Ein Unfall oder eine schwere Krankheit: Wer nicht mehr oder nur noch wenige Stunden am Tag arbeiten kann, sollte eine Erwerbsminderungsrente beantragen. Viele kämpfen monatelang, manche sogar Jahre, bis ihr Antrag genehmigt wird. Die Hürden zum Erhalt einer Erwerbsminderungsrente sind in Deutschland sehr hoch. Laut Statistik des Sozialverbands VdK werden über 40 Prozent der Anträge abgelehnt. Und oft kommt nach der Freude die Ernüchterung: Die Rente reicht nicht zum Leben. Vielen Betroffenen bleibt nichts anders übrig, als der Gang zum Sozialamt.
Das neue Rentenpaket bringt mehr Geld
772 Euro pro Monat beträgt der durchschnittliche monatliche Rentenzahlbetrag wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, laut Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund. Das neue Rentenpaket, das ab 1. Januar 2019 kommt, soll diesen Rentnern künftig 70 Euro mehr im Monat bringen. Die Neuerung gelten allerdings nur für Neurentner. Die 1,8 Millionen Rentner, die bereits wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Ruhestand sind, profitieren nicht von diesem Gesetz. „Es ist seit Jahren so, dass Verbesserungen nur Neurentner betreffen“, klagt Carsten Vetter, Bezirksgeschäftsführer des VdK in Würzburg.
„Es wäre sozialpolitisch wünschenswert, auch die bereits laufenden EM-Renten zu verbessern. Der Koalitionsvertrag sieht eine solche Ausweitung jedoch nicht vor“, sagt Marina Küchen, Pressesprecherin im Bundesarbeitsministerium. Diese Entscheidung sei nicht leichtfertig getroffen worden. Die Einbeziehung des Rentenbestands hätte die Kosten um ein Vielfaches erhöht. „Dies wäre vor dem Hintergrund der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung schwierig darzustellen gewesen“, sagt Küchen. Außerdem sei zu beachten, dass das Recht in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich nur für die Zukunft geändert wird – im positiven wie negativen Fall.
Eine zentrale Ursache für Armut
„Die bisherige Erwerbsminderungsrente ist eine zentrale Ursache für Altersarmut“, sagt der Würzburger Finanzwissenschaftler und Rentenexperte Professor Hans Fehr. Die aktuelle Reform war deshalb seiner Ansicht nach längst überfällig. Ist sie ausreichend in Bezug auf Leistungsverbesserung und den Betroffenenkreis? „Darüber kann man streiten“, sagt Fehr. „Es muss bei der Höhe ein Abstand zur Regelaltersrente gewahrt bleiben. Sonst gibt es zu starke Anreize zu versuchen über die Erwerbsminderungsrente vorzeitig in den Ruhestand zu wechseln.“
Die Rentenversicherung hatte immer wieder deutlich gemacht, dass gerade für die Erwerbsminderungsrentner zielgerichtete Lösungen zur Bekämpfung von Altersarmut notwendig sind. „Zurzeit liegt die Quote der auf Grundsicherung angewiesenen Erwerbsminderungsrentner bei rund 15 Prozent. Das ist das Dreifache dessen, was wir vor zehn Jahren hatten“, sagt Dirk von der Heide, Pressesprecher der Rentenversicherung Bund. Die geplanten Verbesserungen begrüßt von der Heide: „Mit der Verlängerung der Zurechnungszeit wird für Menschen, die auf die Zahlung einer EM-Rente angewiesen sind, ein weiterer Schritt zur Vermeidung von Altersarmut getan.“
Frühindikator für die Probleme der Rente
Für den Rentenexperte und Buchautor Holger Balodis sind die EM-Renten ein Frühindikator für die Probleme der normalen Altersrente: „Auch Normalverdiener werden nach einem langen Arbeitleben nur kümmerliche Renten bekommen. Bei EM-Rentnern wird dies nur deutlich früher aktenkundig.“ Und was tut die Bundesregierung für jene rund 30 Millionen derzeit noch gesunden Beschäftigten, die im Verlauf der nächsten Jahrzehnte nach und nach in Rente gehen werden? „Nichts – eine Verbesserung der im europäischen Vergleich kümmerlichen Renten ist nicht geplant“, sagt Balodis. Dabei wäre genau das „eine Frage des Anstands und der Fairness“ – von der alle profitieren: EM-Rentner und normale Altersrentner.
Erwerbsminderungsrente Derzeit beziehen etwa 1,8 Millionen Menschen eine EM-Rente. Der häufigste Grund für einen Bezug sind dabei psychische Erkrankungen, gefolgt von Rücken- und Krebserkrankungen. Grundsätzlich bekommen Versicherte, die weniger als drei Stunden pro Tag wegen ihres Leidens arbeiten können, die volle Rente. Wer mindestens drei und weniger als sechs Stunden tätig sein kann, hat hingegen nur Anspruch auf die halbe EM-Rente. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein? Eine Erwerbsminderungsrente erhalten Erkrankte in der Regel nur, wenn sie mindestens fünf Jahre in die Rentenkassen eingezahlt haben. Außerdem müssen sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge eingezahlt haben. Wer zum Beispiel aufgrund einer selbstständigen Tätigkeit oder einer Familienauszeit längere Zeit keine Beiträge in die Rentenkasse zahlt, verliert unter Umständen seinen Anspruch. Wie beantrage ich Erwerbsminderungsrente? Wer frühverrentet werden möchte, muss einen Antrag bei der Rentenversicherung stellen. Die Krankenkasse kann Beschäftigte auch auffordern, einen Reha-Antrag zu stellen. Dieser Aufforderung müssen sie nachkommen. Wenn ein Gutachter für eine Reha-Maßnahme jedoch keine Erfolgsprognose bescheinigt, wird der Reha-Antrag in einen Rentenantrag umgedeutet. Was, wenn der Antrag abgelehnt wird? Im vergangenen Jahr sind 43 Prozent der Anträge auf EM-Rente abgelehnt worden. In jedem Ablehnungsbescheid steht eine Begründung, entweder gibt es medizinische Gründe oder die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Innerhalb eines Monats kann der Antragsteller dann Widerspruch einlegen, muss aber genau begründen, warum er aus seiner Sicht Anspruch auf die Rente hat. Dann gibt es eine erneute Prüfung. Wenn der Betroffene dann wieder eine Ablehnung bekommt, bleibt der Schritt zur Klage vor dem Sozialgericht.