Schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine erreichten die Gaspreise an den Börsen Rekordhöhen. Frank Backowies, Bereichsleiter Marktmanagement bei der Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH (WVV), und Vertriebsleiter Florian Doktorczyk erklären, wie der städtische Konzern in dieser Situation agiert und worauf sich die Verbraucherinnen und Verbraucher in den kommenden Monaten einstellen müssen.
Frage: In der vergangenen Woche hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas aktiviert. Was bedeutet das für die Gaskunden der WVV?
Frank Backowies: Das bedeutet für die Gaskunden noch nichts. Die erste Frühwarnstufe führt dazu, dass die Bundesnetzagentur Listen erstellt, welche Kunden aufgefordert würden, ihren Gasverbrauch zu reduzieren. Das wäre aber erst der nächste Schritt.
Welche Ihrer Kunden wären davon betroffen?
Backowies: Das betrifft zunächst nur Industriekunden mit einem Jahresverbrauch von mehr als 1,5 Millionen Kilowattstunden. Wir haben rund 40 solcher Großkunden in unserem Netz. Haushaltskunden sind nicht betroffen und auch unser Heizkraftwerk nicht, weil das Heizwärme für die privaten Haushalte produziert.
Könnte es zu einer Situation kommen, in der auch die Haushaltskunden ihren Gasverbrauch reduzieren müssten?
Backowies: Im Moment kann das keiner absehen. Wenn wirklich der Gashahn aus Russland zugedreht wird, von welcher Seite auch immer, kann derzeit niemand verlässlich sagen, wie viele Menschen das betreffen würde.
Was Ihre Kundinnen und Kunden im Moment vermutlich mehr bewegt sind die steigenden Preise. Zum 1. Mai hat die WVV eine Preiserhöhung um fast 40 Prozent angekündigt. Wie soll das weitergehen?
Backowies: Wir haben den Arbeitspreis um 2,98 Cent pro kWh erhöht. Das sind zirka 36 Prozent. Und wir werden im kommenden Jahr nach dem ersten Quartal noch mal eine Erhöhung in gleicher Höhe machen müssen. Das steht heute schon fest, weil wir den Einkaufspreis kennen. In der Summe also rund 80 Prozent.
Wie funktioniert Ihre Beschaffung, wenn Sie heute die Einkaufspreise schon kennen?
Backowies: Wir kaufen praktisch täglich ein bisschen Gas ein, um unsere Kunden im kommenden Jahr beliefern zu können. Dadurch erreichen wir am Ende des Jahres einen gewissen Durchschnittspreis. Das kommende Jahr haben wir bis auf einen kleinen Rest praktisch voll. Im Moment haben wir den Handel ausgesetzt, weil die Börsenpreise ausgeflippt sind.
Wie haben sich die Beschaffungspreise in den letzten Jahren denn insgesamt verändert?
Florian Doktorczyk: Bei Gas und auch bei Strom haben sich unsere Einkaufspreise in etwa verdreifacht. Der Endkundenpreis besteht aber neben dem Energiepreis aus weiteren Bestandteilen wie Netzentgelte und Konzessionsabgaben. Deshalb steigt der Endhandelspreis beim Gas nicht auf das Dreifache sondern um 80 Prozent.
Warum zahlen Ihre Neukunden erheblich mehr fürs Gas als die Bestandskunden?
Backowies: Im vergangenen Jahr haben mehrere Energiediscounter ihre Verträge gekündigt. Wir mussten deshalb etwa 1000 Kunden in die Grundversorgung aufnehmen, die bei der Beschaffung nicht eingeplant waren. Was die Energiediscounter gemacht haben, war Abzocke. Die haben Energie zu bestimmten Preisen an Endkunden verkauft, aber gar nicht entsprechend eingekauft, in der Hoffnung, dass es noch billiger wird. An der Börse nennt man das Leerverkäufe. Für diese Kunden mussten wir zu hohen Preisen nachbeschaffen. Wenn wir das in die Mischkalkulation genommen hätten, wäre es für alle Kunden teurer geworden. Wir haben stattdessen eine zweite Grundversorgung aufgemacht, die ein ganzes Stück teurer ist. Inzwischen haben wir den Großteil dieser Neukunden in einen 24-Monats-Tarif überführt, der deutlich günstiger ist, weil wir für das kommende Jahr Gas billiger einkaufen konnten als für das laufende.
