Die Morddrohung gegen Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und der Fackelaufmarsch vor dem Haus von Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) haben die Politik aufgeschreckt. Stimmen werden laut, die ein schärferes Vorgehen gegen den Nachrichtendienst Telegram fordern. Er gilt als wichtigste Online-Plattform für Querdenker, Corona-Leugner und Impfgegner.
Einzelne Gruppen und Kanäle haben zigtausende Mitglieder. Nicht selten werden dort Desinformation, Hass, Hetze und auch Gewaltaufrufe verbreitet, die Radikalisierung schreitet voran. Verschwörungstheorien verbinden sich mit staatsfeindlicher Agitation. Und: Immer häufiger werden in Telegram-Gruppen unangemeldete "Spaziergänge" gegen Impfpflicht und Corona-Politik organisiert – und orchestriert. So auch die aktuellen Aufzüge in Schweinfurt, wo es zuletzt am Sonntagabend zu Gewalt und mehreren Festnahmen kam.

Im Vorfeld war über eine Impfgegner-Gruppe auf Telegram dafür mobilisiert worden. Vorliegende Chatprotokolle zeigen deutliche Verachtung gegenüber Polizei und Medien. Weil man sich in der öffentlich zugänglichen Gruppe aber beobachtet fühlt, will man – so ist dem Chat zu entnehmen – konkrete Absprachen für weitere Demos nun nicht mehr dort kommunizieren, sondern auslagern.
Die Absicht: Die Polizei soll sich auf Protestkundgebungen nicht mehr so gut einstellen können wie zuletzt. Stimmung dafür gemacht wird in dieser wie anderen Telegram-Gruppen weiter, mit teils abstrusen Behauptungen leugnet man Corona und verteufelt die Impfung. Dabei vernetzen sich die Gruppen immer weiter untereinander, Telegram macht dies besonders leicht.
Forderungskatalog aus Bayern angekündigt
Eine härtere Gangart hat deshalb die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) angekündigt. Bayern will laut Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an diesem Mittwoch einen Forderungskatalog schnüren, um bei Messenger-Diensten stärker gegen radikale Corona-Leugner vorzugehen. Rein rechtlich könnte dies bei Telegram allerdings schwierig werden.

Der in Russland entwickelte Nachrichtendienst hat seinen Sitz in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate). Ein inländischer Bevollmächtigter, dem mögliche Klagen zuzustellen wären, ist in Deutschland bis heute nicht benannt – obwohl es das 2017 in Kraft getretene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) so verlangt. Es wurde damals vom Bundestag als Reaktion auf fortschreitenden Hass, Hetze und Fake News im Internet beschlossen und soll Grenzen für soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter ziehen.
Würzburger Medienrechtler: Telegram zählt zu sozialen Netzwerken
Messenger-Dienste für die "Individualkommunikation" wie WhatsApp sind davon ausgenommen. Aber gilt das auch für Telegram? Ein deutliches Nein kommt von Achim Förster, Medienrechtler, ehemaliger Richter und seit kurzem Vizepräsident der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS). Für ihn steht außer Zweifel, dass sich Telegram vom reinen Messenger-Dienst zum sozialen Netzwerk mit offenen Kanälen entwickelt hat. Bei Gruppen mit Zigtausenden von Mitgliedern könne von einer – vom NetzDG nicht erfassten – "Individualkommunikation" keine Rede mehr sein.

Auch Chan-jo Jun, Würzburger Fachanwalt für IT-Recht und bekannt geworden durch seine Klage gegen Facebook, hält Telegram klar für ein soziales Netzwerk. Rechtswidrige Inhalte müssen laut NetzDG innerhalb von sieben Tagen gelöscht werden. Ferner sind ab 1. Februar 2022 bei konkreten Anhaltspunkten rechtsstaatsgefährdende Inhalte dem Bundeskriminalamt zu melden.
Entscheidendes Kriterium für ein soziales Netzwerk aus Sicht Juns: Inhalte werden bei Telegram auf Servern gespeichert. Wer sich einer Gruppe anschließt, kann auch vorherige Inhalte jederzeit abrufen – "das macht den Unterschied zu WhatsApp oder Facebook Messenger".

