Der tägliche Blick auf die Corona-Zahlen ist in Deutschland zur Routine geworden – vor allem die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen gilt als Parameter der Pandemie. Nur: Nach dem Wegfall der meisten Corona-Maßnahmen und Zutrittsbeschränkungen wird immer weniger getestet, Experten gehen von einer hohen Zahl nicht erfasster Fälle aus. Wie aussagekräftig sind die Inzidenzen also noch?
"Entscheidend bei der Bewertung der aktuellen Inzidenzen ist, dass die Zahlen jetzt definitiv fallen", sagt der Würzburger Virologe Prof. Lars Dölken. Die Omikron-Welle sei am Abklingen, der Peak überschritten. Ein Corona-bedingter Kollaps des Gesundheitssystems stehe derzeit nicht mehr zu befürchten.

Grundsätzlich seien die Inzidenzen in der Pandemie wichtig gewesen, "um zu sehen, wohin es geht", so der Inhaber des Lehrstuhls für Virologie und Chef der Virusdiagnostik an der Universität Würzburg. Und um gegensteuern zu können, wenn die Zahlen zu stark steigen sollten. Aktuell sei jedoch das Gegenteil der Fall: die Werte sinken.
Virologe Dölken: Es gab immer eine hohe Dunkelziffer nicht erkannter Corona-Infektionen
Durch den Wegfall vieler Corona-Maßnahmen wie der 3G-Regel ließen sich zwar nicht mehr so viele Menschen testen und "dadurch sind die Zahlen etwas niedriger, als sie sonst wären", so Dölken. Die Dunkelziffer nicht erkannter Corona-Infektionen habe aber wahrscheinlich immer mindestens beim Faktor zwei oder drei gelegen.
Hatte Omikron die Labore noch Anfang des Jahres zeitweise ans Limit gebracht, müssen dort nun weit weniger Proben bearbeitet werden. "Die Anforderungszahlen sind im Vergleich zu vor vier Wochen um circa 40 Prozent niedriger bei uns", bestätigt Dr. Eduard Rosler vom Labor Rosler in Wildflecken (Lkr. Bad Kissingen). "Ob die Inzidenzen unter diesem Aspekt repräsentativ sind, kann ich leider nicht beurteilen."
Rückgang der absoluten Testzahlen in den vergangenen vier Wochen
Der Rückgang der Testungen könne aktuell allerdings auch mit den Osterfeiertagen zusammenhängen, sagt Axel Oppold-Soda vom Verband Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM). Dies sei bereits in den vergangenen Jahren so beobachtet worden.
Der Laborverband veröffentlicht regelmäßig eine Auswertung der Daten von insgesamt 183 Laboren. Anhand dieser Erhebungen ist ein Rückgang der absoluten Testzahlen in den vergangenen vier Wochen abzulesen.

Auch das Robert Koch-Institut (RKI) macht auf seiner Website darauf aufmerksam, dass "es aufgrund der Feiertage und Ferien und der damit verbundenen geringeren Test-, Melde- und Übermittlungsaktivität kurzfristig zu einer erhöhten Untererfassung der Fälle im Meldesystem kommen kann".
Dies sei unstrittig, sagt RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. "Aber es gibt immer mehrere Parameter, die dabei Beachtung finden sollten." So hätten beispielsweise einige Bundesländer dem Institut über die Feiertage gar keine Zahlen übermittelt. Auch Einflussfaktoren wie geschlossene Arztpraxen oder über die Feiertage reduziertes Personal in den Laboren müsse man berücksichtigen.
Vor einem Monat noch deutlich höhere Sieben-Tage-Inzidenz
Allerdings war im Wochenbericht des RKI bereits vor den Feiertagen ein rückläufiger Trend der Corona-Inzidenzen festgestellt worden. Über das Osterwochenende sank die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz sogar unter die 1000er Marke, am Mittwoch gibt das RKI den Wert mit 688,3 an. Das ist zwar geringfügig höher als am Vortag – jedoch deutlich weniger als vor gut einem Monat. Damals, am 21. März, lag die Inzidenz laut Lagebericht bei 1714,2.
Was aber folgt daraus? Die absoluten Zahlen seien aktuell nicht mehr von größerer Bedeutung, sagt Virologe Dölken. "Wir wissen jetzt, dass die Werte sinken." Ob sie dann "deutschlandweit bei 600, 800 oder 1000 liegen", spiele erstmal keine Rolle. Genauso wenig machen aus Sicht des Experten "Grenzwerte von 35, 50 oder 100, wie früher, noch Sinn".