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Würzburg: Höhepunkte, Entdeckungen, Enttäuschungen: 6 Autorinnen und Autoren über ihr Kulturjahr 2023

Würzburg

Höhepunkte, Entdeckungen, Enttäuschungen: 6 Autorinnen und Autoren über ihr Kulturjahr 2023

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    Bilder eines bunten Kulturjahrs (v. li. oben im Uhrzeigersinn): Symphonic Mob mit Kent Nagano beim Kissinger Sommer, Caspar David Friedrich in Schweinfurt, Eröffnung des Kleinen Hauses des Würzburger Mainfranken Theaters, Summer Breeze Open Air in Dinkelsbühl.
    Bilder eines bunten Kulturjahrs (v. li. oben im Uhrzeigersinn): Symphonic Mob mit Kent Nagano beim Kissinger Sommer, Caspar David Friedrich in Schweinfurt, Eröffnung des Kleinen Hauses des Würzburger Mainfranken Theaters, Summer Breeze Open Air in Dinkelsbühl. Foto: Milena Meder, Josef Lamber, Patty Varasano, Michi Bauer

    War da was? Corona? Manchmal hat man den Eindruck, dass die Pandemie in den Köpfen vieler Menschen nur mehr eine verblassende Erinnerung ist. Dabei war 2023 das erste Jahr seit Corona, in dem Kultur ganz ohne Auflagen funktionierte. Und tatsächlich scheinen es vor allem die Kulturmenschen zu sein, denen der Schock noch in den Knochen sitzt. Denn die Folgen der Pandemie sind an vielen Stellen immer noch zu spüren.

    Größtes Sorgenkind: Teile des Publikums scheinen dauerhaft das heimische Sofa dem Konzert- oder Theaterstuhl vorziehen zu wollen. Immerhin, die Lage entspannt sich allmählich. Die Besucherzahlen erholen sich vielerorts - und jetzt hat ja auch das Mainfranken Theater Würzburg endlich sein neues Kleines Haus eröffnet. Bevor wir also in ein hoffentlich buntes, wildes, volles und aufregendes Kulturjahr 2024 starten, hier der Jahresrückblick unserer Autorinnen und Autoren.

    1. Mathias Wiedemann freute sich über das neue Kleine Haus des Würzburger Mainfranken Theaters und stöhnte über Parsifal  

    Meist ist Mathias Wiedemann berufsbedingt Zuschauer. Für den Symphonic Mob des Kissinger Sommers hat der Hobbycellist heuer kurz die Seiten gewechselt.
    Meist ist Mathias Wiedemann berufsbedingt Zuschauer. Für den Symphonic Mob des Kissinger Sommers hat der Hobbycellist heuer kurz die Seiten gewechselt. Foto: Josef Lamber

    Höhepunkt des Jahres: Der kam kurz vor Schluss. Am 2. Dezember wurde endlich das neue Kleine Haus des Würzburger Mainfranken Theaters eröffnet. Es macht als Kritiker einfach Spaß, mal wieder in ein richtiges Theater gehen zu können. Und dieses nach dem Entwurf von Jörg Friedrich ist wirklich gelungen: ein helles, einladendes Foyer und ein Saal mit bester Sicht und bester Akustik. Das Warten hat sich gelohnt.

    Enttäuschung des Jahres: Leider wieder mal Bayreuther Festspiele. Der neue "Parsifal" in der Inszenierung von Jay Scheib. Mit Augmented Reality, also erweiterter Realität. Musikalisch ordentlich, szenisch durchschnittlich, virtuell mangelhaft. Ständig fliegen irgendwelche Symbole durch das Display der AR-Brille. Als ob die Musik Richard Wagners nicht schon von sich aus maximal erweiterte Realität wäre. Nächstes Mal bitte wieder rein analog!

    Entdeckung des Jahres: Das neue Programm der Würzburger Meisterkonzerte, kuratiert von David Hanke (Hanke Brothers). Einst traten hier die ganz Großen der Kammermusik auf, aber diese Zeiten sind vorbei. Jetzt ist in der Reihe Neues, Neuartiges, Neuwertiges zu hören. Weder plumpes Crossover noch zeitgenössisch Experimentelles. Sondern Musik, die ganz natürlich neue Wege geht und dabei vollkommen zugänglich bleibt. Der nächste Termin: Frank Dupree Trio, 12. Januar.

