Zuhause bleiben. Beim Spaziergang einen Bogen um Passanten machen. Vor jedem Hustenden im Supermarkt flüchten. Das Coronavirus, die Angst vor einer Ansteckung, hat das Leben in Deutschland massiv verändert. Auch in Unterfranken. Zwar verläuft eine Infektion in den meisten Fällen milde, aber eben nicht immer. Besonders für ältere und Menschen mit Vorerkrankungen besteht die Gefahr, schwer zu erkranken und daran zu sterben. Wie leben sie mit diesem Wissen? Und wer ist das eigentlich, diese sogenannte Risikogruppe?
Genau das hat der Berliner Aktivist Raul Krauthausen kürzlich im Sozialen Netzwerk Instagram gezeigt. In einem Beitrag stellte er dort Menschen der Risikogruppe vor. Dazu schrieb er: "Worauf wir keinen Bock haben, ist sterben. Genau das ist aber gar nicht so unwahrscheinlich, wenn du nicht einfach die nächsten Wochen zuhause bleibst und deinen sozialen Aktionsradius einschränkst." Das ist kein Pathos, sondern Fakt. Auch für zahlreiche Menschen in Unterfranken, die zur Risikogruppe gehören. Wie erleben sie die Pandemie?
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Linda Keller hat Mukoviszidose und schmunzelt über die plötzlich so gelobte Handhygiene

Fast pedantisch auf Hygiene achten und Angst haben, dass aus jedem Schnupfen eine Lungenentzündung wird: Genau das, was viele Menschen derzeit als Ausnahmesituation erleben, ist für Linda Keller Alltag. Die 24-Jährige hat Mukoviszidose. Eine seltene Stoffwechselerkrankung, die dazu führt, dass in vielen Organen des Körpers zäher Schleim produziert wird. Zu den typischen Symptomen zählen ständiger Husten oder Atemnot. Das Coronavirus kann da gefährlich, auch lebensbedrohlich werden. Panisch sei sie deshalb nicht, sagt Keller. Vorsichtig schon.
Sie arbeitet derzeit im Homeoffice, geht nicht mehr einkaufen und hat alle privaten Termine abgesagt. Ihr Arbeitgeber zeige Verständnis, auch in ihrem Wohnort im Landkreis Würzburg sei der Zusammenhalt groß. "Hier auf dem Dorf versorgen die Nachbarn sich gegenseitig", sagt Keller, die ihr Leben lang offen mit ihrer Erkrankung umgegangen ist. "Aber aktuell gibt es auch Menschen, die der Meinung sind, sie müssen sich nicht an die Maßnahmen halten, die denken, wenn man sich infiziert, ist man eben ein wenig krank und gut ist es. Dass sie dabei aber eine Gefahr für uns Mukos sind, ist ihnen gar nicht bewusst."
Was sie hingegen innerlich grinsen lässt, ist die plötzlich groß gelobte Handhygiene. Standard für Mukoviszidose-Patienten. "Wenn Mukos Händeschütteln vermieden haben, wurden wir immer komisch angeschaut und als Außenseiter abgestempelt. Jetzt feiern es alle." Keller hofft, dass das die Corona-Krise überdauert. Und dass "Berufe, die jetzt gebraucht werden, wie etwa die Pflege, dauerhaft mehr Anerkennung bekommen". Denn auf die seien nicht nur chronisch Kranke angewiesen, sondern alle.
Hermann Koch leidet an einer Autoimmunkrankheit und hat kein Problem mit dem Alleine sein

Hermann Koch leidet an Lupus erythematodes, einer Autoimmunkrankheit. "Bei mir vertragen sich Haut und Körper quasi nicht", sagt der 61-Jährige aus Wasserlosen (Lkr. Schweinfurt). "Je gesünder ich bin und je besser mein Immunsystem funktioniert, ums kränker wird die Haut." Eine Art Teufelskreislauf.
Für Infekte ist er deshalb generell anfällig. Trotzdem versetze ihn die Ausbreitung des Coronavirus nicht in Panik. "Ich bin Kranfahrer und sowieso den ganzen Tag alleine oben auf meinem Kran", sagt Koch und lacht. Abstand halten ist da kein Problem und auch privat sei er viel zuhause oder gehe spazieren. "Ein großer Kneipengänger bin ich eh nicht", sagt Koch. Natürlich achte er jetzt darauf, beim Einkaufen nicht zu nah an niesende und hustende Menschen zu treten. In ständiger Angst lebe er aber nicht.
Monika Cramer hatte Leukämie und hofft, dass das Leben bald mit Vorsicht weitergeht

