahre danach endlich eine Antwort darauf geben?

    Lukas Willmy: In der Forschung hat sich da einiges getan. Es ist schon länger klar, dass es nicht mehr um einen direkten Einfluss auf die Kriegsanstrengungen ging, weil Würzburg – anders als Schweinfurt – überhaupt nicht industrialisiert war, schon gar nicht in der Altstadt. Der Angriff war ein "Morale bombing", also ein Flächenbombardement der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur. In den letzten 20, 30 Jahren glaubte man in der Forschung, dass es bei "Morale bombing" bis zuletzt darum ging, den Krieg zu verkürzen, indem man die Moral der Bevölkerung mit Tod und Zerstörung schwächt und vielleicht einen Aufstand auslöst.

    Aufstände gab es bekanntlich nicht. Warum ging der Plan nicht auf?

    Willmy: Interessant ist, dass den Briten ab etwa 1943 klar war, dass der Plan nicht funktioniert. Sie wussten aus Geheimdienstinformationen, dass die Deutschen keinen Aufstand machen würden. Das hing auch mit der Macht des NS-Regimes zusammen, das jeden Widerstand brutal bekämpft hat. Dazu kam angesichts der Zerstörungen und des Leids ein Solidarisierungseffekt, aber auch eine Apathie in der Bevölkerung. Die Menschen in den zerstörten Städten mussten ums Überleben kämpfen. Unterstützung bekamen sie, wenn überhaupt, vom NS-Staat. Was es gab, war eine Kriegsmüdigkeit, die aber nicht in Widerstand mündete. 

    Die beim Angriff vom 16. März 1945 zerstörte Würzburger Innenstadt. Das Foto ist Teil einer Ausstellung der Würzburger Geschichtswerkstatt, die derzeit im Rathaus zu sehen ist. 
    Die beim Angriff vom 16. März 1945 zerstörte Würzburger Innenstadt. Das Foto ist Teil einer Ausstellung der Würzburger Geschichtswerkstatt, die derzeit im Rathaus zu sehen ist.  Foto: Geschichtswerkstatt Würzburg

    Sie schreiben in Ihrem Buch "Operation Donnerschlag", das Sterben von etwa 3600 Menschen in Würzburg sei kein "Kollateralschaden", sondern ein strategisches Ziel des Angriffs gewesen. Mit welcher Absicht? 

    Willmy: Es ging bei dem Angriff auf Würzburg wie bei den Angriffen auf Städte wie Dresden, Magdeburg oder Pforzheim um massenhafte Einschüchterung, und zwar langfristig, auch über das Kriegsende hinaus. Den Leuten sollte klargemacht werden: 'Wenn ihr einen dritten Weltkrieg entfesselt oder euch gegen eine Besatzungsmacht auflehnt, dann können wir solche Angriffe wiederholen. Ihr habt erlebt, was ein Luftangriff bedeutet.' Die Toten des Angriffs waren ein Medium, genau diese Absicht zu kommunizieren. 

    Nennt Gründe für die Zerstörung Würzburgs 1945: Historiker Lukas Willmy.
    Nennt Gründe für die Zerstörung Würzburgs 1945: Historiker Lukas Willmy. Foto: Willmy

    Worauf stützen Sie diese These? 

    Willmy: Es gibt in dieser Hinsicht eine Langzeit-Kontinuität in die britische Kolonialzeit. Die Offiziere der britischen Armee und auch Politiker wie Churchill waren in den Kolonien geprägt. Dort hatten sie gelernt, dass der Luftkrieg eine Möglichkeit ist, kostensparend große Räume zu kontrollieren. Wenn sich in Dörfern der Kolonien Widerstand regte, konnte die Royal Air Force mit wenigen Flugzeugen und Bomben klarmachen, wer die Macht hat. Das gleiche Denken wurde auf Deutschland übertragen, das lässt sich mit den Akten belegen. Besonders deutlich wird das in den Unterlagen zu der im Sommer 1944 geplanten und zur Jahreswende 1944/45 umgesetzten "Operation Donnerschlag", die eine Ausweitung des Bombenkriegs zum Ziel hatte. Dort wird auch das Ziel der Massenterrorisierung genannt. Zudem rückte damals schon die Nachkriegszeit in den Fokus. Es ging auch darum, mit der Einschüchterung die künftigen Besatzungskosten und die erforderlichen Truppen kleinzuhalten.

    In Ihrem Buch schreiben Sie, dass es neben Einschüchterung auch um Bestrafung ging. Geht auch das auf Erfahrungen in den britischen Kolonien zurück?  

