Vor genau 100 Jahren war das Steinwerk Kraemer in der Ochsenfurter Lindhardstraße gebaut worden. Fast halb so lange hat Paul Hofmann dort gearbeitet, erst als Lehrling, dann als Angestellter und seit 15 Jahren als Chef. Wen wundert es da, dass Wehmut aufkommt, wenn er das alte Werk jetzt einreißen muss.
Aufschwung, Depression, Nazizeit, Krieg, Wiederaufbau, das Wirtschaftswunder – an den Gebäuden aus grauem Muschelkalk ist Stadtgeschichte bis heute sichtbar haften geblieben. Für wenige Tage noch, dann rücken die Bagger an und machen das Werk dem Erdboden gleich.
Fast wie ein Industriemuseum
Auch während des Abbruchs mutet das Gelände noch beinahe wie ein Industriemuseum an. Mehrere Tonnen wiegt das gusseiserne Schwungrad, das noch bis in unsere Tage die große Gattersäge angetrieben hat. Beharrlich fraßen sich die Sägeblätter durch die riesigen Steinblöcke. Das Gatter stammt noch aus den Gründertagen des Werks, erzählt Paul Hofmann, ebenso wie die Krananlage über dem Lagerplatz vor der großen Werkhalle.
Immerhin werden die Stützen des Krans die Zeit überdauern. Holger Metzger aus Bolzhausen, bekannt als „Brückenbaron“, will sie in sein museales Veranstaltungsgelände integrierten, in dem bereits Teile der ehemaligen Segnitzer Brücke einen Platz gefunden haben.
Auch die alte Schmiede ist noch da, in der früher zwei Schmiedegesellen Tag für Tag damit beschäftigt waren, die Werkzeuge für die Steinhauer und Steinmetze zu reparieren und scharf zu halten.
Vom Sandstein zum Muschelkalk
1845 hatte Jakob Kraemer in Wässerndorf ein Baugeschäfts gegründet, berichtet die Firmenchronik. 1876 siedelte sein Sohn Lorenz nach Gnodstadt um und eröffnete neben dem Baugeschäft einen Sandsteinbruch. Von da an waren Steinmetzarbeiten die Hauptbeschäftigung der Firma. Aus dem Bruch stammten unter anderem die Steine für die Bahnhöfe in Ochsenfurt, Marktbreit und Uffenheim. 1885 zog die Firma in die Marktbreiter Straße nach Ochsenfurt und bahnte sich mit der Eröffnung eines Steinbruchs in Frickenhausen den Einstieg ins Geschäfts mit dem Muschelkalk.
Die Verlegung des Betriebs in die Lindhardstraße in den Jahren 1917 bis 1920 ermöglichte es dank eines Gleißanschlusses, Aufträge in weiterer Entfernung anzunehmen. Die Firma kaufte weitere Steinbrüche und investierte in moderne Maschinen. Dutzende von Mitarbeitern fanden Lohn und Brot, der Betrieb schien goldenen Zeiten entgegen zu gehen, bis die Weltwirtschaftskrise dem Höhenflug ein schmerzhaftes Ende setzte.
Steine für das Berliner Olympiastadion
Erst mit der Machtergreifung der Nationalsozialischen wurde die Steinindustrie in und um Ochsenfurt wiederbelebt. Die Architekten der Nazis entwickeln eine Vorliebe für den archaisch grauen Stein, der sich trefflich für die Monumentalbauten ihrer Auftraggeber zu eignen schien. Mit mehreren Steinwerken aus der Gegend schloss sich die Firma Kraemer zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, um das Material für den Bau des Berliner Olympiastadion oder Hitlers Reichsparteitagsgelände in Nürnberg liefern zu können.
