Zählt das Gewissen mehr als die Buchstaben des Gesetzes? Genau darum geht es in Würzburg vor Gericht, wenn Schwester Juliana am 14. Juli erneut auf der Anklagebank Platz nehmen muss. Die Ordensfrau Juliana Seelmann ist vor dem Landgericht Würzburg angeklagt, weil sie zwei jungen Frauen aus Nigeria in den Jahren 2019 und 2020 im Kloster Oberzell (Lkr. Würzburg) Kirchenasyl gewährt hatte.
"Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt", nennt das die Würzburger Staatsanwaltschaft. "Eine Gewissensentscheidung", sagt Schwester Juliana. In erster Instanz war die Ordensfrau vor dem Amtsgericht Würzburg zu einem Strafbefehl über 1200 Euro verurteilt worden. Sowohl sie als auch die Staatsanwaltschaft waren nach der Entscheidung in Berufung gegangen.
Bischof Franz Jung zeigte sich solidarisch mit der Ordensfrau
Die beiden Nigerianerinnen waren über Italien in die Europäische Union eingereist, wo sie, so schildert es Schwester Juliana, Zwangsprostitution und Gewalt erlebt hätten. Trotzdem wollte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die beiden Frauen nach Italien abschieben, weil dort – gemäß den europäischen Dublin-Regeln – ihre Asylanträge hätten bearbeitet werden müssen.

Um die traumatisierten Frauen vor weiterer Gewalt zu schützen, brachte die engagierte Ordensfrau die zwei hinter Klostermauern in Sicherheit. Schwester Juliana legte schon vor dem ersten Prozess vor einem Jahr am Amtsgericht Wert auf die Feststellung: Das sei nicht als grundsätzliche Kritik am Rechtsstaat zu verstehen: "Es sind einzelne Härtefälle, in denen ich nach meinem Gewissen und Glauben entscheide."
Für sie setzte sich nicht nur die Stadt Würzburg um Oberbürgermeister Christian Schuchardt ein. Sie erhielt in Anerkennung ihrer Haltung auch den Würzburger Friedenspreis verliehen. Bischof Franz Jung zeigte sich ebenfalls solidarisch: "Schwester Juliana hat aus tiefster christlicher Überzeugung gehandelt." Aus seiner Sicht legt das Kirchenasyl "humanitäre Härten im Rahmen des europäischen Asylsystems" offen.
In Bamberg gab es in einem vergleichbaren Fall Freispruch
Sie ist nur eine aus einer ganzen Reihe von Kirchenvertretern, die für das Gewähren von Kirchenasyl vor Gericht landen – und nun hofft, dass das Urteil ausfällt wie bei dem Ordensbruder Abraham Sauer aus Münsterschwarzach (Lkr. Kitzingen). Der war im Februar in einem ähnlichen Fall vom Oberlandesgericht Bamberg in letzter Instanz freigesprochen worden.
Sein Anwalt ist der gleiche, der nun Schwester Juliana vertritt. Entscheidend sei gewesen, dass Bruder Abraham sich strikt an die Vereinbarung zwischen Staat und Kirchen zum Umgang mit Kirchenasylen von 2015 gehalten habe. Es gebe keine Pflicht für die Aufnehmenden, ein Kirchenasyl aktiv zu beenden, selbst wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die erneute Prüfung des Falls ablehnend beschieden habe.
2020 wurden nach Angaben des Justizministeriums 27 und im vergangenen Jahr 43 Verfahren gegen Kirchenangehörige eingeleitet. In insgesamt sechs der eingeleiteten Verfahren sei Anklage erhoben worden.