    Willmy: Ja, man findet da auch sprachliche Parallelen. Ein britischer Luftwaffengeneral, der am "Morale bombing"-Konzept beteiligt war, verglich die Deutschen mit den Hunnen sowie den Indigenen in den Kolonien des Empire. Weil die Deutschen im Krieg die Unterlegenen seien, müsse man sie auch so behandeln – und den Deutschen müsse das auch bewusst sein. Der Aspekt der Bestrafung ist aber geringer zu werten als der erhoffte strategische Effekt der Einschüchterung.

    Aus der Rückschau: Hat die britische Strategie des Bombenkriegs auf lange Sicht hin ihr Ziel erreicht?

    Willmy: Wenn man im Licht meiner Forschungen das Ziel in der Einschüchterung sieht, dann war die Strategie ein Erfolg. Durch die alliierte Luftüberlegenheit und die harten Angriffe war jedem Deutschen klar, dass Deutschland den Krieg tatsächlich verloren hatte, dass es nicht, wie nach dem Ersten Weltkrieg, eine Dolchstoßlegende geben könnte – und schon gar keinen dritten Versuch eines Weltkriegs. Für die deutliche Kriegsmüdigkeit, ja fast schon den Pazifismus der Deutschen nach Kriegsende war der Bombenkrieg ein wichtiger Baustein. Das zeigte sich auch bei der Debatte über die Wiederbewaffnung in den 50er Jahren. Viele Deutsche hatten gründlich die Lust verloren, Krieg als Mittel zur Lösung politischer Konflikte zu verwenden. Zugleich darf man auch nicht vergessen, wofür die Briten gekämpft haben. Natürlich ging es ihnen auch um die eigene Machtsicherung, aber sie haben uns zusammen mit den Amerikanern die Chance auf einen Neuanfang geliefert. Davon profitieren wir bis heute. Unser demokratisches System mit Menschenrechten und freier Meinungsäußerung funktioniert – und das ist sicher auch eine Langzeitwirkung der totalen deutschen Kriegsniederlage.

    Der zerstörte Würzburger Dom. 
    Der zerstörte Würzburger Dom.  Foto: Walter Röder

    War der Angriff auf Würzburg somit gerechtfertigt?

    Willmy: Hier stellt sich die Frage nach den Alternativen – und die gab es. Die US-Amerikaner hatten einen anderen Ansatz, sie haben sich mit ihren Angriffen auf die deutsche Kriegsindustrie konzentriert. Schweinfurt mit seiner Kugellagerindustrie ist da ein Beispiel. Die Amerikaner waren mit ihrer Strategie deutlich erfolgreicher, vor allem, wenn man sich die Angriffe auf die Treibstoffindustrie ab Sommer 1944 anschaut. Danach war die deutsche Armee am Ende. Die Briten hätten früher erkennen müssen, dass ihre Städte vernichtenden Angriffe den erzielten Langzeiteffekt wahrscheinlich nicht wert waren und dass mit einem anderen Einsatz ihrer Bomber der Krieg vielleicht schneller zu Ende gewesen wäre.

    Wie wird der Bombenkrieg in der aktuellen britischen Forschung diskutiert?

    Willmy: Dort geht man ähnliche Wege wie in Deutschland und kennt ebenfalls die Akten. Die britische Forschung will keine reinen Heldengeschichten schreiben. Sie ist durchaus selbstkritisch und hat weniger Vorbehalte, die Schattenseiten der eigenen Kriegspolitik anzusprechen. Der Historiker Richard Overy zum Beispiel betitelt den Angriff auf Dresden als Strafexpedition.  

    Welche Rolle wünschen Sie Ihren Forschungsergebnissen in der Erinnerungskultur?

    Willmy: Ich wünsche mir, dass meine Forschungen einen Beitrag zu einer Objektivierung und Ent-Emotionalisierung leisten. Wenn man die Intention hinter diesen Angriffen versteht, kann man auch besser zuordnen, wieso so viele Menschen sterben mussten und Städte wie Würzburg zerstört wurden. Das Vorgehen der Briten war weder von nationalem Hass getrieben, noch ging es um die wahllose Zerstörung der deutschen Kultur. Das geben die Akten nicht her. Der Bombenkrieg war rational durchdacht – unter Inkaufnahme vieler toter Zivilisten. Aber er war kein Völkermord. Wenn man das versteht, kann das zur Versöhnung beitragen.

    Das Buch "Operation Donnerschlag. Imperiale Aufstandsbekämpfung aus der Luft und das 'Morale Bombing' deutscher Städte durch die britische Royal Air Force 1945" ist im Wallstein-Verlag erschienen.

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