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Würzburg: Extremsport: Ein Kitesurf-Profi kämpft sich zurück ins Leben

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Extremsport: Ein Kitesurf-Profi kämpft sich zurück ins Leben

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    Der Würzburger Jan Schiegnitz zählte zu Deutschlands besten Kitesurfern, bis er sich 2017 schwer verletzte.
    Der Würzburger Jan Schiegnitz zählte zu Deutschlands besten Kitesurfern, bis er sich 2017 schwer verletzte. Foto: Schiegnitz

    Es weht, fast stürmisch fegt der Wind über das Wasser. Die Wellen bilden weiße Schaumkronen, die Sonne wärmt die Hafenmole in Bogense. Die See um die kleine Stadt in Dänemark versprüht an diesem Septembertag vor eineinhalb Jahren "Meerlust", so nennt es Jan Schiegnitz. Perfekt zum Kiten. Perfekt für spektakuläre Sprünge. Zum Beispiel über die Mole. Der Wind fährt in den Drachen, katapultiert Schiegnitz hoch, höher. Wasser spritzt. Plötzlich endet der Flug. Der Surfer stürzt, landet ungebremst auf dem Beton. So könnte es gewesen sein. Oder ganz anders. "Ich kann mich an den Unfall überhaupt nicht erinnern. Alles was ich weiß, weiß ich aus Erzählungen", sagt Schiegnitz.

    Der 32-Jährige hat als Kitesurf-Profi zahlreiche Titel gewonnen und weltweit an Wettkämpfen teilgenommen, startete etwa beim Kite World Cup oder den Kitesurf Masters. Schiegnitz zählte "zu den Wilden der Szene", so beschrieb es ein Fachmagazin. Paradedisziplin Freestyle. Ausgebleichte Haare, lässige Klamotten, breites Grinsen. Der typische Surfer eben, einer, der im und auf dem Wasser zuhause ist.

    Geboren wurde Jan Schiegnitz in Würzburg. Und dort, auf einem Acker gleich hinter seinem Elternhaus im Stadtteil Heuchelhof, machte er seine ersten Versuche mit dem Kite. 14 Jahre war er damals alt, ein Austauschpartner aus England hatte ihm einen Lenkdrachen mitgebracht. Von dem ließ er sich auf einem Brett mit Rollen über den Hügel ziehen. Trockentraining. Schiegnitz lacht. Bei der Oma, auf der Ostseeinsel Fehmarn, wagte er sich dann mit dem Kite ins Wasser. Erst auf alten Wasserskiern, später auf selbstgebauten Boards. Schnell war klar: Das ist sein Leben.

    Nach dem Medizinstudium in München zog es den Unterfranken in den Norden, nach Kiel, dauerhaft ans Meer. Endlich. "Kitesurfen ist ein Lebensgefühl", sagt Schiegnitz. Es geht um Freiheit, um Spaß, um Abenteuer. Um Touren entlang der Küsten, mit dem Bulli auf der Suche nach den besten Spots. Um stundenlanges Kiten mit Freunden bis zum Sonnenuntergang. Und ja, um den Kick. Alles Klischees, alles wahr. Auch. Vor allem aber geht es Schiegnitz um "das Gefühl auf dem Wasser zu fahren, mit oder gegen den Wind, die Art zu springen, das ist für mich ganz besonders."

    "Das Ritual, die Leinen und den Schirm auszulegen, und die Bar in der Hand zu halten – das wirkt wie eine Droge auf mich."

    Jan Schiegnitz über den Reiz des Kiteboardens

    Kitesurfen ist längst Trendsport, 2024 wird es in Paris sogar olympisch. Rund eine halbe Million Menschen haben in Deutschland schon einmal im Urlaub einen Kite gelenkt oder einen Kurs gebucht, heißt es auf der Seite des Deutschen Segler-Verbandes (DSV). Im Verband sei Kitesurfen die am stärksten wachsende Sportart. Bundesweit gebe es geschätzt etwa 15 Kitesurf-Vereine mit bis zu 1000 organisierten Kitesurfern, sagt eine Sprecherin auf Nachfrage. Das seien jedoch nur die organisierten Sportler, "natürlich gibt es mehr".