    Kulturbild 2023 für Mathias Wiedemann: 2. Dezember, die Menschen nehmen nach langer Wartezeit fröhlich das neue Kleine Haus des Mainfranken Theaters in Würzburg in Besitz.
    Kulturbild 2023 für Mathias Wiedemann: 2. Dezember, die Menschen nehmen nach langer Wartezeit fröhlich das neue Kleine Haus des Mainfranken Theaters in Würzburg in Besitz. Foto: Patty Varasano

    Kulturmensch des Jahres: Kein einzelner, sondern ganz viele Kulturmenschen - die Mitglieder des Würzburger Kneipenchors. Einerseits ein Haufen fröhlicher Menschen zwischen 25 und 70, die einfach Spaß am Singen haben - ohne Noten und sonstigen klassischen Ballast. Andererseits ein Ensemble, das mit großem Ernst und bemerkenswerter Disziplin an seinem Repertoire arbeitet. David-Bowie-Songs vierstimmig zum Beispiel. Super!

    2. Christine Jeske war beeindruckt von Margot Friedländer und staunte über Lichtkünstler James Turrell

    Christine Jeske hat das Gefühl, das (Kultur-)Jahr 2023 ist viel zu schnell vergangen. Sie fragt sich, ob es, wie so oft behauptet, daran liegt, dass man älter wird...
    Christine Jeske hat das Gefühl, das (Kultur-)Jahr 2023 ist viel zu schnell vergangen. Sie fragt sich, ob es, wie so oft behauptet, daran liegt, dass man älter wird... Foto: Christoph Weiss

    Höhepunkt des Jahres: James Turrell ist ein Lichtkünstler. Faszinierende Fotos seiner Installationen finden sich im Internet zuhauf. Doch sie können längst nicht die Empfindungen auslösen wie beim direkten Kontakt. Etwa im sehenswerten Diözesanmuseum in Freising. Wer zur "Kapelle des Heiligen Lukas" emporsteigt, taucht ein in einen grenzenlosen Farbraum. Kein Horizont. Kein Oben, kein Unten. Ein schwebendes, tief berührendes, unvergessliches, spirituelles Erlebnis.

    Enttäuschung des Jahres: Die Nachricht kam im Oktober: Die wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG) hat Insolvenz angemeldet. Sie braucht Unterstützung, um das Blatt zu wenden. Enttäuschend ist, dass die WBG, die ihre Gewinne in ihre Buchprojekte fließen lässt, diesen Schritt unternehmen musste. Noch enttäuschender wäre es, wenn sie und ihr besonderes wissenschaftliches Programm verschwinden würde. Info: www.wbg-wissenverbindet.de

    Entdeckung des Jahres: Anne Berest erzählt in "Die Postkarte" (Piper Verlag) eine spannende Familiengeschichte mit realem Hintergrund. Die Mutter der Autorin erhält an Neujahr 2003 eine Postkarte. Darauf stehen vier Namen von Verwandten, die in Auschwitz ermordet wurden. Sonst nichts. Erst Jahre später, als ihre Tochter in der Schule Antisemitismus erlebt, beginnt Anne Berest intensiv nachzuforschen und findet nicht nur den Absender der Karte.

    Kulturbild 2023 für Christine Jeske: Schlappe(n)-Kunst? Die Birkenstock-Sandale, Modell "Madrid", hat es ins Museum geschafft, in die neue Ausstellung im Kunstpalast Düsseldorf.
    Kulturbild 2023 für Christine Jeske: Schlappe(n)-Kunst? Die Birkenstock-Sandale, Modell "Madrid", hat es ins Museum geschafft, in die neue Ausstellung im Kunstpalast Düsseldorf. Foto: Federico Gambarini, dpa

    Kulturmensch des Jahres: "Versuche, dein Leben zu machen." Diesen Satz lässt die Mutter 1943 ihrer Tochter Margot ausrichten. Zudem hinterlegt sie bei Nachbarn Handtasche und Bernsteinkette. Die Mutter ist weg, begleitet den Sohn, als er von den Nazis verhaftet wird. Margot Friedländer sieht sie nie wieder. Sie macht ihr Leben, schreibt ihre Biografie, kehrt 2010 aus New York nach Berlin zurück, erzählt ihre Geschichte, trägt die Bernsteinkette, mahnt. Bis heute. Sie ist 102 Jahre alt.

