Während das Pflegepersonal in Seniorenheimen, bei Pflegediensten oder in Krankenhäusern in Zeiten von Corona öffentlichen Applaus und Bonuszahlungen erhält, trifft die Krise die häuslichen Helfer doppelt: Pflegende Angehörige verlieren oft nicht nur die von ihnen beauftragen Pflegekräfte, sondern stehen auch nicht im Fokus der Politik. Nur etwa ein Drittel der Pflegebedürftigen wird nach Angaben des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bayern (MDK) in Einrichtungen gepflegt, zwei Drittel zu Hause von ihren Familien versorgt. "Wir erleben eine ebenso dramatische wie kaum beachtete Krise", sagt Johanna Sell, stellvertretende Geschäftsführerin des MDK Bayern und Leiterin des Bereichs Pflege.
In mehr als 300 000 Haushalten bundesweit leben laut dem Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) ausländische Pflegekräfte, die meisten aus osteuropäischen Staaten wie Polen, Rumänien oder Bulgarien. 90 Prozent von ihnen arbeiten nach Schätzungen des VHBP schwarz. Wenn die heimlichen Helfer in ihre Heimatländer zurückkehren und der geplante Ersatz ausbleibt aufgrund von geschlossenen Grenzen – nur, wer eine legale Beschäftigung nachweisen kann, darf derzeit nach Deutschland kommen –, Reisebeschränkungen, gestrichenen Flügen und wegfallenden Bustransporten, stehen Angehörige vor einer kaum zu bewältigenden Herausforderung.
"Wir erleben eine ebenso dramatische wie kaum beachtete Krise."
Johanna Sell, stellvertretende Geschäftsführerin des MDK Bayern
Ebenso, wenn ein Pflegefall neu eintritt: Aufgrund des vom Bayerischen Gesundheitsministeriums wegen der Ansteckungsgefahr mit Covid-19 am 4. April verfügten Aufnahmestopps in Pflegeeinrichtungen sind akute Aufnahmen aktuell fast ausgeschlossen. Das gilt für Heime ebenso wie die Möglichkeiten einer Kurzzeitpflege und von Rehamaßnahmen nach Klinikaufenthalten. In all diesen Fällen müssen die Angehörigen die häusliche Pflege organisieren und stemmen.
Die Versorgungslücken und fehlende Kenntnisse führen oft zu Überlastungen. "Wir dürfen die pflegenden Angehörigen nicht alleine lassen", warnt Johanna Sell. Der MDK Bayern hat zu ihrer Unterstützung praktische Tipps zusammengestellt.
Telefonische Beratung
Pflegeservice Bayern des MDK
Unter der Telefonnummer (0800) 772-1111 erhalten alle gesetzlich Versicherten in Bayern eine unabhängige und kostenlose Pflegeberatung sowie Tipps zu Pflegeheimen und häuslicher Pflege. Der Service vermittelt auch Pflegedienste und Haushaltshilfen. (Montag bis Freitag 8 bis 18 Uhr)
Tipps zu finanzieller Unterstützung
Kurzzeitige Arbeitsverhinderung/Pflegeunterstützungsgeld
Die Schließung von Einrichtungen zur Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen kann als akute Pflegesituation gewertet werden. Um den pflegebedürftigen Angehörigen versorgen zu können, kann unter bestimmten Umständen ein Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld (Lohnersatzleistungen) für zehn Tage beantragt werden.
Pflegezeit/Familienpflegezeit
Pflegezeit erlaubt Beschäftigten, sich bis zu sechs Monate vollständig oder teilweise von der Arbeit freistellen zu lassen, um die Pflege eines nahen Angehörigen in der Häuslichkeit zu ermöglichen. Bei Inanspruchnahme von Familienpflegezeit können sich Beschäftigte bis zu 24 Monate teilweise von der Arbeit freistellen lassen. Wenn Sie einen nahen Angehörigen in seiner letzten Lebensphase begleiten wollen, sind maximal drei Monate vorgesehen.
