Plötzlich ist da dieser Satz in den sozialen Medien: "Meine Geschlechtsdysphorie habe ich geheilt." Mit diesem Tag im November 2024 wird aus der trans Frau Mina Caputo wieder ein Mann. "Der Mann, der ich immer war." Keith Caputo, Sänger der US-amerikanischen Hardcore-Band Life of Agony.
Heute, ein Vierteljahr später, sagt er: "Ich werde mit viel Liebe als mein göttliches, männliches Selbst leben." Vorbei sei der aus dem Konflikt zwischen biologischem und gefühltem Geschlecht entstandene Leidensdruck. Der 51-Jährige wirkt mit sich im Reinen. Viele Fans sind irritiert.
Teile der Fangemeinde von Life of Agony sind entsetzt von Aussagen von Caputo
Caputo polarisiert. Mindestens umstritten ist es nämlich, bei Transidentität von einer Krankheit zu sprechen und damit auch von Heilung. Die empfindsame, um Liebe ("ich bin sehr einsam") und Akzeptanz ("ich habe geweint und geweint, mich nicht aus dem Haus getraut") flehende Mina hat sich zumindest nach außen in den schroffen, reaktionären Keith verwandelt. Binnen weniger Monate.

"Es gibt nur zwei Geschlechter: Männer und Frauen. Zu denken, man gehöre zum jeweils anderen, ist eine psychische Störung", sagt Keith Caputo heute. Es ist nur einer von den aktuellen transfeindlichen, im Dialog oft kontextfreien Sprüchen. Oder: "99,3 Prozent der Menschen haben XX- oder XY-Chromosomen. Der Rest sind Mutationen."

Kopfschütteln und Entsetzen aus Teilen der Fangemeinde machen Caputo angriffslustig: "Ich finde es absolut komisch, dass Leute, die keine Ahnung von Transthemen haben, mich als transphob tadeln, als bigott, als Nazi oder was auch immer."
Keith Caputo gründet in New York die Band Life of Agony
Groß wird der Italo-Amerikaner im multikulturellen New Yorker Stadtteil Brooklyn. Er ist ein Baby, als seine Mutter an einer Überdosis Heroin stirbt. Auch sein Vater ist schwer drogenabhängig. Unter der Obhut der sizilianischen Großeltern wächst ein rebellischer junger Mann heran, der seine Leidenschaft in der Musik findet.
Keith gründet mit seinem Cousin Joey Zampella und dessen Freund Alan Robert die Band Life of Agony, deren Markenzeichen sein traurig-trotziger Bariton wird. New York Hardcore – eine nach Männerschweiß riechende Spielart des Metal.
Caputo lebt ab 2011 als Frau und heißt Mina
Eine Welt, aus der Keith Caputo 1999 ausbricht. Er verlässt die Band und startet eine Solo-Karriere. Mit leiseren Tönen und weniger Erfolg. 2011 dann das Outing: Der Musiker gibt bekannt, künftig als Frau leben zu wollen, nimmt weibliche Hormone – und heißt Mina. Zur Band ist er zuvor schon zurückgekehrt. Nach einer zweiten Wiedervereinigung startet das Quartett ab 2014 durch. Das Gros des Publikums feiert die Sängerin auch live.

August 2019, in einer ruhigen Nische im Backstage-Bereich des Wacken Open Airs: Mina Caputo sitzt auf einem Sofa, nippt an ihrer Teetasse, beugt sich rüber und sagt: "Ich kann jedem Transmenschen nur raten, seinem Herzen zu folgen, sich nicht schuldig zu fühlen. Wenn ein anderer Mensch ein Problem mit mir hat, dann ist das seines, nicht meines. Denn er ist so dumm, dass er nicht versteht, dass Leben vielfältig und bunt ist." Worte einer zufriedenen, gereiften Frau.
Der Sinneswandel bei Mina Caputo beginnt in der Corona-Krise
In der es ein Jahr später zu brodeln beginnt. Die Corona-Krise setzt der Künstlerin zu. Sie wendet sich im Netz Impfgegnern und Corona-Leugnern zu, entwickelt eine Affinität zu Trump-Thesen und schwimmt im republikanischen Fahrwasser. Die Grenzen zwischen Meinung und Provokation verwischen.

Massiv positioniert sie sich im Lauf des vergangenen Jahres auf ihrem Instagram-Kanal gegen Geschlechts-bejahende Behandlung von Minderjährigen ("das Trans-Kinder-Phänomen ist ein sorgfältig inszenierter Krieg gegen Familien und geistige Gesundheit") und gegen trans Frauen im Frauen-Sport ("nur die schwächsten Männer suchen den Wettkampf mit Frauen, nur die dümmsten feiern sie dafür"). Sie rechtfertigt das proaktiv: "Für die Rechte von Frauen und die Unschuld von Kindern einzutreten, ist nicht transphob."
Keith Caputo weiß um seine Widersprüche
Ein biologischer Mann mit Geschlechtsdysphorie werde nicht zur biologischen Frau – "er ist ein Mann mit Geschlechtsdysphorie". Was von der vor sechs Jahren ausgerufenen "Kämpferin für meinesgleichen" heute bleibt, ist ein innerlich so zerrissen ("in der Außenwelt finde ich keinen Frieden"), wie nach außen stabil wirkender Mensch.
Mina Caputo, die in ihrem Solo-Hit "Identity" gesungen hat "ich bin kein Mann, ich bin keine Frau", kündigt im Herbst des vergangenen Jahres ihre Detransition an und spricht rückblickend über ihre Transidentität: "Ich bin durch die Hölle gegangen. Geschlechtsdysphorie würde ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen."

Doch von einer Sekunde auf die nächste spannt sich jede Faser seines Körpers, der in den Trotzmodus schaltet: "Dass ich von einer Sache zur anderen springe, ist mit bewusst. Doch das bin ich. Also lasst mich in Ruhe. Ich bin stolz auf mich und glücklich, dass das vorbei ist."
Seit Januar sind die Silikonbrüste weg. Keith Caputo hat kurze Haare und einen Bart. Wenn Life of Agony am Freitag, 14. März, um 19 Uhr in der Würzburger Posthalle auftreten, steht auf der Bühne ein Mann.