Eigentlich ist für sie vieles wie immer. Gruppen muss sie meiden, meist verbringt sie viel Zeit zuhause. "Corona hat für mich im Alltag nicht viel verändert", sagt Monika Cramer. Seit sie vor einigen Jahren an Leukämie erkrankt war und ihr Körper das transplantierte Knochenmark mehrere Monate lang nicht annehmen wollte, ist ihr Immunsystem geschwächt. Bis heute ist die 52-Jährige anfällig für Infekte, auch im Moment kämpft sie mit einer Virus-Lungenentzündung – aber "nachweislich nicht Corona", sagt die Ärztin.
Insgesamt müsse sie sich weit mehr als andere Menschen schützen. Ein Beispiel: Ihr Mann, der ebenfalls Mediziner ist und in einer Würzburger Klinik arbeitet, sei vorsorglich in den Keller gezogen – die Gefahr, dass er sich im Beruf mit dem Coronavirus infiziere und sie anstecke, sei einfach zu hoch.
Cramer selbst ist seit ihrer Krebserkrankung im Homeoffice tätig. Dort tummelt sich neben den drei Kindern auch noch der Familienhund. Langweilig wird es so trotz Ausgangsbeschränkungen nie, der Kontakt zu Freunden und Verwandten wird per Telefon gehalten. "Wir sitzen nicht alleine zuhause und sind traurig – das Sozialleben geht weiter, nur eben anders", sagt Cramer.
Sie hält die Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie für "absolut notwendig". Für alle. Allerdings dürfe der Stillstand nicht Existenzen zerstören. "Ich hoffe, dass wir das Virus bald in den Griff bekommen und das Leben mit Vorsicht weitergeht."
Theodor Schiebler ist 98 Jahre alt und hat das Schreiben zu seinem Schutz erklärt

98 Jahre ist Theodor Schiebler alt. Er hat den Zweiten Weltkrieg überlebt, fünf Kinder großgezogen und neun Bücher verfasst. Angst vor dem Coronavirus habe er nicht, sagt der ehemalige Professor für Anatomie. Er lebt in Würzburg im Ehehaltenhaus, das zum Seniorenheim St. Nikolaus der Stiftung Bürgerspital gehört. In dem benachbarten Gebäude ist das Coronavirus massiv ausgebrochen, 16 Bewohner sind gestorben.
"Ich bleibe in meinen beiden Zimmern im Ehehaltenhaus und schreibe an einem Vortragsmanuskript über die großen Seuchen", sagt Schiebler. "Das ist mein Schutz." So hat er es sein Leben lang gehalten, ohne Schreiben geht es nicht. Einsam fühle er sich nicht. "Ich habe weltweite Kontakte und beantworte jeden Brief. Ich bin beschäftigt", sagt der 98-Jährige.
Um die weitere Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, seien die Maßnahmen der Regierung "wohl notwendig", so Schiebler. Gut aber sei längst nicht alles, beispielsweise "die Isolierung der Todgeweihten". Trotzdem hat er dir Hoffnung nicht verloren: "Nach meinen Erfahrungen sind Krisen der Vorläufer wesentlicher Änderungen im Denken der Menschen".
Corinna Ritter ist Diabetikerin und vermeidet es derzeit, nach draußen zu gehen

"Es ist schon ein mulmiges Gefühl, wenn ich raus gehe", sagt Corinna Ritter. Die 22-Jährige hat Diabetes und gehört damit laut Robert Koch-Institut zur Corona-Risikogruppe. "Es belastet, gerade weil man dem Thema nicht entkommen kann und sich mit der Krankheit und allen Eventualitäten besonders auseinandersetzt."
Ritter studiert in Würzburg und ist als Korrekturleserin für diese Redaktion tätig. Sie lebt mit ihrem Partner zusammen, er übernehme mittlerweile fast alle Besorgungen - "ich vermeide es tunlichst, nach draußen zu gehen", sagt die 22-Jährige. Dafür werde viel telefoniert, mit Freunden, ihrer Mutter und der Oma.
Ihr Alltag wird generell stark vom Diabetes bestimmt. Dabei gehe es nicht nur darum, Insulin zu spritzen: "Die Zuckerwerte überhaupt kontrollieren zu können, ist eine immense Aufgabe". Jetzt kommt die Corona-Krise dazu, die Folgen hat Ritter erst kürzlich in der Apotheke zu spüren bekommen: Desinfektionsspray, das sie für ihre Spritzen dringend benötigt, war ausverkauft. Das verunsichert. Generell empfinde sie den Zusammenhalt in der Gesellschaft zwar als gut, es gebe aber immer Menschen, die egoistisch handeln. "Ein bisschen mehr Rück- und Nachsicht im Umgang miteinander würden helfen", sagt Ritter. "Man kann nicht jedem immer ansehen, was dieser Mensch gerade durchmacht. Nicht jede Behinderung ist sichtbar!"
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Laut Robert Koch-Institut steigt beim Coronavirus das Risiko einer schweren Erkrankung mit 50 bis 60 Jahren an, bedingt auch durch das schwächere Immunsystem. Zudem erhöhen Grunderkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Erkrankungen des Atmungssystems (Asthma oder chronische Bronchitis), der Leber und der Niere sowie Krebserkrankungen die Gefahr für einen schweren Krankheitsverlauf – und das unabhängig vom Alter. Auch Menschen mit unterdrücktem Immunsystem oder solche, die regelmäßig Cortison einnehmen, gehören zur Risikogruppe.