Finanzierungshilfen über Rettungsschirm Corona
Konnte die Versorgung durch den bisherigen Pflegedienst oder eine Vertretung nicht sichergestellt werden und musste daher von anderen übernommen werden, kann der Pflegebedürftige bei seiner Pflegekasse einen Antrag auf Erstattung der Kosten für die von der Pflegekraft erbrachten Leistungen (bis 30. September 2020) stellen.
Tipps zur pflegefachlichen Unterstützung
Verhinderungspflege/Ersatzpflege
Für Pflegepersonen, die die Versorgung ihrer Pflegebedürftigen zeitweise nicht ausüben können (Voraussetzung: Vorpflegezeit von sechs Monaten und mindestens Pflegegrad II), steht die Leistung der Verhinderungspflege zur Verfügung. Diese Leistung kann stunden-, tage- oder wochenweise durch einen Pflegedienst, Verwandte, Bekannte oder Nachbarn erbracht werden. Bis zu 1612 Euro erstatten die Pflegekassen dafür. Der hälftige Betrag (806 Euro) von der nicht in Anspruch genommenen Kurzzeitpflege kann ebenfalls als Verhinderungspflege hergenommen werden.
Leistungen des Pflegedienstes/Tagespflege
Es ist immer möglich, sich von ambulanten Diensten unterstützen zu lassen. In jedem Pflegegrad steht eine festgeschriebene Summe zur Verfügung (Sachleistung). Innerhalb dieser Summe kann ein Pflegedienst beauftragt werden. Leistungen vom Pflegedienst, die über das Budget hinaus vom Pflegedienst erbracht werden, sind vom Pflegebedürftigen selbst zu bezahlen. Seit 6. Mai sind die Tagespflegeeinrichtungen in Bayern wieder erreichbar. Für Tagespflege ist in den einzelnen Pflegegraden ein monatliches Budget zum Pflegegeld durch die Pflegekassen möglich.
Hilfsmittel/Pflegehilfsmittel zum Verbrauch
Das Budget für Pflegehilfsmittel zum Verbrauch ist ab 1. April für Corona-Zeiten von 40 auf 60 Euro angehoben worden. Zur Pflegeerleichterung kann man durch die Pflegekassen einen Zuschuss für Umbaumaßnahmen von bis zu 4000 Euro beantragen. Die Beantragung von Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl, Badewannenlift, Pflegebett) kann den pflegenden Angehörigen die Pflege erleichtern. Eine Verordnung durch den behandelnden Arzt und eine Genehmigung durch die Pflege- oder Krankenkasse ist erforderlich.
Tipp zur psychologischen Unterstützung
Sozialpsychiatrische Dienste
Beratung, Unterstützung und Psychotherapie von Menschen mit schweren psychiatrischen Erkrankungen und deren Angehörigen bieten die sozialpsychiatrischen Dienste an.
Tipp zur rechtlichen Unterstützung
Betreuungsbehörde einbeziehen
Eine rechtliche Betreuung kann sinnvoll und erforderlich sein, wenn entweder eine psychische Krankheit, eine körperliche, geistige oder seelische Behinderung vorliegt und der Pflegebedürftige seine Angelegenheiten teilweise oder gar nicht mehr selbst regeln und organisieren kann und wenn diese Angelegenheiten durch eine bevollmächtigte Person oder andere Hilfen (z.B. Soziale Dienste) ohne gesetzliche Vertretung nicht genauso gut erledigt werden können.
Tipp für Unterstützung im Alltag
Helfer vor Ort finden
Familienentlastende Dienste (abzurechnen über den Entlastungsbetrag von 125 Euro in allen Pflegegraden), Sozialpädagogische Fachdienste, allgemeiner Sozialdienst der Kommune, nachbarschaftliche Hilfen, Lieferservice von Apotheken und Supermärkten, Mahlzeitenlieferung durch Essen auf Rädern, Gaststätten und Metzgereien.