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Würzburg: Immer mehr Frauen in Würzburg berichten von Vergewaltigungsdrogen: Was K.-o.-Tropfen bei Betroffenen anrichten

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Immer mehr Frauen in Würzburg berichten von Vergewaltigungsdrogen: Was K.-o.-Tropfen bei Betroffenen anrichten

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    Meistens kommt es zu Übergriffen mit K.-o.-Tropfen auf Partys, im Nachtleben, bei größeren Festen, bei Dates oder Konzerten. Die Dunkelziffer ist hoch.
    Meistens kommt es zu Übergriffen mit K.-o.-Tropfen auf Partys, im Nachtleben, bei größeren Festen, bei Dates oder Konzerten. Die Dunkelziffer ist hoch. Foto: Ivana Biscan

    Auch fast fünf Jahre später muss Luise noch oft an den Abend denken... dieser Schwindel, diese Übelkeit, diese massiven Erinnerungslücken. Doch vor allem diese Angst will die 27-Jährige nicht loslassen. Es ist Halloween 2018 als sie mit ihrer ehemaligen WG in einen Würzburger Club geht. Es sollte ein ruhiger Abend werden, sie schreibt gerade an ihrer Bachelorarbeit. Ihren Freundinnen bestellt Luise Cocktails an der Bar - für sich selbst eine Weinschorle, weil sie später noch mit dem Auto nach Hause fahren will. Doch dazu wird sie kurz darauf nicht mehr in der Lage sein.

    Die Studentin nippt an ihrem Glas. Und bemerkt wenig später, dass etwas nicht stimmt. "Ich habe mich plötzlich super betrunken gefühlt und bin auf Toilette gegangen, dann habe ich einen kompletten Filmriss."

    Ihre Freundin findet Luise bewusstlos auf der Clubtoilette. Alles was danach geschehen ist, weiß die junge Frau aus Würzburg nur von Erzählungen. "Meine Freundin hat mir den Finger in den Hals gesteckt, danach hab ich mich mehrmals übergeben. Sie hat meine Eltern angerufen, die sind dann direkt gekommen." Ihren Eltern und Freundinnen wird schnell klar: Das kann nur von K.-o.-Tropfen kommen. Sie rufen den Notarzt.

    Bei den Opfern handelt es sich meistens um junge Frauen

    Von solchen Filmrissen hat Janika Schmidt, Sozialpädagogin beim Würzburger Verein Wildwasser, in den vergangenen Jahren viele junge Frauen berichten hören. Der Verein setzt sich gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen ein. Und Schmidt sagt: "Wir haben viele Frauen in der Beratung, die von K.-o.-Tropfen in Zusammenhang im Vergewaltigungen oder sexuellen Missbrauch berichten."

    Meistens würde es zu Übergriffen auf Partys, im Nachtleben, bei größeren Festen in und um Würzburg wie beispielsweise dem Kiliani-Volksfest oder bei Konzerten kommen. Auch bei Dates, die auf Dating-Plattformen ausgemacht wurden, habe es Übergriffe gegeben. "Das nennt man Date Rapes, da berichten die Frauen von Vergewaltigungen in Verbindung mit K.-o.-Tropfen", erzählt Schmidt. Bei den Opfern handele es sich meistens um junge Frauen. "Wenn ich meine Klientinnen durchgehe, ist da keine über 30 Jahre alt."

    Die Sozialpädagogin berichtet von Gedächtnislücken, blauen Flecken, Schmerzen an der Vagina oder anderen Verletzungen am Körper. Doch man müsse unterscheiden, sagt Schmidt: "Die Frauen, die K.-o.-Tropfen bekommen haben und von Freunden heimgebracht wurden, kommen nicht zu uns. Diese Frauen denken oft, dass sie keine Berechtigung dafür haben, weil sie in ihren Augen keine Gewalt erfahren haben. Doch natürlich haben diese Frauen genauso eine Berechtigung!"

    Wie hoch die Dunkelziffer ist, lässt sich nur erahnen

    Dem Polizeipräsidium Unterfranken liegen laut Sprecher Andy Laacke keine belastbaren Zahlen zum "Phänomen K.-o.-Tropfen" vor. Es gebe dafür keine einheitlichen Erfassungsrichtlinien, sagt Laacke. Das Präsidium gehe für das Jahr 2022 von Vorfällen in niedriger zweistelliger Zahl aus. "Es handelt sich dabei zumeist nicht um Verstöße nach dem Betäubungsmittelgesetz, sondern um Körperverletzungs-, Raub- und Sexualdelikte oder verdächtige Wahrnehmungen, bei denen ein Verdacht auf Verabreichung von K.-o.-Tropfen vorlag", so Laacke.

    Wie hoch die Dunkelziffer ist, lässt sich nur erahnen. Das wird auch während der Recherche zu diesem Artikel deutlich. Auf einen Aufruf auf dem privaten Social Media-Account der Autorin bei der Recherche, melden sich innerhalb von drei Stunden fünf Betroffene, die mutmaßlich Opfer von K.-o.-Tropfen wurden. Und die sich damals nicht bei der Polizei gemeldet hatten. 

    Was K.-o.-Tropfen sind und wie sie wirken

    K.-o.-Tropfen (von "Knock-out", englisch für "Außer-Gefecht-Setzen") sind meist farblos und geschmacksneutral, wenn sie in Getränke oder andere Lebensmittel gemischt werden. Bereits nach zehn bis 20 Minuten setzen Schwindelgefühle und Übelkeit ein. Sie wirken sedierend, zudem hat das Opfer oft keinerlei Erinnerungen, was von Beginn der Wirkung der Tropfen geschehen ist. Täter setzen es häufig in Clubs und Bars ein. Meistens handelt es sich dabei um GHB (Gammahydroxybuttersäure) - besser bekannt als Liquid Ecstasy.