Heißt das, dass der Markt im kommenden Jahr wieder von sinkenden Preisen ausgeht?
Doktorczyk: Der Terminmarkt für 2023 ist extrem aufgeregt. Wenn wir für das übernächste Jahr kaufen würden, wären die Preise niedriger als für das kommende.

Warum kaufen Sie dann nicht schon fürs übernächste Jahr ein? Weil Sie hoffen, dass die Preise wieder sinken?
Backowies: Wir haben feste Beschaffungsregeln in Abstimmung mit unseren Wirtschaftsprüfern, die sich über viele Jahre bewährt haben. Im Moment ist der Gaspreis für 2024 verlockend niedrig, aber immer noch dreimal so hoch wie vor zwei Jahren. Wenn wir uns heute eindecken und der Preis fällt wieder auf das alte Niveau, sind wir weg vom Markt. Ein kommunales Unternehmen darf nicht zocken.
Wie sieht dann überhaupt die langfristige Prognose aus?
Doktorczyk: Im Moment deuten die Zahlen, die wir sehen, darauf hin, dass 2023 ein Zenit erreicht wird. Danach könnte sich nach derzeitiger Lesart eine Entspannung einstellen, aber verlässlich vorhersagen kann das niemand.
Die SPD-Stadtratsfraktion hat unlängst in einem Antrag unterstellt, dass die WVV dank der hohen Strompreise an der Strombörse indirekt am Ukraine-Krieg verdient, und gefordert, aus den Gewinnen Strom- und Gaskunden zu entlasten. Wie stehen Sie zu dem Vorschlag?
Backowies: Ich bin überrascht, dass jemand so etwas sagt. Ich sehe das nicht so. Wir erzeugen aus Gas Fernwärme, und dabei entsteht Strom, den wir möglichst wirtschaftlich vermarkten. Es stimmt, dass wir den Strom im ersten Quartal ganz gut verkaufen konnten. Ob das bis zum Ende des Jahres so bleibt, weiß niemand. Das ging aber auch nur, weil wir frühzeitig eingekauft haben. Müssten wir heute Gas kaufen, würden wir tief in die roten Zahlen rutschen. Ob wir Geld übrig haben, wissen wir erst im März nächsten Jahres. Letztes Jahr zum Beispiel lief es bis zum vierten Quartal sehr gut, dann ging unser Heizkraftwerk kaputt und das hat zu einem Riesen-Defizit geführt.
Was können Sie denn überhaupt ihren Kundinnen und Kunden angesichts der hohen Energiepreise raten?
Backowies: Sparsam mit Energie umgehen ist natürlich das erste Gebot. Dann sollte jeder seine Abschläge anpassen, damit er nicht am Jahresende irre Nachschläge zahlen muss. Dabei helfen wir unseren Kunden. Und den Leuten, die ein Einfamilienhaus besitzen, kann man klar raten: Investiert in eine Solar- und Photovoltaik-Anlage.
Gas- und Stromversorgung der WVVDas Grundversorgungsgebiet der WVV umfasst das Stadtgebiet Würzburg und grenzende Gemeinden des Landkreis Würzburg. Insgesamt versorgt die WVV 102.000 Privatkunden mit Gas und Strom. Die verkaufte Energiemengen betrug im Jahr 2020 1850,7 Millionen Kilowattstunden Gas und 778,9 Millionen Kilowattstunden StromQuelle: WVV