    Jan Schiegnitz war für waghalsige Sprünge bekannt, galt als einer der "Wilden der Szene".
    Jan Schiegnitz war für waghalsige Sprünge bekannt, galt als einer der "Wilden der Szene". Foto: Vincent Bergeron

    Aber: Kiten ist auch ein Extremsport. Immer wieder passieren Unfälle, manche enden tödlich. Mehr Sicherheit sollen neue Systeme bieten, bei denen die Sportler bei Problemen sofort die Kraft aus dem Schirm nehmen oder sich sogar vom Kite lösen können. Ein Restrisiko bleibt. Anfänger sollten deshalb laut DSV möglichst in einer lizensierten Schule oder einem Verein die ersten Kiteversuche starten. Denn den Drachen zu kontrollieren ist nicht immer leicht. Auch muss man Wind und Strömung kennen und die Technik beherrschen. Und immer gilt: Nie ohne Helm aufs Wasser, sagt Jan Schiegnitz.

    • Sicherheit, Regatten, Kiten lernen: Infos zum Kiteboarding vom Deutschen Segler-Verband

    2017, bei seinem schweren Unfall in Bogense, trug der 32-Jährige keinen Helm. "Wahrscheinlich wäre es mit nicht so schlimm gewesen", sagt Schiegnitz heute. Zwei Wochen lag er mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma im Koma. Vier Rippen waren gebrochen, vier Halswirbel, beide Schlüsselbeine, die Nase, der Kiefer, der Unterarm, alles kaputt. Insgesamt 17 Frakturen zählten die Ärzte. Von der Intensivstation in Dänemark wurde der Kitesurfer nach Hamburg verlegt. Wochen im Krankenhaus folgten, dann kam die Reha.

    "Ich kann mich an den Unfall überhaupt nicht erinnern."

    Jan Schiegnitz über das Unglück in Dänemark

    Am Anfang saß Schiegnitz im Rollstuhl, laufen musste er neu lernen. Genauso das Alphabet. Und Basiswissen wie die Namen der Monate. "Zuerst habe ich zu meiner Freundin immer Bettina gesagt – dabei heißt sie Anna. Ich kenne gar keine Bettina", sagt Schiegnitz. Wortfindungsstörungen. Heute kann er darüber lachen. Ab und an fehlen ihm noch Begriffe und Erinnerungen. "Ich weiß zum Beispiel, dass ich im Leben zwei Marathons gelaufen bin, aber ich kann mich nur an einen erinnern." Oft helfen Freunde, die Lücken zu füllen. "Das ist eigentlich ganz lustig, was man da erfährt."

    Auf Bildern wirkt Jan Schiegnitz lässig, entspannt, verkörpert den typischen Surfer. Zurück aufs Board schaffte er es aber nur mit Ehrgeiz und hartem Training.
    Auf Bildern wirkt Jan Schiegnitz lässig, entspannt, verkörpert den typischen Surfer. Zurück aufs Board schaffte er es aber nur mit Ehrgeiz und hartem Training. Foto: Schiegnitz

    So, wie Schiegnitz seinen Kampf zurück beschreibt, klingt es locker, passt zum lässigen Surfer-Image. Dahinter steckt hartes Training. Zähes Wiederholen der immer gleichen Leistungstests. Tägliches Üben. Rückschläge. Erfolge. Auf der Zehn-Meter-Slackline balanciert Schiegnitz mittlerweile vier Runden. Mehr als viele andere. "Aber vorher war ich bestimmt besser", sagt der 32-Jährige.

    Mit genau diesem Ehrgeiz schafft er es zurück aufs Board. Etwa ein halbes Jahr nach dem Unfall beginnt er mit Wintersport. Snowkiten. Quasi das Pendant zum Kiteboarden, Schnee ersetzt Wasser. Die Sprünge bleiben gleich waghalsig, die Geschwindigkeit macht ebenso süchtig.

    Gut ein halbes Jahr nach seinem Unfall steht Jan Schiegnitz wieder auf dem Board - aber nur noch mit Helm.
    Gut ein halbes Jahr nach seinem Unfall steht Jan Schiegnitz wieder auf dem Board - aber nur noch mit Helm. Foto: Schiegnitz

    Kurz darauf wagt sich Schiegnitz wieder in sein Element, ins Wasser. Fotos zeigen ihn mehrere Meter über den Wellen fliegend, der Körper steht fast waagrecht in der Luft. Die Finger umklammern die Lenkstange, das Board schwingt nach hinten. Was schwerelos aussieht braucht Kraft. Und Können. Viele Bekannte hätten ihn gefragt, wie er diesen Sport, der ihn so schwer verletzt hat, weiter machen könne. "Das Ritual, die Leinen und den Schirm auszulegen, und die Bar in der Hand zu halten – das wirkt wie eine Droge auf mich", sagt der 32-Jährige. Aufgeben war nie eine Option. Weder im Sport, noch privat.

    Anna, ebenfalls Kitesurferin, ist mittlerweile seine Frau. Kurz vor dem Unfall beschloss das Paar zu heiraten, sogar der passende Ort war mit einem Gut in Schleswig-Holstein bereits gefunden. Dann lag Schiegnitz im Koma. Anna saß an seiner Seite. Die Hochzeit schien weit weg. "Aber genau ein Jahr später als geplant haben wir die Feier nachgeholt." Länger dauerte die Rückkehr ins Berufsleben.

    Für Jan Schiegnitz ist Hydrofoilen die Zukunft des Kitesports. Dabei wird ein Foil (bestehend aus einem Mast und zwei kleinen Flügeln) an die Unterseite des Boards geschraubt – die Kiter schweben so mit bis zu 60 Stundenkilometern über das Wasser.
    Für Jan Schiegnitz ist Hydrofoilen die Zukunft des Kitesports. Dabei wird ein Foil (bestehend aus einem Mast und zwei kleinen Flügeln) an die Unterseite des Boards geschraubt – die Kiter schweben so mit bis zu 60 Stundenkilometern über das Wasser. Foto: Schiegnitz

    Schiegnitz ist Unfallchirurg. "Ich hätte mich auch selbst behandeln können, das ist fast schon witzig", sagt der 32-Jährige. Dann wechselt der Tonfall. Erst jetzt, eineinhalb Jahre nach dem Unglück, hat er wieder angefangen zu arbeiten. Leicht war das nicht. Vieles musste er neu, nein, nochmal lernen. Es gelang. Schiegnitz schloss seine Promotion ab. Seit Anfang April setzt er nun seine Ausbildung an einer Kieler Klinik fort. Das Ziel an Land ist klar: Irgendwann als Chirurg im OP stehen.

    Und auf dem Wasser? Kiten – was sonst? Zwei bis dreimal pro Woche zieht es Schiegnitz raus. Auf und an die Ostsee. Oder weiter weg, in die süddeutsche Heimat, zum Brombachsee, auf die Malediven, die Azoren oder nach Süd-Frankreich. Entweder er bringt Anfängern das Hydrofoilen bei, die neue Art des Kitens, die die Sportler irre schnell über das Wasser schweben lässt. Oder er steigt selbst aufs Board. Mit Helm, natürlich. Angst hat der 32-Jährige keine. "Ich kann mich an den Unfall ja nicht erinnern."

    Kitesurfen: Geschichte, Wettkämpfe und Spots Drachen als Fortbewegungsmittel gibt es schon lange. Als Urväter des Kitesurfens aber gelten laut DSV die Familie Roesler aus Seattle/USA und die französischen Brüder Dominique und Bruno Legaignoux. Die Roeslers entwickelten in den 1980ern ein patentiertes Kite-Ski-System, die Franzosen den sogenannten WIPIKA-Drachen. Dieser funktioniert über aufblasbare Luftkammern und lässt sich aus dem Wasser heraus relativ leicht starten. Seit 1997 werden Kiteboards und Drachen serienmäßig produziert und verkauft. Der erste offizielle Wettkampf im Kitesurfen wurde nach Angaben des DSV vermutlich auf Maui ausgetragen. Generell gibt es vier Disziplinen: Freestyle, Race, Slalom und Big Air. In Deutschland finden seit Jahren die Kitesurf Masters statt, die offizielle deutsche Meisterschaftsserie und zugleich höchste nationale Kitesport-Liga. Internationale Touren mit Preisgeldern für Profisportler organisieren die Global Kitesports Association (GKA) und die International Kiteboarding Association (IKA). Bei den olympischen Jugendspielen feierte das Kiteboarden bereits 2018 Premiere, 2024 in Paris ist es erstmals olympische Disziplin. Wo kann man in Deutschland Kiten? Neben Nordsee (zum Beispiel Ellenbogen auf Sylt oder Böhl-Süderhöft bei St. Peter Ording) und Ostsee (beispielsweise Fehmarn, Lübecker Bucht oder zahlreiche Spots am Saaler Bodden) eignen sich in Deutschland auch Seen wie etwa der Brombachsee oder der Chiemsee zum Kiten. In Spanien ist laut DSV etwa Tarifa beliebt, in Italien Sardinien. Kite und Bar kosten neu zwischen 900 und 1500 Euro, das Board liegt bei rund 400 bis 700 Euro. (sp)

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