    3. Alice Natter las tatsächlich noch mal belustigt einen neuen Asterix und lernte, dass auch Romanhelden Heizungen brauchen

    Steckte 2023 hinter vielen guten Büchern und las sich öfter als erwartet in Geschichten fest: Alice Natter.
    Steckte 2023 hinter vielen guten Büchern und las sich öfter als erwartet in Geschichten fest: Alice Natter. Foto: Susanne Schmitt

    Höhepunkt des Jahres: Höchste Lachquote und schönste Heiterkeit gab’s im neuen "Asterix"! Hätte man gar nicht gedacht, dass ohne das geniale Duo Goscinny/Uderzo ein Band ("Die weiße Iris" ist der 40.) noch – besser: wieder! – so Spaß machen kann. Zu schön: Fischhändler Verleihnix bietet "Meditative Dufttherapie" an, Schmied Automatix "Positive Schwingungen". Das komplette gallische Dorf ist mit einem Mal achtsam, vegan, feministisch drauf. Okay, nicht das ganz Dorf...

    Enttäuschung des Jahres: Nach 600 Seiten war Schluss – wie schade! Zu gerne hätte man diese opulente Geschichte gleich weitergelesen. Dirk Schümers "Die schwarze Lilie" (Zsolnay Wien) spielt im Florenz des Jahres 1348 und unsere volle Gegenwart steckt schon drin: Bankenpleiten und Kapitalismus, Seuchen und Krieg auf der Krim. Unterscheidet uns was vom finsteren Mittelalter? Eine Entdeckung! Möge der Autor zügig Band drei der Abenteuer um Mönch und Ermittler Wittekind schreiben.

    Entdeckung des Jahres: Heizungsstreit ist keine Erfindung der Gegenwart. Und: Der Brennstoff bestimmt das Bewusstsein. Also eigentlich eine Enttäuschung. Jetzt hat's die unsägliche Heizdebatte schon in die Kulturwissenschaft geschafft. Die Germanistin Susanne Stephan erzählt die Literaturgeschichte neu: Denn, tatsächlich, von Goethe und Novalis bis Ralf Rothmann und J.K. Rowling spielen "Der Held und seine Heizung" (Matthes & Seitz Berlin, 457 S.) eine bestimmende Rolle. Gut, ein paar feurige Metaphern weniger hätten es sein dürfen. Ansonsten: Erwärmend, dieses Sachbuch.

    Kulturbild 2023 für Alice Natter: 2024 feiert ganz Deutschland Caspar David Friedrich. Im Schweinfurter Museum Georg Schäfer gab’s seine großen Werke schon 2023 zu sehen.
    Kulturbild 2023 für Alice Natter: 2024 feiert ganz Deutschland Caspar David Friedrich. Im Schweinfurter Museum Georg Schäfer gab’s seine großen Werke schon 2023 zu sehen. Foto: Josef Lamber

    Kulturmensch des Jahres: Viele! Alle Bibliothekare und Bibliothekarinnen, die zum Lesen animieren, alle Buchhändlerinnen und Buchhändler, die nicht nur meterhoch Bestseller-Stapel schichten, die Menschen der Würzburger Unibibliothek, die alte handgeschriebene Schätze vor dem Verfall retten. Und alle Menschen, die Hunger auf Konzerte haben und den Würzburger Hafensommer tatsächlich nicht wegen einer Bratwurst, sondern der Musik besuchen.

    4. Michi Bauer steckte begeistert in Wacken im Schlamm und sang trotz aller Ernüchterung bei Sisters of Mercy nochmal mit

    Michi Bauer wird alt. Oder doch nicht? Bei jedem Festival, nach jeder weiteren Konzertreise 2023 die Erkenntnis: "Das war das letzte Mal." Unfug. Erkenntnis 2.0: Geht schon nochmal – ein Mal noch.
    Michi Bauer wird alt. Oder doch nicht? Bei jedem Festival, nach jeder weiteren Konzertreise 2023 die Erkenntnis: "Das war das letzte Mal." Unfug. Erkenntnis 2.0: Geht schon nochmal – ein Mal noch. Foto: Christoph Weiss

    Höhepunkt des Jahres: Das Schlammbad in Wacken! Das Wacken Open Air gibt es seit 1990. Die Veranstalter kokettieren ob der norddeutschen Sommer mit dem Slogan "In Rain or Shine". So viel wie 2023 hatte es jedoch noch nie geregnet. Ein Matsch-Chaos sorgte für Einlass-Sperren. Eine Absage drohte. Am Ende kamen 60.000 Fans (statt 85.000) auf den "Holy Ground". Ich war dabei – und genoss das Privileg. Mein 9. Wacken war ein ganz besonderes.