    Die Fallzahlen, so Janika Schmidt, sind mit den Jahren gestiegen. "So auch die Anfragesituation über die Jahre." Sie und ihre Kolleginnen in der Beratungsstelle von Wildwasser seien sich jedoch unschlüssig, ob die Zahl der Gewalttaten zugenommen hat. Ober ob sich inzwischen mehr Frauen trauen, darüber zu sprechen. Sie nennt den Fall Rammstein und Till Lindemann als Beispiel.

    Auch bei Rammstein-Konzerten sollen Frauen mithilfe von K.-o.-Tropfen betäubt worden sein

    Auch bei Rammstein-Konzerten sollen Frauen unter anderem mithilfe von K.-o.-Tropfen betäubt und somit gegenüber sexuellen Übergriffen wehrlos gemacht worden sein. Der 60-jährige Front-Sänger weist die Anschuldigungen zurück, die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. "Es hat eine Frau gebraucht, die öffentlich über die Übergriffe gesprochen hat, dann sind immer der Frauen dazu gekommen. In diesem Sinne ist Social Media wirklich hilfreich", sagt die Wildwasser-Beraterin.  

    Betroffenen rät sie, sich anderen Menschen anzuvertrauen. Auch Dokumentation sei ein wichtiger Schritt. Sollte es zu einer Anzeige kommen, könne diese bei der Täterfindung helfen. "Ich rate als Beraterin immer dazu, sich untersuchen und eventuelle Verletzungen dokumentieren zu lassen. Wenn die Frau das auf keinen Fall möchte, rate ich ihr, selber Aufnahmen zu machen."

    Luise hatte Glück, dass ihre Freundin sie damals gleich auf der Toilette gefunden hat. Sie möchte sich nicht ausmalen, was sonst hätte passieren können. Trotzdem ist sie damals nicht zur Polizei gegangen. Sie wurde auch nicht vom Krankenwagen mitgenommen, ihre Mutter wollte es so, sie wollte ihre Tochter nah bei sich haben, während es ihr so schlecht geht. "Ich denke, ihr war gar nicht bewusst, wie lebensbedrohlich so eine Situation sein kann. Mir kamen diese Gedanken auch erst ein paar Tage später."

    Kontrollverlust, tagelange Übelkeit - und danach Angst und kein Vertrauen mehr 

    Zwei Tage liegt die Studentin damals nur im Bett, übergibt sich, schläft, übergibt sich wieder, schläft weiter. Am ersten Tag, als sie sich wieder bei Sinnen fühlt, duscht sie zehnmal. "Ich habe mich so eklig gefühlt, wollte das Gefühl wegwaschen." An diesen Kontrollverlust denkt sie noch heute, "damit kam ich gar nicht klar".

    Das habe sie geprägt: "Ich habe ein Jahr lang gar nichts mehr in Bars oder Clubs getrunken. Danach nur noch aus der Flasche und nur, wenn ich sie selber aufgemacht habe oder sehen konnte, wie der Barkeeper sie frisch aufmacht." Sie sei extrem vorsichtig geworden, sagt Luise. "Und ich gehe nur noch selten feiern."

    Diese Folgen kennt Janika Schmidt auch von ihren Klientinnen. Sie zählt Albträume, Schlaflosigkeit, Ekelgefühle und Appetitlosigkeit auf. "Viele verlieren ein Stück weit den Glauben an die Menschheit, sie haben Angst vor Menschenansammlungen, Angst einkaufen oder auf die Arbeit zu gehen."

    Das rät die Polizei: Was man beim Verdacht, dass man K.-o.-Tropfen bekommen hat, tun soll

    Die Polizei Unterfranken rät vor allem zu schnellem Handeln. Sprecher Andy Laacke wendet sich direkt an potentielle Opfer: "Hat sich nach einem Getränk Ihr Zustand unerklärlich verändert, spüren Sie motorische oder psychische Auffälligkeiten, die Sie sich nicht erklären können, oder hatten Sie einen 'Filmriss', dann suchen Sie schnellstens ärztliche Hilfe."

    Der Verdacht auf eine Vergiftung durch K.-o.-Tropfen könne durch Urin – und Blutproben nachgewiesen werden. Der zeitliche Nachweis hänge jedoch vom verwendeten Mittel ab, sagt Laacke. Bei der Verabreichung von GBL/GHB sei ein erfolgversprechender Nachweis nur wenige Stunden nach dem Konsum möglich.

    Er betont, dass Opfer Anzeige bei der Polizei erstatten sollen. Wegen des Verabreichens von K.-o.-Tropfen erwartet den Täter ein Strafverfahren wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung, was mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft werden kann. "Scham oder Angst sollten Sie nicht davon abhalten, die Polizei einzuschalten. Nur durch eine Anzeige wird es möglich, Täter zu ermitteln und mögliche weitere Opfer vor Schaden zu bewahren."

    AnlaufstellenDas Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen bietet deutschlandweit unter der kostenlosen Telefonnummer 08000 116 016 erste Hilfe an. Es ist ein Unterstützungsangebot für Frauen, die von jeder Form von Gewalt betroffen sind, und steht rund um die Uhr zur VerfügungAuch die Fachberatungsstelle Wildwasser steht Frauen, denen K.-o.-Tropfen verabreicht wurden, zur Seite: Theresienstraße 6-8, 97070 Würzburg; Tel.: (0931) 13287; E-Mail: info@wildwasserwuerzburg.de.An das Opfer-Telefon des Weißen Rings können sich Frauen und Männer wenden: 116 006. Bundesweit, kostenfrei, anonym. Sieben Tage die Woche von 7 bis 22 Uhr.Quelle: ssc

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