Auf dem Tisch steht eine Flasche „Bombay Saphire“, ein Mitbringsel aus England. Alkohol ist eigentlich nicht üblich, wenn sich die Teilnehmer des Würzburger „Sprachcafés“ für Menschen ab 55 treffen. Doch heute gibt es einiges zu feiern. Drei Frauen hatten seit dem letzten Treffen Geburtstag. Außerdem steht die Reflexion über die gemeinsame Südengland-Reise auf dem Programm. Fünf Tage lang besuchten 15 Mitglieder des Sprachcafés zwischen 52 und 82 Jahren Eastbourne und Umgebung.
Seit Juni 2014 gibt es das von Kerstin Tolev in Würzburg gegründete Sprachcafé. Hier treffen sich Menschen im Ruhestand in verschiedenen Kursen, um, häufig ohne jede Vorkenntnis, gemeinsam in die englische Sprache einzutauchen. Besonders lebhaft geht es immer im Montagskurs zu. Die Frauen, die sich hier seit zwei Jahren wöchentlich am Vormittag treffen, verbindet inzwischen mehr als das gemeinsame Studieren der englischen Sprache.
Die Gruppe ist in den letzten Monaten eng zusammengewachsen, teilweise entstanden Freundschaften. Letztes Jahr im Sommer kam dann die Idee auf: Lasst uns zusammen nach England fahren!
Nun war es soweit. Gemeinsam machte sich die 15-köpfige Truppe auf den Weg nach Eastbourne, einem Seebad am Ärmelkanal in der Grafschaft East Sussex. Von dort wurden Ausflüge nach London und Brighton unternommen. Besonders beeindruckt waren die 13 Frauen und zwei Männer vom Rudyard Kipling-Museum in Burwash. Das Schönste aber war, dass man sich, was den meisten Senioren vor zwei Jahren noch unmöglich erschienen wäre, mit den Einheimischen verständigen konnte.
Halb Englisch, halb Fränkisch
In Brighton am Strand zum Beispiel wollte die Würzburger Truppe Fish and Chips essen und sich an einem kühlen Getränk laben. „Doch die Bedienung kam einfach nicht“, schildert Kursleiterin Kerstin Tolev. Sie schickte sich an, ins Restaurant zu gehen und um die Speisekarten zu bitten. Doch Angelika Meister kam ihr zuvor: „Nein, das übernehme ich!“ Beherzt begab sich die 68-Jährige ins Lokal. „We are 15 people and have Doschd“, verkündete sie halb auf Englisch und halb auf Fränkisch. Die Botschaft kam an. Meister erhielt fünf Karten in die Hand gedrückt und ging glücklich nach draußen.
Vor 50 Jahren, als sie die Volksschule besuchte, habe sie kein Englisch gehabt, erzählt sie. In der Berufsschule schnappte Meister allenfalls ein paar Brocken auf. Dass sie sich so gar nicht verständlich machen konnte, fand sie auf Reisen immer lästig: „Man ist ständig auf andere Leute angewiesen.“ So entschloss sie sich mit Mitte 60, Englisch noch einmal von der Pike auf zu lernen.
Jutta Valentini-Sasse war bis vor kurzem ebenfalls völlig „blank“ in puncto Englisch. Die studierte Landwirtin, die 80 Jahre alt ist, wurde im Osten Deutschlands groß, weshalb sie in der Schule Russisch und Latein hatte. Inzwischen konnte sie sich im Sprachcafé so viel Englisch aneignen, dass sie bei der Reise kleine Gespräche führen konnte.
„Am Strand lernte ich eine junge Frau mit Hund kennen“, erzählt sie. „Good morning“, begrüßte sie die Engländerin: „The weather is very fine.
“ Die Frau ging sofort auf das Gespräch ein und erkundigte sich, woher die Seniorin stammt: „From Germany“. In den nächsten Minuten erfuhr Valentini-Sasse, dass die englische Hundebesitzerin von Kindheit an in England lebt und verheiratet ist: „Sie sprach von ,married?, das habe ich verstanden“, sagt die Deutsche ein wenig stolz.
Im Rudyard Kipling-Museum in East Sussex fasste sie sich abermals ein Herz und begann ein Gespräch mit einem „Guide“. „How many books has Kipling write?“ Das ist grammatikalisch zwar nicht hundertprozentig korrekt. Doch der Guide verstand. Neben dem „Dschungelbuch“, berichtete er, schieb Kipling noch viele Dutzend weitere, heute allerdings völlig unbekannte Bücher.
Mit 70 oder 80 noch Englisch lernen
Ganz erstaunt war die Seniorin, dass sich 200 Ehrenamtliche in Haus und Garten um das Kipling-Museum kümmern. „Wie heißen die Ehrenamtlichen auf Englisch?“, fragt Kerstin Tolev in die Runde. Valentini-Sasse muss passen. Aber Edith Endres fällt das Wort wieder ein: „Volunteers.“
Die Reise belegte, dass es auch im höheren Alter möglich ist, eine fremde Sprache zu lernen. Die Motivation, sich mit 70 oder 80 Jahren noch mal mit Vokabeln und Grammatik zu befassen, steigt, wenn man dies in einer Gruppe mit Gleichaltrigen tut, wenn der Unterricht Spaß macht und wenn es ein Ziel gibt. „Auch nächstes Jahr wollen wir wieder miteinander verreisen“, verkündet Edith Endres. Wahrscheinlich geht es dann nach Cornwall.