Nach ihrer Schilddrüsenoperation muss Karin K. (Name von der Redaktion geändert) einmal im Quartal zu ihrem Hausarzt, um sich ein Rezept für Tabletten abzuholen. Bisher hat das immer reibungslos geklappt. Bis sich ihre Krankenversicherung – sie ist bei der Techniker Krankenkasse (TK) – dem Hausarztmodell anschließt. „Plötzlich ging alles sehr schnell“, erinnert sich die Frau.
Ihre Mutter war zu dieser Zeit zufällig auch bei jenem Arzt. Sprechstundenhilfen gaben ihr den Hausarztvertrag für ihre Tochter mit. „Der Arzt hat nicht einmal persönlich mir mir gesprochen“, ärgert sie sich noch im Nachhinein. Den Vertrag unterschreibt sie nicht und teilt dies telefonisch den Helferinnen in der Praxis mit.
Prompt ruft sie der Arzt zurück. „Wenn Sie nicht unterschreiben ist unser vertrauensvolles Arzt-Patientenverhältnis gestört“, soll er sinngemäß gesagt haben. Karin K. lässt sich nicht unter Druck setzen und macht sich auf die Suche nach einem neuen Hausarzt.
Ein paar Kilometer von ihrem Wohnort entfernt, erfährt sie die nächste Enttäuschung. „Entweder sie unterschreiben oder ich nehme sie nicht“, soll ihr der Arzt knallhart gesagt haben. Und jetzt? „Es muss doch möglich, sein, dass ich mir meinen Arzt frei wählen kann“, denkt sie sich. Ein Arzt in Ochsenfurt wird ihr empfohlen. Aber auch hier geht ohne Hausarztvertrag gar nichts. Bereits von den Sprechstundenhilfen wird sie darauf angesprochen. Die 49-Jährige weigert sich wieder und beschwert sich bei ihrer Krankenkasse.
Dr. Wolfgang Hoppenthaller, Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes, hat Verständnis für das Verhalten seiner Kollegen. „Der Hausarzt war 20 Jahre lang für diese Patientin da und hat ihr sein Personal und die medizinischen Gerätschaften zur Verfügung gestellt und dann weigert sich die Patientin zu bestätigen, dass er ihr Hausarzt ist ... Da wäre auch mein Vertrauensverhältnis gestört“, sagt er.
Überhaupt hält Hoppenthaller den Fall für gestellt. „Ausgerechnet jetzt zu den Hausarztstreiks wird Stimmung gegen die Ärzte gemacht“, so sein Vorwurf. Mit keinem Wort erwähnt er, dass die Entscheidungshoheit für Hausarztverträge bei den Patienten liegt. In Hoppen-thallers Praxis, die sehr überlaufen ist, würden Patienten nur noch bedingt aufgenommen werden, sagt er. „Und wenn, dann nur jene, die einen Hausarztvertrag unterschreiben“, fügt Hoppenthaller hinzu.
„Dann dürfte er niemanden mehr aufnehmen“, sagt Kirsten Warweg, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung. Denn nur bei totaler Überlastung der Praxis oder wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestört ist, könnten Hausärzte die Behandlung ablehnen.
„Ich kenne mehrere Praxen in der Umgebung, die versuchen, ihre Patienten in den Hausarztvertrag zu drängen.“
Dr. Michael Rost, Arzt in Randersacker
„Eine Differenzierung, beispielsweise zwischen Privat- oder Kassenpatient oder Patienten mit und ohne Hausarztvertrag ist nicht gestattet“. Patienten, die sich gedrängt fühlen, empfiehlt sie, sich an ihre jeweilige Krankenkasse zu wenden. „Denn die Teilnahme am Hausarztprogramm ist absolut freiwillig und darf nicht an Bedingungen geknüpft werden.“
Dr. Michael Rost aus Randersacker findet es schade, ... ...dass sich die Ärzte so verhalten. Dass an der Version der 49 Jahre alten Patientin etwas Wahres dran ist, glaubt er schon. „Ich kenne mehrere Praxen hier in der Umgebung, die versuchen, ihre Patienten in den Hausarztvertrag zu drängen“, sagt er. Viele seiner Kollegen würden ihr Verhalten damit begründen, dass sie auf Dauer Angst um ihre Existenz haben.
Karin K. ist bei der Techniker Krankenkasse kein Einzelfall. Die Krankenkasse gibt die Beschwerden an die Kassenärztliche Vereinigung weiter. Mayer weist darauf hin, dass die Versicherten mit ihrer freiwilligen Zustimmung zum Hausarztvertrag, die für zwölf Monate gilt, auch Rechte aufgeben. Beispielsweise die freie Arztwahl. Wenn es also mal im Knie zwickt oder der Rücken weh tut, können Patienten mit Hausarztvertrag nicht gleich zum Orthopäden, sondern müssen erst den Hausarzt konsultieren.
Und was haben die Ärzte von einem Hausarztvertrag? Die TK beispielsweise zahlt ihnen jährlich eine kontaktunabhängige Pauschale von 65 Euro. Also auch dann, wenn der Patient seinen Hausarzt gar nicht gebraucht hat, verdient er etwas. Hinzu können eine kontaktabhängige Pauschale von 40 Euro im Jahr und eine Vergütung für die Behandlung chronisch Kranker von 30 Euro kommen. Maximal, so Stephan Mayer, kann ein teilnehmender Hausarzt 80 Euro pro Versichertem und Quartal erhalten. „Durchschnittlich bekommen die Ärzte mit Vertrag etwa 13 Euro mehr“, so TK-Sprecher Mayer.
Die Beschwerde von Karin K. kam an. Drei Wochen später entschuldigt sich ihr Hausarzt persönlich bei ihr. „Das war alles nur ein Missverständnis“, soll er sinngemäß gesagt haben. Karin K. hat sich wieder ein Rezept bei ihm geholt. Etwas verzweifelt sagt sie: „Ich weiß ja nicht, wohin ich soll.“ Die Suche nach einem Arzt ihres Vertrauens, der sie auch ohne Vertrag behandelt, will sie aber trotzdem nicht aufgeben.
Hausarztvertrag
Seit Jahren fühlen sich die Allgemeinmediziner der Willkür der Kassen und der facharztdominierten Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ausgesetzt. Bayerns Ärzte wollten einen Ausstieg aus diesem System. 2008 schafften sie es schließlich, ein Gesetz durchzusetzen, welches die Krankenkassen verpflichtet, Hausarztverträge abzuschließen. Hiesige Ärzte argumentieren, dass dieses Gesetz dringend erforderlich war, weil sich wegen der unsicheren Bedingungen immer weniger junge Ärzte für den Beruf des Hausarztes entscheiden würden und somit auch die medizinische Versorgung auf dem Land gefährdet sei.
Heftig umstritten waren die Hausarztverträge bereits bei ihrer Einführung. Seit etwas mehr als einem halben Jahr gibt es sie per Gesetz bundesweit. Durch den Hausarztvertrag sollen die Allgemeinmediziner zum ersten Ansprechpartner werden. Der Arzt entscheidet dann, ob und zu welchem Facharzt der Patient überwiesen wird. Dadurch sollen vor allem die Krankenkassen entlastet werden. Das stört die Fachärzte. Sie klagen über massive Honorarverluste. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler stört sich daran, dass die teilnehmenden Hausärzte Extra-Honorare kassieren und will diese nun wieder abschaffen.