    Enttäuschung des Jahres: Ein Desaster war das Posthallen-Konzert der Achtziger-Gothic-Helden Sisters of Mercy nicht. Aber irgendwie lag dem Fan von einst das, was Sänger Andrew Eldritch im dichten Nebel fabrizierte, quer im Magen. Nur selten durchbrach seine warme, gespenstische Stimme das hilflose Krächzen. Mangels ausreichend Musikern war's auch arg viel Computerware. Okay, schön war's dann doch, die Songs von damals mitzusingen.

    Entdeckung des Jahres: Metal meets Beats - so lässt sich Carpenter Brut halbwegs vernünftig einordnen. Wobei Vernunft nicht zum wilden Elektro-Wirken des Franzosen Franck Hueso passen mag. In den wenigen Texten und auf Covern huldigt er seit elf Jahren den Splatter-Movies der 80er. Dazu ein paar Spritzer Edel-Horror der Marke John Carpenter. Wie konnte dieser geniale Mix bis zum Auftritt bei Rock im Park an mir vorübergehen?

    Kulturbild 2023 für Michi Bauer: 25.000 Metalheads weniger als sonst in Wacken. Das norddeutsche Festival versank 2023 im Matsch.
    Kulturbild 2023 für Michi Bauer: 25.000 Metalheads weniger als sonst in Wacken. Das norddeutsche Festival versank 2023 im Matsch. Foto: Michi Bauer

    Kulturmensch des Jahres: Jenny Hvals Name muss man erst mal als Nicht-Norweger korrekt aussprechen. Vielen bleibt er eh bei den ersten drei Worten ihres neuen Romans im Hals stecken: Ich hasse Gott. So kann man mal anfangen. Wird halt dann schwer. Die 43-jährige Folk-Pop-Sängerin schreibt in "Gott hassen" über Black Metal, Okkultismus, Frauenrechte – und den zeitreisenden Maler Edvard Munch. Verrückt. Und Verrückte dürfen alles.

    5. Joachim Fildhaut hätte auf was Neues von den Rolling Stones verzichten können und wagte sich an Ralf Rothmann

    Joachim Fildhaut war im Kulturjahr 2023 von Holbein in Frankfurt begeistert und von den Rolling Stones auf Platte enttäuscht.
    Joachim Fildhaut war im Kulturjahr 2023 von Holbein in Frankfurt begeistert und von den Rolling Stones auf Platte enttäuscht. Foto: Christoph Weiss

    Höhepunkt des Jahres: Die Sonderausstellung im Frankfurter Städel "Holbein und die Renaissance im Norden" (bis 18. Februar) öffnet den Blick für den ungeheuren Qualitätssprung der Malerei nach 1500 vor dem Hintergrund, nein, besser: mittendrin in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft dieser Zeit. Dass sie dem Publikum ebenso intensiv nahegebracht werden, ist den hohen Ticketpreis wert.

    Enttäuschung des Jahres: Viel erwartet habe ich vom Alterswerk der Rolling Stones nicht, aber wenn Mick Jagger eine Lady Gaga so unmusikalisch die Background Vocals echoen lässt, ist er zwar auf der Höhe der Zeit, aber diese Zeit liegt popmusikalisch eben tief darnieder. Im Schnitt klingen die Songs von "Hackney Diamonds" wie überflüssige Lebenszeichen, auf die ich eben, siehe oben, zum Glück nicht gewartet habe.

    Entdeckung des Jahres: Jahrelang drückte ich mich vor der Lektüre der vielgerühmten autofiktional aufbereiteten Kriegserzählungen "Im Frühling sterben", "Der Gott jenes Sommers" und "Die Nacht unter dem Schnee" von Ralf Rothmann. Heuer fasste ich Mut und entdeckte seine Kunst, Schlicht- und Verzwicktheit in Einklang zu bringen. Die Atmosphären dieser drei kurzen Bücher bleiben sinnlich unvergesslich.

