Waldhimbeeren sind geschmacklich eine Offenbarung, Brombeeren an Waldrändern, Zäunen und Hecken werden jetzt reif. Doch Vorsicht, werden wir seit Jahren gewarnt, Finger weg von tief hängenden Früchten. Eiern des Fuchsbandwurms könnten daran kleben und eine tödliche Infektion auslösen. Man solle nur die Früchte vom oberen Teil der Pflanzen ernten. Der Würzburger Biologieprofessor Klaus Brehm gilt in der Fuchsbandwurmforschung weltweit als der Fachmann schlechthin. Er sieht die Beerentheorie kritisch. Dass der Mensch Wurmeier über Beeren im Wald aufnimmt, sei eher unwahrscheinlich.
Fuchsbandwürmer gehören zu den gefährlichsten Parasiten in Europa
Fuchsbandwürmer gelten als die gefährlichsten Parasiten in Europa. Unbehandelt führt eine Infektion zum Tod. Medikamente dämmen die Ausbreitung des Wurms häufig nur ein, können ihn aber nicht aus dem Körper entfernen. Sie haben mitunter starke Nebenwirkungen und müssen ein Leben lang eingenommen werden. Brehm, der am Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Uni Würzburg forscht, ist fasziniert von der Vitalität der Tiere. „Man kann sie komplett zerlegen, und sie fangen immer wieder an, sich zu regenerieren.“
Die Krankheit ähnelt einer bösartigen Tumorerkrankung
Der Lebenszyklus des rund drei Millimeter langen Wurms beginnt im Darm des Fuchses, wo er seine Eier ablegt. Mit dessen Kot gelangen hunderte Eier in Feld und Wald oder auf die Wiese, Mäuse verschlucken sie mit Samen und Gräsern, im Darm der Nager schlüpfen dann Fuchsbandwurm-Larven. Die bohren sich durch die Darmwand und gelangen über den Blutstrom in die Mäuseleber, wo sie sich zu so genannten Finnen entwickeln. Die erkrankten Mäuse sind geschwächt, der Fuchs frisst sie, neue Bandwürmer schlüpfen in seinem Darm und das Spiel geht von vorne los.
Wenn die Eier in den Menschen gelangen statt in die Maus, endet der Kreislauf. Doch hier wie dort arbeiten sich die Wurmlarven in die Leber vor und bilden Finnen, die nach und nach das Gewebe durchdringen. Die Krankheit ähnelt einer bösartigen Tumorerkrankung. „Der Fuchsbandwurm“, sagt Brehm, „verhält sich wie Krebs. Er besitzt Stammzellen, die wuchern, und er bildet Metastasen.“ Der Mensch merkt lange nichts davon, dann treten undefinierbare Oberbauschmerzen auf, vielleicht auch eine Gelbsucht.
Medikamente bringen den Wurm nicht um
Die Behandlungsmöglichkeiten sind schlecht. Die bisher erhältlichen Medikamente bringen den Wurm nicht um, auch eine Chemotherapie kann sein Wachstum nur verlangsamen. Klaus Brehm forscht, um eine Chemotherapie zu entwickeln, die auch die wichtigsten Zellen des Wurms abtötet. Und neue, wirkungsvollere Medikamente gegen das zerstörerische Werk, das er im menschlichen Körper anrichtet.
45 Menschen hat der Parasit 2015 in Deutschland befallen, meldet das Robert-Koch-Institut (RKI). Das sind doppelt so viele Fälle wie noch vor zehn Jahren, aber bei 82 Millionen Deutschen ist die Infektionsrate noch immer extrem niedrig. Glaubt man Schätzungen, werden mehr Menschen vom Blitz getroffen.
Wie die Wurmeier in den Menschen gelangen? Ist bei keinem einzigen Patienten sicher geklärt, sagt Klaus Brehm.
Gefährdet sind Bauern, Jäger und Hundebesitzer
Die Wahrscheinlichkeit, dass dies über ungewaschene Beeren geschehen könnte, ist für den Experten eher gering. Der Fuchs setzt sich nun mal nicht auf den Himbeerstrauch und macht von oben auf die Früchte, kommentiert Brehm.
Stärker als Beerensammler sind Bauern und Jäger gefährdet, vor allem dann, wenn sie täglich auf Wald- oder Ackerboden unterwegs sind. Zudem ist das Erkrankungsrisiko offenbar bei Hundebesitzern erhöht. Vor allem dann, wenn die Tiere auf Mäusejagd gehen. Dann scheiden die Hunde ähnlich viele Wurmeier aus wie Füchse. Vorsicht geboten ist vor allem bei Streunern, erläutert Brehm. Sie werden meist nicht entwurmt und fressen viele Mäuse, weil sie sonst nichts bekommen. Katzen verbreiten nur wenige Wurmeier und sind demnach für Menschen eher kein Risiko.
Noch etwas haben Forscher herausgefunden. Meist kann der Körper den Wurm abwimmeln, 80 bis 90 Prozent der Menschen in Europa scheinen resistent gegen Fuchsbandwürmer zu sein. Und die, die es nicht sind, müssen „eine ordentliche Portion Eier“ aufnehmen, sagt Brehm. Hunderte bis Tausende.
So oder so: Infektionen mit dem Fuchsbandwurm bleiben die absolute Ausnahme. Wer beim Beerensammeln aber zu hundert Prozent sicher gehen will, sollte die Früchte einkochen. Das bringt den Wurm um.