Die Einschätzung der beiden Experten deckt sich mit der Auffassung im Bundesjustizministerium. Das dort angesiedelte Bundesamt für Justiz hat dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zufolge bereits im Mai ein Bußgeldverfahren gegen Telegram auf den Weg gebracht und zwei Verstöße gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz moniert: Neben dem inländischen Bevollmächtigten fehle das vorgeschriebene einfache Beschwerdeverfahren. Es sei dem Nutzer kaum ersichtlich, wohin er sich mit einer Beschwerde wenden kann. Doch Telegram entzieht sich dem Zugriff deutscher Behörden. Auf die zwei Anhörungsschreiben aus dem Bundesamt wurde laut Innenministerin bisher nicht reagiert. Was also dann?
Anwalt Chan-jo Jun sieht den Hebel bei Google und Apple
IT-Anwalt Jun sieht den Hebel dort, wo Speicherplatz und Telegram-App zur Verfügung gestellt werden: bei Google und Apple. Sie müssten von der Politik in die Pflicht genommen werden, um etwa Telegram aus den App-Stores zu nehmen. "Das wäre ein Anfang", sagt Jun, und würde den Zugang deutlich erschweren. Die Politik dürfe rechtsfreie Räume im Netz nicht dulden. "Meinungsfreiheit klar, aber im Internet sollte nicht das Recht des Stärkeren dominieren."

Unabhängig vom Dienstbetreiber können Polizei und Justiz gegen einzelne Personen vorgehen, die auf Telegram rechtswidrige Inhalte wie Bedrohungen oder Volksverhetzungen verbreiten. Dazu müssen die Ermittler allerdings die Identitäten klären – häufig verstecken sich Akteure hinter Pseudonymen, die mehr oder weniger leicht zu enttarnen sind. Und derlei Straftaten müssen erst einmal auffallen, eine flächendeckende Beobachtung durch die Polizei ist schon aus Kapazitätsgründen kaum möglich.
Und was ist mit denjenigen, die eine Telegram-Gruppe einrichten und verwalten? Sind sie haftbar, wenn dort beleidigt oder zu Gewalt aufgerufen wird? Nach Auffassung von Achim Förster, der an der FHWS die Professur für Urheberrecht, Medienrecht und Medienpolitik innehat, sollten Administratoren sehr sorgsam sein. Spätestens, wenn sie auf rechtswidrige Inhalte hingewiesen werden, müssen sie diese entfernen. Förster: "Tun sie dies nicht und bleiben die Inhalte weiter im Chat sichtbar, machen sich Admins gegebenenfalls strafbar."
Das steht im NetzwerkdurchsetzungsgesetzIn Deutschland verpflichtet das "Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken" (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) seit 1. September 2017 Betreiber von sozialen Netzwerken mit mindestens zwei Millionen Nutzern, eine Möglichkeit zur Beschwerde anzubieten sowie strafbare Inhalte wie Hasskriminalität zu bekämpfen.Nicht erfasst werden von dem Gesetz Plattformen mit journalistisch-redaktionellen Angeboten, die vom Dienste-Anbieter selbst verantwortet werden – ebenso wenig Plattformen, die zur "Individualkommunikation" oder zur "Verbreitung spezifischer Inhalte" bestimmt sind. Bei Telegram ist es aber möglich, Nachrichten in Gruppen mit bis zu 200 000 Mitgliedern zu schreiben, offene Kanäle können von einer unbegrenzten Anzahl an Personen abonniert werden.Nach Einschätzung von Bundesinnen- und -justizministerium unterliegen diese Kanäle damit bereits heute den gleichen Regeln des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes wie etwa Facebook oder Twitter. Entsprechende Ordnungswidrigkeiten können mit einem Bußgeld bis zu fünf Millionen Euro geahndet werden.Nach einer Neuregelung müssen Netzwerkbetreiber ab dem 1. Februar 2022 bei konkreten Anhaltspunkten dem Bundeskriminalamt Inhalte melden, die "den demokratischen Rechtsstaat gefährden, gegen die öffentliche Ordnung verstoßen, kinderpornographische Inhalte verbreiten oder eine Bedrohung gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit darstellen".
Quelle: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz