Eigentlich sieht der Joghurt noch gut aus. Er riecht auch noch frisch, ist aber schon seit drei Tagen abgelaufen. Ratlosigkeit vor dem Kühlschrank: „Kann ich den jetzt noch essen oder schmeiße ich ihn lieber weg?“ Schließlich landet der Joghurt im Müll. Beim Einkaufen war die Lust noch groß, danach ist der Joghurt in Vergessenheit geraten – ein Gewissenskonflikt, den die meisten von uns kennen. Denn jedes achte Lebensmittel, das wir kaufen, werfen wir dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zufolge weg.
Dabei haben viele Menschen gar nicht das Gefühl, dass sie viele Lebensmittel wegwerfen. Doch ein Blick auf eine Studie der Universität Stuttgart zeigt, dass dieses Gefühl täuscht: Durchschnittlich wirft jeder Deutsche 82 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr weg. In Bayern sind es 65 Kilogramm pro Person – also etwas weniger. Insgesamt elf Millionen Tonnen entsorgen Industrie, Handel, Großverbraucher und Privathaushalte in Deutschland als Abfall, weltweit sind es rund 1,3 Milliarden. Doch warum landet eigentlich so viel Essbares in der Tonne?
Mindesthaltbarkeitsdatum ist nur eine Empfehlung
„Wir werfen viele Lebensmittel weg, die eigentlich noch gut sind“, sagt Annegret Hager vom Verbraucherservice Bayern. Denn die wenigsten Speisen müssen in den Müll wandern. Entsorgt wird laut Hager oft, was für verdorben gehalten wird, es aber gar nicht ist. Hager: „Viele Verbraucher sind unsicher und entscheiden sich daher für den Müll.“ Eine Umfrage im Auftrag des BMEL bestätigt: Am häufigsten haben die Befragten Lebensmittel weggeworfen, weil sie verdorben waren beziehungsweise weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen war.
Häufig passiert das mit Milchprodukten. Wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, wird der Quark oder Joghurt oft sogar ungeöffnet weggeworfen. Das Mindesthaltbarkeitsdatum sei allerdings nur eine Empfehlung, erklärt Hager. „Abgelaufen“ bedeute nicht unbedingt „ungenießbar“. Sie empfiehlt, sich auf die eigenen Sinne zu verlassen und zu riechen und zu schmecken, ob die Speisen noch gut sind, bevor sie in der Tonne landen.
Obst und Gemüse machen die Hälfte des Abfalls aus
28 Prozent der Befragten gaben als Grund für das Wegwerfen von Lebensmitteln an, dass sie zuviel gekauft haben. „Viele Haushalte planen nicht richtig“, sagt auch Hager vom Verbraucherservice. Obst und Gemüse machen fast die Hälfte des Lebensmittelabfalls aus, gefolgt von Back- und Teigwaren sowie Speiseresten. Welker Salat, schrumpelige Möhren oder Äpfel mit Druckstellen landen häufig im Müll. Besonders im Supermarkt bevorzugen Käufer Obst und Gemüse, das auf den ersten Blick makellos ist. Kleine Dellen bedeuten laut Hager allerdings keineswegs, dass die Produkte schlecht sind.
19 Prozent der Befragten werfen Lebensmittel weg, weil sie zu große Packungen gekauft haben. 16 Prozent entscheiden sich für den Müll, weil ihnen das Gekaufte nicht schmeckt. Einige Würzburger haben für diese Probleme eine Lösung gefunden: In der Facebook-Gruppe „Foodsharing Würzburg“ bieten rund 5360 Mitglieder Lebensmittel und Speisereste an, die übrig geblieben sind oder bei denen es sich um Fehlkäufe handelt, die dann – ohne Gegenleistung – verschenkt werden. Auch in Kitzingen gibt es eine solche Facebook-Gruppe namens „Foodsharing Kitzingen“ sowie in Haßfurt unter dem Titel „Foodsharing Haßfurt & Umgebung“.
Foodsharing-Plattformen liegen im Trend
„Äpfel, frische Bio-Bananen, braune Bananen und Zwiebeln sind übrig. In der Altstadt abzuholen“, bietet da zum Beispiel eine Würzburger Nutzerin an. „Frischer Pizzateig abzugeben, wurde gestern beim Bäcker gekauft. In der Zellerau kostenlos abzuholen“, lautet ein weiteres Angebot. Zahlreiche Fehlkäufe werden verschenkt: „Mit Hunger in Supermarkt und lauter Fehlkäufe getätigt. Acht Milchschnitten und Mini-Schoko-Brioches zu vergeben“, schreibt eine Nutzerin nach ihrem Einkauf in die Gruppe. Auch Gesuche können aufgegeben werden: „Hat jemand zufällig einen Schokoosterhasen übrig, der eh nur im Regal steht und nicht mehr gegessen wird?“, lautet eines.
Die Würzburgerin Annelie Wolf hat die Facebook-Gruppe vor rund drei Jahren gegründet. Sie sah einen Bericht über „food-sharing“ (deutsch: Lebensmittel teilen) und merkte dann, dass es so eine Gruppe in Würzburg noch nicht gab. „Am Anfang lief es eher schleppend, aber mittlerweile hat sich die Gruppe ganz gut etabliert“, sagt Wolf. Mit zwei weiteren Würzburgern verwaltet sie heute die Gruppe.
