Prof. Harald Lesch ist Physiker, Astronom, Naturphilosoph und Autor. Einem breiten Publikum ist er vor allem über die ZDF-Sendungen "Leschs Kosmos" und "Terra X" bekannt. Am 29. Oktober präsentiert der 63-Jährige zusammen mit klassischen Musikerinnen und Musikern des Merlin Ensembles Wien beim Würzburger Festival MainLit im CCW "Die vier Jahreszeiten im Klimawandel".
Harald Lesch, im Frühjahr liefen zwei Folgen Ihrer ZDF-Doku "Die großen Fragen". Themen waren "Gibt es einen Gott?" und "Was ist der Sinn des Lebens?" Wird die Reihe fortgesetzt?
Harald Lesch: Ja, wahrscheinlich werden wir was zu Gewissen, Willen und Freiheit machen. Es wird damit zu tun haben, wie wir denken, handeln, was wir können, was nicht.

Setzen wir uns zu wenig mit "großen Fragen" auseinander?
Lesch: Damit Sie sich mit einer "großen Frage" auseinandersetzen können, brauchen Sie Zeit. Unser moderner Lebensstil ist keiner, in dem Menschen sich zurückziehen und sich über existenzielle Fragen Gedanken machen. Produktivität steht im Vordergrund. Deshalb sind Rückzugsangebote so wichtig. Stellen Sie sich vor, Politikerinnen und Politiker würden sich zurückziehen und mal ohne Handy und Mikrofone in Ruhe über ein Thema nachdenken.
Brächten wir Zeit zum Nachdenken auf, würde unsere Gesellschaft dann anders aussehen?
Lesch: Klar würde sie das nachhaltig verändern. Es wäre toll, wir hätten einen Ruhetag wie den Sabbath. Doch sind wir eine Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft. Rituale und Austausch sind der Wirtschaft geopfert, Feiertage ökonomisch geprägt. Das gepaart mit einem ständigen Zwang zur Verbesserung und Überwachung mit Messgeräten. Vieles ist zudem irrsinnig durch Technologie beschleunigt worden.
"Ehrlich gesagt, 'große Fragen' sind nicht sehr komplex.
Harald Lesch
Spielt neben Zeit Komplexität eine Rolle – ist es zu anstrengend, sich mit Lebensfragen zu beschäftigen?
Lesch: Ehrlich gesagt, "große Fragen" sind nicht sehr komplex. Zentral ist ihnen, gesund zu bleiben, ein gesundes Leben zu führen. Deshalb sollten wir keinen Lebenswandel haben, der uns bedroht. Stichwort Klimawandel: Ein stiller Killer, der uns vor gesundheitliche Herausforderungen wie neue Krankheiten stellt und massive Stresssituationen mit sich bringt. Diese können wir nicht alleine, nur zusammen bewältigen. Dazu brauchen wir Verständnis füreinander. Eines meiner Lieblingsthemen bei der Energiewende ist Bürgerbeteiligung durch Energiegenossenschaften. Und so zu verstehen, ich kann anderen vertrauen. Vertrauen reduziert Komplexität.

Es gibt Fragen, wie die nach Gott, darauf wird es keine messbaren Antworten geben. Müssen sich Menschen deshalb heutzutage für Spiritualität rechtfertigen?
Lesch: Das ist eine persönliche Entscheidungsfrage, selbst wenn man gefragt wird, braucht man nicht antworten. Ich habe aber den Eindruck, auf der einen Seite gibt es einen starken Hang zur Spiritualität, auf der anderen eine Abkehr von traditionellen Formen. Dazu noch ein Zitat des Philosophen Wittgenstein: "Wenn alle Fragen der Naturwissenschaften beantwortet sind, ist nicht eine einzige existenzielle Frage meines Lebens davon betroffen." Entscheidend sind nicht Messwerte, sondern Werte, nach denen wir leben. Reine empirische Wissenschaft kann die Welt nicht erklären, Geistes- und Naturwissenschaften sind im Menschen vereint. Und mit offenen Fragen umgehen zu können, das gehört zum Erwachsenenleben. Wenn eine Gesellschaft das nicht kann, ist sie in einem kindlich-narzisstischen Stadium hängengeblieben.
"Der Klimawandel wird uns das gesamte Jahrhundert beschäftigen."
Harald Lesch
Der Klimawandel steht bei Ihrem Auftritt in Würzburg im Mittelpunkt – ein aufgeladener Begriff. Wie bekommt man den neutral?
Lesch: Gute Frage. Ich glaube, dass man einen riesigen Fehler macht, wenn man ihn einer Partei zuschiebt. Er betrifft uns alle und wir müssen reagieren. Die Temperaturen dieses Jahres machen mir Angst. Ich kenne viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sehr beunruhigt sind. Die Anzahl der Tage zwischen den Naturkatastrophen werden kürzer. Wenn Politiker sagen, sie kämpfen für den Verbrenner, oder ein bayerischer Ministerpräsident erklärt die Grünen zum Feind, dann haben sie nicht verstanden, worum es geht. Der Klimawandel wird uns das gesamte Jahrhundert beschäftigen. Überflutungen, Dürre, Hitze, Extremwetter sind ein Menetekel an der Wand.

Was kann der Einzelne tun?
Lesch: Mitglied in einer Energiegenossenschaft werden oder ein Balkonkraftwerk anbringen. Von der Politik bin ich enttäuscht, vor allem von der bayerischen, die alles abwehrt. Auf wundersame Weise soll der Strom nach Bayern kommen, das ist Ignoranz.
Was antworten Sie Menschen, die sagen, auch PV-Anlagen und Windräder brauchen Ressourcen?
Lesch: "Nicht Ihr Ernst!" Wir verbrauchen viel mehr Ressourcen für Automobile oder Industrieanlagen.
Und wenn Menschen sich Investitionen finanziell nicht leisten können?
Lesch: Menschen mit wenig Geld haben den geringsten ökologischen Fußabdruck. Das ist eine Scheindiskussion. Die Frage ist, was machen Menschen, die Geld haben, damit? Erneuerbare Energien sind hier der einfachste Weg. Die technologische Revolution sind richtige Speichermedien. In erster Linie sollten wir global endlich weniger Energie verbrauchen.
Harald Lesch und das Merlin-Ensemble treten am 29. Oktober, 18 Uhr, im Würzburger CCW auf. Karten: Tourist-Info im Falkenhaus am Markt, Würzburg Marktplatz, Tel. (0931) 372398 oder www.main-lit.de