Die Firma Kraemer produzierte Steine für den Bau der Reichsautobahnen. Als der im Zweiten Weltkrieg zum Erliegen kam, blieben unzählige fertige Steinquader zurück, die später an der Neuen Mainbrücke verbaut wurden. Auch der überlebensgroße, von einem Jüngling gerittene Stier, der seitdem im Mainvorland neben der Neuen Mainbrücke steht, stammt aus dieser Zeit und sollte ursprünglich eine riesige Ferienanlage der Nazi-Organisation „Kraft durch Freude“ auf der Insel Rügen schmücken. Das Gegenstück, eine Jungfrau auf dem Pferd, wurde nie fertiggestellt. Ihr Kopf lagert bis heute im Steinwerk.
Krieg und Wiederaufbau
Nachdem ab 1939 alle wehrfähigen Männer zum Kriegsdienst eingezogen wurden, fehlte es auch der Firma Kraemer an Arbeitskräften. Der Betrieb kam erneut zum Erliegen. Erst in der Zeit des Wiederaufbaus erholte sich das Unternehmen, bis sich die Eigentümer im Jahr 2000 aus dem Baugeschäfts zurückzogen und auch das Steinwerk stillgelegt werden sollte.
Damals trat Paul Hofmann auf den Plan. Anfang 50 war er und hatte sein gesamtes Berufsleben als Kaufmann in der Firma verbracht. Hofmann pachtete das Steinwerk und übernahm Mitarbeiter und Brüche. Die Kraemer-Hofmann GmbH wurde gegründet. Paul Hofmann wurde deren Geschäftsführer und verpflichtete sich, zu gegebener Zeit das Werk abzureißen und das Gelände baureif zu hinterlassen. Dieser Fall ist nun eingetreten. Das Gelände will die Firma Lidl nutzen, um den angrenzenden Discountmarkt zu vergrößern, berichtet Hofmann.
Aufgeben will Paul Hofmann deshalb noch lange nicht, obwohl er mit 63 langsam seinem Ruhestand entgegensehen könnte. Im kleineren Rahmen soll die Firma als Paul Hofmann GmbH weitergeführt werden. An der Mainau unterhalb er Tückelhäuser Straße hat er eine Halle übernommen. Auf den Handel und kleinere Versetzerarbeiten will sich die neue Firmen zunächst konzentrieren.
Die nächste Generation in den Startlöchern
Ausschlaggebend für die Fortführung sei gewesen, dass sein jüngster Sohn in die Fußstapfen des Vaters treten will, sagt Paul Hofmanns. Aber die Entscheidung hat auch viel mit der Leidenschaft Hofmanns für den Muschelkalk zu tun. „Man muss einen Stein lesen können“, sagt der. Jeder Bruch habe seine Eigenheiten, der Stein seine individuelle Zeichnung und Färbung. Gerade für Restaurierungsarbeiten sei es wichtig, diese Eigenheiten zu kennen.
Am schwersten sei es ihm gefallen, sich von den meisten seiner einst rund 20 Mitarbeiter trennen zu müssen, fährt Hofmann fort. Zum Glück sind die Fachleute auf dem Arbeitsmarkt begehrt. Vorsorge für ein erneutes Wachstum der Firma hat Hofmann getroffen. Die Steinbrüche in Gnodstadt, Frickenhausen und Kirchheim will er weiterführen. Zudem bemüht er sich darum, einen Steinbruch in Goßmannsdorf wieder zu betreiben, in dem seit einigen Jahren keine Steine mehr abgebaut wurden.
Steingewinnung und Naturschutz
Gegenwärtig bemüht er sich beim Landratsamt um die erforderlichen Genehmigungen. Das Problem: Aus dem Steinbruch ist inzwischen ein wertvolles Biotop geworden. Das Verfahren ruht gegenwärtig, wie die Naturschutzbehörde am Landratsamt mitteilt. Ob das Altrecht, auf das sich Paul Hofmann beruft, noch Gültigkeit hat, müsse genau geprüft werden. Hofmann ist zuversichtlich, dass sich Naturschutz und Muschelkalkabbau unter einen Hut bringen lassen. Schließlich seien die Biotope ja gerade wegen des Natursteinabbaus entstanden.