Die Nachricht erreichte Jochen Griesbach-Scriba kurz vor dem Sommerurlaub im vergangenen Jahr, und sie war bestens geeignet, dem Direktor der Antikensammlung des Würzburger Martin von Wagner Museums die Urlaubslaune gehörig zu verderben. "Das war ganz schlimm", sagt der 54-jährige Professor für klassische Archäologie auch noch ein knappes Jahr später, denn: Eine bedeutende Sammlung antiker Objekte, die seit rund vier Jahrzehnten als Dauerleihgabe das Museum bereichert, könnte für immer aus Würzburg verschwinden.
Es geht um keramische Gefäße, um kleinere Marmorskulpturen, Bronzen und frühe Glasobjekte, insgesamt rund 80 Stücke aus dem Zeitraum vom 7. Jahrhundert vor Christus bis ins 3. Jahrhundert nach Christus, eine Spanne, die laut Griesbach-Scriba "fast das ganze klassische Altertum abbildet". Gut zwei Drittel der Objekte sind dauerhaft ausgestellt. Bei den Stücken handelt es sich um die größte Sammlung von Dauerleihgaben, über die das Museum verfügt, und der Begriff "Leihgabe" beschreibt auch zugleich das Problem. Von den 1980er bis in die frühen 2000er Jahre hinein hatte ein Sammler-Ehepaar dem Museum immer wieder Stücke zur Verfügung gestellt. Die Eheleute sind inzwischen verstorben, und der Erbe will die Objekte nun zurück – es sei denn, das Museum kauft sie ihm ab.

Doch das ist nach jetzigem Stand schwer vorstellbar. "Wir haben viele Dauerleihgaben, weil wir keinen Ankaufetat haben", sagt der Direktor, der die "Ältere Sammlung" des Museums seit 2014 leitet. Und die Summe, um die es bei der Privatsammlung geht, ist gehörig: Auf eine Million Euro schätzt er den Betrag, mit dem die Sammlung für das zur Universität Würzburg gehörende Museum gerettet werden könnte. Wie gesagt: könnte. Der Konjunktiv muss dick unterstrichen werden, denn derzeit steht in den Sternen, ob und wie das Museum das Geld aufbringen kann, auch wenn der Erbe einen längeren Zeitraum dafür in Aussicht gestellt hat.
Wertvolle Trinkschale erklärt das antike Symposion
Für das Museum wäre der Verlust ein herber Schlag ins Kontor. Denn in der Privatsammlung befinden sich, wie Griesbach-Scriba sagt, "10 bis 20 Top-Stücke", die gut und gern auch im New Yorker Metropolitan Museum of Art stehen könnten. Auf eines dieser Objekte läuft man direkt zu, wenn man die aktuelle Sonderausstellung "Wein und Sinnlichkeit" besucht. Mitten im Raum steht die Vitrine mit einer bemalten Trinkschale aus der Zeit um 540 vor Christus, die beim griechischen Symposion, also bei einem gemeinsamen geselligen Weingenuss, zum Einsatz kam. An den Innenseiten ist sie mit Kriegsschiffen bemalt, die bei gefüllter Schale scheinbar auf dem Rotwein "kreisen". Die Schale ging seinerzeit von Mund zu Mund, und wer als Letzter die Neige austrank, dürfte sich wohl kurz erschrocken haben: Vom Boden der Schale blickte ihm die Göttertochter Medusa ins Gesicht, ihr Anblick könnte ihn in einen Stein verwandeln. "Ein antiker Partygag", meint Griesbach-Scriba.