"Foodsharing" gegen die Wegwerfmentalität
„Der Grundgedanke des 'foodsharings' ist der, dass wir etwas gegen die Wegwerfmentalität, bezogen auf Lebensmittel, tun wollen und können und dabei anderen eine Freude oder zumindest einen vollen Bauch bescheren“, erklärt Wolf in der Facebook-Gruppe. „Foodsharing“ bedeutet für sie allerdings nicht, eine Gegenleistung zu erwarten. Tauschanfragen gegen Ware oder Geld werden daher von den Gruppen-Verwaltern kommentarlos gelöscht.
Nicht zu verwechseln ist die Facebook-Gruppe mit der deutschlandweiten Initiative „foodsharing e.V.“ mit zahlreichen Ortsgruppen. In Würzburg sind 27 ehrenamtliche Lebensmittelretter aktiv, die seit Anfang 2014 im Würzburger Raum über 24 Tonnen Lebensmittel gerettet haben. Der Verein und die Facebook-Gruppe von Annelie Wolf arbeiten zum Teil auch zusammen. Wolf: „Das ist auf keinen Fall als Konkurrenz zu sehen, sondern eher als Ergänzung.“
Im Kühlschrank im „Cairo“ Lebensmittel abgeben oder abholen
Die Initiative „foodsharing“ organisiert die Rettung und Verteilung von überschüssigen, aber noch genießbaren Lebensmitteln und geht dazu Kooperationen mit lokalen Unternehmen ein. In Würzburg kooperiert die Initiative mit 17 Lebensmittelbetrieben, wie zum Beispiel mit „Up! Fresh Energy“, „Yummy's“ oder „Volvox“. Auch in Schweinfurt, Aschaffenburg und Tauberbischofsheim gibt es aktive „foodsharing“-Ortsgruppen.
„Wir agieren geldfrei und nehmen auch keine Spenden an“, sagt Waldemar Huber, der seit rund zweieinhalb Jahren aktiver Lebensmittelretter in Würzburg ist. Was den 30-jährigen Sanitäter motiviert: „Ich will einfach, dass so wenige Lebensmittel wie möglich weggeworfen werden.“ Die Aktiven sind im Alter von rund 18 bis 60 Jahren. Manche engagieren sich ein Mal in der Woche oder im Monat, andere sind fast täglich aktiv.
Lebensmittel an Bedürftige verteilen
Ihre Arbeit besteht darin, die Lebensmittel von den jeweiligen Kooperationspartnern abzuholen und sie dann an bedürftige Privatleute zu verteilen. Im Jugendkulturhaus Cairo kann außerdem jeder Einzelne Lebensmittel am „Fair-Teiler“ im ersten Stock, einem Kühlschrank des Vereins, abgeben und auch abholen. In Schweinfurt in der Birkenstraße 40 1/2 steht ebenfalls ein solcher „Fair-Teiler“.
Auch die Würzburger „Tafel“ sammelt noch verwertbare, überzählige Lebensmittel bei Firmen in der Region ein und verteilt diese gegen einen symbolischen Betrag oder kostenlos an bedürftige Menschen. Die Arbeit der „Tafel“ wird allerdings im Gegensatz zum „foodsharing“ durch Sponsoren und Mitglieder ermöglicht, die deren Arbeit nicht nur mit Lebensmitteln, sondern auch mit Geld und Sachspenden unterstützen.
Ein bundesweites Team von 30 Menschen hat das „foodsharing“-Konzept erarbeitet und umgesetzt. Die einzige aktuell noch bezahlte Stelle ist der Minijob der Geschäftsführerin. Unternehmen und Händler, die Interesse an einer Kooperation mit der Würzburger Ortsgruppe „foodsharing“ haben, können Kontakt aufnehmen unter wuerzburg@lebensmittelretten.de
Tipps gegen Lebensmittelverschwendung
Richtig planen Vor dem Einkauf sollten folgende Fragen berücksichtigt werden: Wie viele Personen müssen satt werden? Welche Vorräte sind noch vorhanden? Wird in nächster Zeit oft auswärtig gegessen und in welchen Mengen brauche ich welche Lebensmittel? Ein hilfreicher Klassiker ist der Einkaufszettel. Qualität statt Quantität Nicht immer lohnen sich Jumbo-Packungen. Besonders in Single-Haushalten sollte nach Bedarf eingekauft werden. Denn wer nach der Hälfte keine Lust mehr auf die XXL-Packung hat, zahlt trotzdem für alles, was in die Tonne wandert. Ohne Loch im Bauch Wer hungrig und unter Zeitdruck einkaufen geht, hat zwar schnell den Wagen voll. Die Gefahr, dass vieles davon im Müll wandert, ist aber umso größer. Richtig lagern In Privathaushalten wird am meisten weggeworfen. Oft, weil Lebensmittel nicht richtig gelagert oder vergessen und dann schlecht werden. Lebensmittel sollten nach ihren Bedürfnissen gelagert werden. Geöffnete Milchprodukte ziehen Bakterien an und sollten daher mit Frischhaltefolie verpackt und schnell verzehrt werden. Getreideprodukte sind besonders anfällig für Schädlinge, wie Motten & Co. Selten benötigte Vorräte wie Gewürze und Trockenwaren sollten daher regelmäßig kontrolliert und Vorratskammern gereinigt werden. Kreative Resteverwertung Speisereste lassen sich nicht immer vermeiden, müssen aber nicht gleich weggeworfen werden. Einfrieren ist eine Möglichkeit, eine andere ist es, neue Gerichte zu kreieren. Alle möglichen Aufläufe, Gemüsepfannen, Pizzen mit Fleisch- oder Wurstresten und vieles mehr kann mit ein bisschen Kreativität aus den Speiseresten gezaubert werden. Quelle: BMEL/KERN