    Kulturbild 2023 für Joachim Fildhaut. Marc Quinn und Thomas Lange, der den Keller des Museums am Dom in Würzburg ausstattete, trugen zur Pflanzenausstellung "Rosenrot Grasgrün Quittengelb" in der Kunsthalle Würth (Schwäbisch Hall) bei.
    Kulturbild 2023 für Joachim Fildhaut. Marc Quinn und Thomas Lange, der den Keller des Museums am Dom in Würzburg ausstattete, trugen zur Pflanzenausstellung "Rosenrot Grasgrün Quittengelb" in der Kunsthalle Würth (Schwäbisch Hall) bei. Foto: Joachim Fildhaut

    Kulturmensch des Jahres: Erst die jüngste Feuilleton-Präsenz seines Gerichtsreports "V 13" machte mich auf den Autor Emmanuel Carrère aufmerksam. Erstmal griff ich mir das ebenso gelobte "Yoga" aus der Stadtbücherei; die Neuerscheinung war noch verliehen. Dass mich dieses Thema so interessieren kann! Der Mann kommt seinen Lesern extrem nahe. In "Das Reich Gottes" dasselbe – nur noch etwas quälender. Ich bin auf "V 13" vorbereitet.

    6. Siggi Seuß war begeistert vom Meininger "Hamlet" und feiert mit Michel aus Lönneberga runden Geburtstag

    Siggi Seuß' Krisentherapie "Flanieren & Sinnieren & Zuhören" bewährt sich. Hält den Blutdruck (meist) im grünen Bereich.
    Siggi Seuß' Krisentherapie "Flanieren & Sinnieren & Zuhören" bewährt sich. Hält den Blutdruck (meist) im grünen Bereich. Foto: Kristina Casper

    Höhepunkt des Jahres: Andreas Kriegenburgs "Hamlet" in Meiningen. Genialer Blick auf das, was faul ist im Staate und vor allem in der privatesten aller gesellschaftlichen Keimzellen: der Familie. Eine brisante Beziehung rückt ins Zentrum des Geschehens: Was macht es mit einem empfindsamen, aufgeklärten jungen Mann, wenn ihm sein toter Vater sogar noch als Geist Rachegedanken ins Herz pflanzt? Was wirkt da so fatal durch die Zeiten, mit martialischer Männlichkeit, mit Macht und Krieg und Tod?

    Enttäuschung des Jahres: Die Schließung von neun Auslandsfilialen des Goethe-Instituts durch das Auswärtige Amt, etwa in Bordeaux, Genua, Turin und Rotterdam. Die kulturpolitische Mission schwächelt in einer Zeit, in der die Vermittlung humanistischer Werte wichtiger ist denn je. Nicht zuletzt als Beitrag zum Zusammenhalt demokratischer Kräfte in Europa, angesichts der besorgniserregenden Zunahme nationalistischer, populistischer und rechtsextremer Strömungen.

    Entdeckung des Jahres: Giuliano da Empolis Roman "Der Magier im Kreml" basiert auf realen Personen und wahren Begebenheiten: Die Beichte des (fiktiven) Wadim Baranow, der als Spindoktor des Regimes und einflussreichster Berater Putins ein ganzes Land in ein politisches Theater verwandelt, in dem es keine andere Realität als die Erfüllung der Wünsche des Präsidenten gibt. Meisterhaft recherchiert, meisterhaft geschrieben. (Verlag C.H. Beck)

    Kulturbild 2023 für Siggi Seuß: Die kleine Theresa vor einem Mahnmal in Butscha, das an den Terror russischer Soldateska in der ukrainischen Stadt nahe Kiew erinnert.
    Kulturbild 2023 für Siggi Seuß: Die kleine Theresa vor einem Mahnmal in Butscha, das an den Terror russischer Soldateska in der ukrainischen Stadt nahe Kiew erinnert. Foto: Tobias Weihmann

    Kulturmensch des Jahres: Michel aus Lönneberga, der 60 Jahre alt wurde. Ein vorbildlicher Kulturmensch. Seine Streiche sind weder dumm noch absichtsvoll böse. Sie entspringen einem Geflecht aus Naivität, Selbstüberschätzung, Spontanität, Fantasie, Lebenslust und Entdeckerfreude. Gepaart mit Michels Pfiffigkeit, seiner von der Not inspirierten künstlerischen Begabung und seiner Menschenfreundlichkeit, sind das Tugenden, die es mehr denn je zu hegen und zu pflegen gilt.

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