Mit der Schale lasse sich heute sehr gut das Zusammenspiel von Bankettgeschirr und Symposionsteilnehmern erklären: "Wenn wir die Schale nicht mehr hätten, wäre es deutlich schwieriger, weil wir ein vergleichbares Stück mit einem solchen Dekor nicht besitzen." Allein die Trinkschale schätzt der Direktor auf 40.000 Euro und ist damit wieder beim Problem: "Das sind Preise, da kann ich nicht bei der Uni-Leitung antreten und sagen: Können Sie mir das mal bezahlen?"
Der Hilferuf aus der Würzburger Residenz, wo das Museum seinen Sitz hat, fällt in eine schwierige Zeit für Antike-Sammlungen. "Wir erleben gerade einen extremen Generationenwechsel", sagt Griesbach-Scriba, "humanistisches Bildungsgut und das Verständnis, was antike Kunst bedeutet, ist im Aussterben begriffen." Klassische Sammler, die ihre Objekte aus Leidenschaft und kulturellem Interesse zusammentragen, werden immer weniger. Das Publikum hat sich ebenfalls verändert: "Auch wir müssen uns neue Zielgruppen erschließen."

Antike Bildsprache als Grundlage für heutige Debatten
Aber wie gelingt es, heutzutage Menschen an antike Kunst heranzuführen? "Es muss um einen Brückenschlag gehen, um die Frage: Gegenwart und Antike, was hat das miteinander zu tun?", ist sich der Professor sicher. Die Bildsprache auf den antiken Objekten, die ja oft Gebrauchsgegenstände waren, sei ein großer Fundus. "Damals ist eine neue Zeichensprache entstanden, von der wir heute noch zehren."
Und zugleich eine Symbolik, mit der sich auch die Menschen der Gegenwart hinterfragen können: In der Dauerausstellung führt Griesbach-Scriba zu einer Vitrine, darin eine kleine Tonfigur, die "Schwangere Puppe". Auch sie stammt aus der Privatsammlung. Im Bauch hat die Figur aus dem 1. Jahrhundert vor Christus ein eckiges Loch, darin ein Embryo aus Ton. Wahrscheinlich diente die Puppe, die bewegliche Arme hatte, zum Spielen, "ein antikes Pendant zu unserer Barbie", wie Griesbach-Scriba sagt. Und wie die Barbie ist auch die antike Puppe schlank – trotz Schwangerschaft. Weibliches Schönheitsideal ging im antiken Griechenland vor Naturdarstellung: "Die Frau musste 'schön' bleiben, trotz Schwangerschaft."

Die Wirkung des Originals ist nicht zu ersetzen
Schönheitsideale und Rollenbilder – alles Themen, über die sich auch heute gut diskutieren lässt. "Wir hatten nie den Anspruch, aus unseren Besucherinnen und Besuchern Antikenexperten zu machen", sagt Griesbach-Scriba. Es gehe darum, tiefer über die eigene Kultur nachzudenken, mit der Antike als Brücke: "Über einzelne Objekte kann man zu essenziellen Lebensthemen miteinander ins Gespräch kommen und voneinander lernen". Doch was, wenn es die Objekte nicht mehr vor Ort zu sehen gibt? An der besonderen Wirkung des Originals hätten auch die digitalen Möglichkeiten nichts geändert, ist sich der Direktor sicher. "Wir können im Internet eine Vase nicht in ihrer verschiedenen Beleuchtung betrachten, nicht um sie herumgehen." Eine Abbildung zeige immer nur einen Teil: "Bei aller Brillianz bleibt das flach."

Das Martin von Wagner Museum hat inzwischen einen Spendenaufruf gestartet, um die Sammlung in Würzburg zu halten. Jochen Griesbach-Scriba hofft dabei auch auf die Stadtgesellschaft: "Jetzt geht es um die entscheidende Frage: Was ist das Museum den Würzburgern wert?" Aber es geht auch um mehr. Denn wenn die Stücke weiterverkauft werden, sind sie womöglich dauerhaft verschwunden. "Bei uns sind die Sachen öffentlich, können betrachtet und entdeckt werden. Museen sind auch sichere Häfen."
Spenden für den Erhalt der Sammlung an: Julius-Maximilians-Universität Würzburg, IBAN DE09 7905 0000 0000 0988 22, BIC: BYLADEM1SWU, Kennwort "Antike".