Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Würzburg
Icon Pfeil nach unten
Stadt Würzburg
Icon Pfeil nach unten

WÜRZBURG: Geänderte Richtlinien machen dem Roten Kreuz zu schaffen

WÜRZBURG

Geänderte Richtlinien machen dem Roten Kreuz zu schaffen

    • |
    • |
    Im Café Perspektive finden Menschen mit psychischer Erkrankung einen Arbeitsplatz.
    Im Café Perspektive finden Menschen mit psychischer Erkrankung einen Arbeitsplatz. Foto: Foto: Pat Christ

    Im „Café Perspektive“ am Würzburger Waldfriedhof fühlt sich Bettina Byers pudelwohl. Seit sechs Jahren hilft sie hier schon in der Küche und bedient. Die Gäste schätzen die freundliche Servicekraft, hinter der schwierige Jahre liegen. 2007 erkrankte Byers an Depressionen. Mit Stress, vor allem aber auch mit Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz kann sie seitdem nicht mehr gut umgehen. Im „Café Perspektive“ ist es ihr möglich, so zu arbeiten, dass sie emotional stabil bleibt.

    „Draußen“ in der freien Wirtschaft, erfuhr die hauswirtschaftliche Betriebsleiterin, kennt man wenig Pardon. Reibungsloses Funktionieren wird erwartet. Dreimal versuchte sie nach ihrer Erkrankung, diese Erwartungen zu erfüllen und auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. In Hotels fand die heute 46-Jährige Jobs. In allen drei Fällen scheiterte die Anstellung. Der Stress war einfach zu groß. Rücksicht auf Mitarbeiter mit psychischer Krankheit gab es nicht.

    Ein besonderes Lokal

    2011 bewarb sich Byers aus eigener Initiative beim „Café Perspektive“. Sie wusste, dass es sich bei diesem vor 15 Jahren gegründeten Betrieb um ein besonderes Lokal handelt. Hier können sich Menschen mit seelischen Leiden etwas dazuverdienen. Seit genau zehn Jahren ist das vom Kreisverband Würzburg des Bayerischen Rotes Kreuzes (BRK) getragene Café außerdem ein sogenanntes „Integrationsunternehmen“. Vier psychisch Erkrankte arbeiten hier seitdem sozialversicherungspflichtig und mit tariflicher Entlohnung.

    Bettina Byers wurde vor sechs Jahren mit offenen Armen im „Café Perspektive“ empfangen. Bis 2013 arbeitete sie auf Zuverdienstbasis. Was sie glücklich machte. Endlich hatte sie wieder etwas Sinnvolles zu tun. Endlich war sie wieder von netten Kollegen umgeben: „Dadurch ging es mir seelisch sehr viel besser.“

    Nach und nach konnte Byers ihre Arbeitsleistung steigern. Vor vier Jahren bot man ihr einen der vier Integrationsarbeitsplätze an. Mehr als ein Jahr lang war Byers knapp 20 Stunden in der Woche im Café tätig. Danach spürte sie, dass sie wieder etwas langsamer machen musste. Darum wechselte sie auf einen Zuverdienstarbeitsplatz zurück.

    Veränderte Förderrichtlinien

    Die Chance, die Bettina Byers erhalten hatte, würde das Team des BRK gerne weiteren Männern und Frauen mit seelischer Beeinträchtigung eröffnen. Doch die Förderrichtlinien haben sich in den letzten Jahren geändert. Zuverdienstarbeitsplätze dürfen in Unterfranken nicht mehr an seelisch Kranke im Hartz IV-Bezug vergeben werden, erklärt Joachim Schmitt-Prinz, der beim BRK für den Bereich „Sozialpsychiatrie“ zuständig ist. Nur Menschen mit Rente, vor allem wegen Erwerbsminderung, dürfen diese Jobs erhalten.

    Diese Entscheidung führt nach Ansicht des BRK-Mannes weit vom Ziel „Inklusion“ ab. Seelisch Kranke, die keine Rente erhalten, weil sie den Hartz IV-Kriterien gemäß noch mindestens drei Stunden am Tag arbeiten könnten, werden dadurch um wichtige Perspektiven gebracht. In vielen Fällen verhindere die Neuregelung den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt.

    Auch Café-Leiterin Sybille Pechtl kann die geänderten Spielregeln nicht begreifen. Zuverdienstarbeitsplätze sind nach ihren Worten die Voraussetzung dafür, dass ein seelisch kranker Mensch einen sozialversicherungspflichtigen Integrationsarbeitsplatz erhält. Denn niemand, der an einer Depression, einer Borderlinestörung oder einer Psychose leidet, kann vom ersten Tag an volle Leistung bringen. Fast alle müssen langsam in die neue Aufgabe hineinwachsen.

    Rente vor Einstellung

    Im „Café Perspektive“ haben seelisch Kranke die Möglichkeit, am Anfang eine einzige Schicht im Monat zu übernehmen. Später arbeiten sie ein- oder zweimal wöchentlich. Bis sie irgendwann die Voraussetzungen für einen Integrationsarbeitsplatz erfüllen.

    Pechtl steht seit 2014, als die neuen Regeln griffen, vor einer absurden Situation: Will ein Mensch mit Depression im Hartz IV-Bezug bei ihr im „Café Perspektive“ arbeiten, muss sie ihm raten, sich erst einmal berenten zu lassen. Anders ist ein Einstieg auf Zuverdienstbasis nicht möglich. Bewährt sich der Mitarbeiter und will er einen festen, integrativen Job haben, muss er die Rente wieder aufgeben. Denn Integrationsarbeitsplätze wiederum sind nicht gedacht für seelisch Kranke im Rentenbezug.

    Bettina Byers hatte Glück. Sie wurde schon 2011 aufgenommen, ist damit ein „Altfall“ und hat Bestandsschutz. Obwohl sie Hartz IV bezieht, darf sie auf Zuverdienstbasis arbeiten – mit der Chance, vielleicht irgendwann neuerlich einen Integrationsarbeitsplatz zu erhalten. „Ich würde mich nicht berenten lassen wollen“, betont die dreifache Mutter. Mit 46 Jahren Rentnerin sein? Diese Vorstellung passt überhaupt nicht zu der dynamischen Frau, die es geschafft hat, sich Schritt für Schritt aus einem tiefen „Seelenloch“ herauszuarbeiten.

    Das „Café Perspektive“ am Waldfriedhof ist bis Ende Oktober täglich (außer Mo.) von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden